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Werner Kieser im Gespräch

Menschen sind eine Fehlkonstruktion aus Knochen und Muskeln. Da musste etwas getan werden. Die ersten Kraftmaschinen baute Werner Kieser als junger Mann, aus Eisen vom Schrottplatz. Inzwischen stärken seine Kraftstudios weltweit nicht nur viele Rücken. Suzann-Viola Renninger hat Werner Kieser in Zürich getroffen.

«Falle Unternehmensberater: gut zuhören, dann das Gegenteil tun.» Diesen Ratschlag geben Sie Ihren Franchisenehmern und auch Jungunternehmern, von denen Sie zu Vorträgen eingeladen werden. Müssen Sie nicht damit rechnen, dass Ihre Zuhörer das Gegenteil auch dessen tun, was Sie raten? 

Ich warne vor Schwierigkeiten, die unweigerlich auftauchen. Ich muss ja meine Franchisenehmer davon abhalten, meine eigenen Fehler zu wiederholen. Insofern habe ich ein Beratungsmandat. Doch ist das nicht dasselbe, wie wenn sich jemand in einer bestimmten Branche als Berater spezialisiert. So jemand ebnet ein, weil er nur sein Konzept kennt. Fatal. Von den Empfehlungen, die ich in den letzten 40 Jahren von Beratern bekommen habe, waren fast alle durchweg falsch. Es war für mich immer das beste, meinem eigenen Kopf zu folgen.

 

Anderen hingegen empfehlen Sie, nicht zu sehr auf den eigenen Kopf zu setzen, sondern das Kieser-Konzept des Krafttrainings anzuwenden und alle anderen Konzepte zu vergessen. 

Ich hafte für mein Konzept. Daher kann ich anderen auch raten. Der Unternehmensberater hingegen ist immer ausserhalb der Feuerlinie. Wenn der Franchisenehmer erfolglos ist, bekomme ich kein Geld. Der Berater bekommt sein Geld in jedem Fall, egal, was mit der Firma passiert.

 

Wieviele Franchisenehmer haben Sie?

Das weiss ich gar nicht einmal genau. Um die 80, nehme ich an. Es gibt Franchisenehmer, die haben bis zu zehn Betriebe. Und solche, die haben nur einen. Das wechselt ständig. Betriebe werden gekauft und wieder verkauft. Das ist ja das Schöne am Franchising: die Sache ist standardisiert.

 

Das Lob der Standardisierung klingt überraschend von jemandem, der wie Sie den Eigensinn betont.

Zur Multiplikation eines Konzepts ist Standardisierung unerlässlich. Ein grosser Teil unseres Reichtums in Europa kommt aus der Industrialisierung, aus der Standardisierung von Produkten. Vom Schraubengewinde bis zur Stahlqualität, alles wurde mit der DIN-Norm standardisiert. Die Vorteile des Franchisesystems liegen im funktionierenden Konzept und in einer Marke, die bereits eingeführt ist. Das hat einen hohen Wert.

 

Würden Sie sich in der Rolle des Franchisenehmers wohlfühlen?

Die Antwort lässt sich aus der Zeit vor 40 Jahren ablesen, als ich noch als Angestellter arbeiten musste. Das war kein Ruhmesblatt. Ich wollte immer alles umstellen und anders machen. So etwas ist nicht im Sinne der Unternehmen. Ich glaube nicht, dass ein Franchisegeber automatisch auch ein guter Franchisenehmer ist. Wenn Sie Standards entwickeln wollen, müssen Sie sich selbst über die Schulter schauen und kritisieren können. Das ähnelt dem Freiraum des Schauspielers, der seine Rolle wie einen Pullover wechselt. Das ist wunderbar. Das gibt eine Souveränität. So gesehen, setzt das Schaffen von Normen Freiheit voraus. Sonst ist man eingefroren in der Haltung «Das haben wir schon immer so gemacht, und so soll es auch bleiben».

 

Wann haben Sie sich die Rolle des Krafttrainers übergestreift?

Vor 40 Jahren etwa, als ich begann, die Dinge schriftlich festzulegen. Dies führt zu einer Distanz, zu einer Objektivierung, die wesentlich ist für Weiterentwicklung.

