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Wettbewerb als Herausforderung zur Innovation

Vergleichende Wirtschaftspolitik – ein Lernprozess Auf die Fragestellung «Mehr oder weniger Staat?» bzw. «Mehr oder weniger Markt?»
gab es am 11. Zermatter Symposium keine einhellige Antwort. Einig war man
sich hingegen, dass Europa mehr Wettbewerb braucht, und zwar auf allen Stufen und in allen Bereichen.

Eine Analyse des Spannungsfeldes zwischen Politik und Wirtschaft aus unterschiedlichsten Blickwinkeln war das Thema des 11. Zermatter Symposiums. Im Zentrum stand der Vergleich verschiedener Lösungsmuster und nicht das Finden einer gemeinsamen Antwort. Die allgemein unbestrittene Aufforderung, mehr Wettbewerb zu wagen, bezog sich nicht auf jenes Zerrbild des Wettbewerbs, bei dem sich jeder Wettbewerber in einen Kampf auf Leben und Tod stürzt und die Gewinner zuletzt auf Kosten der Verlierer leben. Schon in den beiden Einleitungsreferaten wurde klargestellt, dass der Wettbewerb als ein Entdeckungsverfahren zu deuten sei, das im Alltag der wirtschaftlichen und der politischen Realität die Suche nach besseren Lösungen ermögliche. Alexander Schaub wies darauf hin, dass die EU aus amerikanischer Sicht als ein Laboratorium des Globalisierungsprozesses funktioniere, und Aymo Brunetti betonte, dass das Entscheidende am Wettbewerb nicht die allgemeine Preisreduktion sei, sondern die ständige Herausforderung zur Innovation. Der Wettbewerb ist ein Experiment, das den Vergleich unterschiedlicher Lösungen ermöglicht und damit das Lernen aus Erfahrungen.

Die zwei Gastreferenten Andreas Biner und Robert Guntern, die in ihrer Funktion als Präsident der Burgergemeinde und der Munizipalgemeinde eingeladen waren, steuerten mehr als nur etwas Lokalkolorit bei. Ihre Beiträge entpuppten sich als anschauliche Fallbeispiele zum generellen Thema «Politik und Wirtschaft» sowie «Wettbewerb und Arbeitsteilung zwischen öffentlichen Körperschaften». Die finanziellen, administrativen und organisatorischen Probleme, die die Burgergemeinde als Grundeigentümerin und Tourismusunternehmung mit ihren traditionellen Strukturen nicht mehr bewältigen konnte, wurden in den letzten Jahren neu auf die Munizipalgemeinde und auf eine nach kommerziellen Gesichtspunkten geführte Aktiengesellschaft aufgeteilt, insgesamt ein gelungenes Experiment der Verbindung von traditionellen und modernen Formen der politisch-wirtschaftlich-kulturellen Arbeitsteilung.

Kosten und Nutzen des Föderalismus

Ein ganzer Tag des Symposiums war dem Thema «Wettbewerb der Gebietskörperschaften» gewidmet. Der Föderalismus führe, wie der Politikwissenschafter Arthur Benz darlegte, als «Mehrebenensystem» regelmässig zu Koordinations- und Konsensproblemen und erhöhe die Entscheidungskosten bei Reformen. Für die Behauptung, Bundesstaaten hätten generell eine «bessere Politik», gebe es keine schlüssigen Belege. Der politische Alltag werde in der EU, in der Bundesrepublik und in der Schweiz durch eine Fülle von zusätzlichen Institutionen und Traditionen bestimmt. Die Lancierung politischer Agenden, die Art der Verhandlung und der Entscheidfindung werde dadurch mehr beeinflusst, als durch das vage Konzept des Föderalismus. Uwe Wagschal, der bis 2002 bei Avenir Suisse tätig war und jetzt an der Universität München lehrt, begründete seine These von der Reformunfähigkeit der Schweiz. Er führte diese auf den punktualistischen Regierungsstil zurück, der ausgewogene Gesamtlösungen im Sinn von «historischen Deals» durch Vetos verhindere. Im Beitrag von Joachim Starbatty von der Universität Tübingen stand die Skepsis gegenüber allen zentralisierenden Tendenzen im Mittelpunkt. Das Subsidiaritätsprinzip sei als «Leerformel» zu unbestimmt, als dass es den starken Drang zur Konzentration politischer Kompetenzen wirksam bremsen könnte. Starbatty bezweifelte, dass in der Europäischen Währungsunion das Ziel der Preisstabilität mit genügender Konsequenz durchgehalten werde. Wenn grosse Mitgliedstaaten ihre finanzpolitischen Hausaufgaben nicht machten, werde der Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgehebelt. Sein Vorschlag, die wichtigsten Grundsätze aus dem Verfassungsentwurf des Konvents in den Parlamenten der Mitgliedstaaten zu diskutieren, war im Plenum nicht unbestritten. Es werde mit solchen Debatten, so lauteten die Bedenken, eine «Büchse der Pandora» geöffnet.

Schwieriges «Dossier Schweiz»

Bei der bilateralen Weiterentwicklung des Verhältnisses der EU zur Schweiz gehe es, wie Ulrich Trautmann, der Swiss Desk Officer der EU Kommission ausführte, weniger um Differenzen im Bereich der ordnungspolitischen Konzepte, sondern um eine Fülle von Details, die mit den differenzierten Ausnahmen zusammenhängen, die die Schweiz für sich beansprucht. Beim neuen Entwurf für das Zinsbesteuerungsabkommen sei die EU der Schweiz sehr weit entgegengekommen und habe sogar eine Abweichung von den OECD-Kriterien in Kauf genommen. Die USA hätten sich, so Trautmann, gegenüber der Schweiz bessere Zugriffsrechte gesichert als die EU, die diesbezüglich mehr Entgegenkommen gezeigt habe. Die Logik des internationalen Vertragswerkes verlange nun, dass das Abkommen – mit gleichem Wortlaut, aber anderen Wirkungen – mit Liechtenstein, Monaco, Andorra und San Marino ebenfalls abgeschlossen werde. Einmal mehr wurde klargestellt, dass das Schweizer Bankkundengeheimnis an sich für die EU kein Problem sei, sondern die Tatsache, dass in der Schweiz die Steuerhinterziehung nicht als krimineller Akt aufgefasst werde. Aus diesem Grund werde, wie Alois Ochsner, der Leiter des Ressorts Wirtschafts- und Finanzfragen, aus schweizerischer Sicht ausführte, ein diesbezüglicher internationaler Informationsaustausch unter Strafverfolgungsbehörden von der Schweiz kategorisch abgelehnt. Kann die Schweiz am europäischen Verbundsystem der inneren Sicherheit teilnehmen und gleichzeitig an der Nichtkriminalisierung der Steuerhinterziehung festhalten? Aus Schweizer Sicht ist eine solche Beteiligung möglich, während auf EU-Seite darüber Zweifel bestehen. In der Diskussion wurde eingeräumt, dass der Finanzplatz Schweiz von seiner Sonderstellung profitiere. Eine rigorose Anpassung an das Steuer- und Strafrechtssystem der EU würde aber wohl weniger zu jener Erhöhung der Steuermoral in Europa führen, die die Steuerbehörden sich erhoffen, sondern zu einem Ausweichen auf Finanzplätze in Asien, wo die Bereitschaft und die Möglichkeit zum Informationsaustausch auch im kriminellen Bereich äusserst beschränkt bleibt.

Reformstau in der Sozial- und Bildungspolitik

Im Idealfall sind ökonomische und politische Institutionen in einer Weise miteinander verknüpft, dass sie Wohlstandsmotor und Sicherheitsnetz in einem sind. Sowohl Deutschland wie auch die Schweiz sind weit von diesem Ideal entfernt. Dies zeigte Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg in seiner aktuellen Information zum Stand der sozialpolitischen Diskussion in Deutschland. Das demographische Problem werde in beiden Ländern erst von den Fachleuten in seiner vollen Tragweite erfasst. Wir stehen vor einer dramatischen Überbeanspruchung künftiger Generationen. Eine zahlenmässig schrumpfende Bevölkerungsgruppe von Erwerbstätigen muss über das Umlageverfahren eine immer grösser werdende Gruppe von Rentnern finanzieren. «Das Umlageverfahren», so Raffelhüschen, «generiert einen Topf, in dem nichts drin ist.»

In der Schweiz wird die sozialpolitische Situation durch zwei Faktoren mildert, aber nicht völlig entschärft. Beim sogenannten Dreisäulenprinzip beruht nur die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Erste Säule: AHV) auf dem aus demographischen Gründen zunehmend prekären Umlageverfahren. Die obligatorische berufliche Vorsorge (BVG: Zweite Säule) basiert auf dem Kapitaldeckungsverfahren, dessen Sicherheit allerdings von der internationalen Börsenlage abhängt. Die Krankenversicherung wird in der Schweiz durch lohnunabhängige Kopfpauschalen finanziert, die zwar steigen, aber keine «schwebende Last» erzeugen. Dadurch kann der Reformdruck zum Teil von der Einnahmenseite auf die Ausgabenseite verlagert werden. Für die Rentenreform in Deutschland werden zur Zeit verschiedene Möglichkeiten evaluiert, die alle letztlich auf das Ziel einer schrittweisen Sanierung durch Erhöhung des Rentenalters und Anpassung der Leistungen hinauslaufen. Das Motto lautet «Weg von der Lebensstandardsicherung, hin zu einer ersetzenden Alterssicherung». Inwiefern dieses Zielbündel politisch umsetzbar ist, blieb in der Diskussion kontrovers. Bei der Reform der Krankenversicherung plädierte Raffelhüschen für das lohnunabhängige «Schweizer Modell», (das allerdings auch ein noch nicht erfolgreich abgeschlossenes Experiment ist), und für eine schrittweise Abschaffung der Pflegeversicherung.

Im Bildungsbereich zeigt sich ebenfalls das Phänomen steigender Kosten bei gleichzeitig sinkender Qualität. Allein mit der Forderung «Mehr öffentliche Mittel für die Bildung» lässt sich aber das Spannungsfeld von Bildungspolitik und Bildungsökonomie, wie Hanspeter Klös vom Institut der Deutschen Wirtschaft ausführte, weder in Deutschland noch in der Schweiz abbauen. Traditionellerweise gehe die Politik davon aus, dass der Markt im Bildungsbereich, wie auch im Gesundheitsbereich, versage. Die Aussage des Referenten «Bildung ist prinzipiell ein marktlich organisierbares Gut» weckte unter den Teilnehmern aber keinen grundsätzlichen Widerspruch. Dass auch weiterhin öffentliche Mittel in die Bildung investiert werden sollten, war auch in der Diskussion unbestritten, allerdings wären die Subventionen zunehmend als Subjekthilfe auf der Nachfrageseite einzusetzen und nicht als Bestandesschutz für bestehende staatliche Bildungsinstitutionen.

Weg von der Politik?

Im Podiumsgespräch mit dem Thema «Die Post im Spannungsfeld zwischen Service public und Markt» diskutierten, unter der Leitung des Publizisten Beat Kappeler, Alex Egelseer von der Firma EP Europost; Reto Müllhaupt von der Schweizer Post; Marton Jojart, Autor eines Forschungsberichts der Universität St. Gallen über die Postmarktliberalisierung; Gerhard Harms und Alexander Kirchschall, beide von der Deutschen Post; und Alfred Stratil vom Österreichischen Verkehrsministerium. Auf die Frage des Gesprächsleiters, ob es möglich sei, den Postmarkt vollständig von der Politik abzukoppeln, gab es – was bei der Zusammensetzung des Podiums nicht erstaunt – keine einhellige Antwort. Der Service-public-Mythos hat bei der Post besonders tiefreichende historische Wurzeln. Das Staatsmonopol hat sich in Deutschland als Alternative zum Postregal privilegierter Fürstenhäuser entwickelt, die die Post seinerzeit als private Daseinsvorsorge bewirtschafteten.

Eine Schlussbemerkung von Rolf Hasse, dem Leiter des Symposiums, gilt nicht nur für das Verhältnis von Postmarkt und Politik, sondern für das ganze Spannungsfeld von Wirtschaft und Staat: «In der Politik zählen nicht nur die Fakten, sondern die Perzeption.» Diese Perzeption aber ist nicht einfach gegeben. Sie kann durch Reflexion und Kommunikation verändert und verbessert werden, wenn sich die Verantwortlichen in Wirtschaft und Staat über ihre Ziele Klarheit verschaffen, wie dies am 11. Zermatter Symposium exemplarisch der Fall gewesen ist.

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