 

Zuerst das Wort, dann die Tat?

Im Anfang war das Wort. Auch bei mir.

 

Nicht unbedingt zu erwarten vom «Guru des Krafttrainings», wie Sie in den Medien und in der Fitnessszene immer wieder gern genannt werden.

Ich bin kein Guru. Ich bemühe mich nur um eine gewisse Disziplin. Da meine Thesen oft sehr provokant sind, spare ich nicht mit wissenschaftlichen Literaturhinweisen, um sie zu untermauern. Schliesslich fahre ich den
Kostenträgern an den Karren, den Krankenkassen, Versicherungen und natürlich auch den Politikern, die alle Geld verschwenden. Der Kuchen des Gesundheitswesens soll nicht kleiner werden. Das unterstelle ich meinen Opponenten. Die wiederum behaupten, das sei alles nur meine Verschwörungstheorie.

 

Sie spielen auf die Ausgaben für die Behandlung von Rückenschäden an. 

In Deutschland werden etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr für den Rücken ausgegeben. Darin sind enthalten: Arbeitsausfälle, Operationen, Therapien und Renten. Das könnte leicht bis unter 10 Milliarden gedrückt werden. Wir haben etwa eine Studie mit 388 Kandidaten durchgeführt, die am Rücken operiert werden sollten. Stattdessen steckten wir sie in unsere Maschinen. Mit dem Effekt, dass schliesslich nur noch 44 unters Messer mussten. 9 von 10 Operationen sind überflüssig. Aber wer will davon schon hören? Der Markt blüht. Es sind zu viele, die an ihm verdienen. Nicht nur die Ärzte, sondern auch Physiotherapeuten, Psychologen und Ernährungsberater und was es da sonst noch alles so gibt. Es würde mich nicht wundern, wenn irgendwann auch noch die Theologen auf den Plan träten. Und alle fleddern diese kranken Menschen.
Wie Schakale.

Und jetzt auch noch Sie. Wie soll sich der arme kranke Mensch entscheiden, ob Sie der Richtige sind oder doch eher ein Theologe?

Er braucht bloss auf die Kosten zu achten. Das Kieser Training kostet ja im Vergleich fast nichts. Und er kann die wissenschaftlichen Studien anschauen, die wir durchgeführt haben, mit Universitäten oder unserem eigenen Forschungslabor in Zürich und Gottmadingen. Dort entwickeln wir auch neue Trainingsverfahren und die entsprechenden Maschinen. Momentan eine Beckenboden- und eine spezielle Fussmaschine. Das gab es vorher noch nie. Das wird ein Riesenrenner.

Forschung, Entwicklung, Umsetzung. Sie scheinen alles selbst zu machen.

Da weiss man, woran man ist.

 

Und braucht einen langen Atem. Bis die Ergebnisse der Forschung in die Maschinenentwicklung eingeflossen und diese Maschinen dann im Training etabliert sind, kann rasch ein halbes Menschenleben vergehen.

Wenn Sie es von Dritten, etwa Universitäten, machen lassen, dann haben Sie recht. Wenn ich aber mit meinen
Leuten alles selbst mache, dann dauert es von der Idee bis zur Serie nur sechs Monate.

 

Wo finden Sie Ihre Ideen?

Unser ganzer Bewegungsapparat ist reine Mechanik. Seine verschiedenen Segmente erfordern verschiedene Maschinen. Das ist unser Ausgangspunkt, hier lassen wir uns inspirieren. Ein Durchbruch war folgende Beobachtung: wenn ein Bein nach einem Unfall oder einer Operation schwächer ist, dann schont es der Patient automatisch. Dadurch entstehen Dysbalancen, die zu einer schlechten Haltung bis hin zur Rückenkrankheit führen können. Daher muss man den Patienten zwingen, das schwache Bein zu belasten. Und dazu braucht es die Maschinen.

 

«Mechanik», «Maschine», «Zwang». Ihr Vokabular scheint nicht darauf angelegt zu sein, zum Besuch Ihrer Studios zu verführen.

Der Mensch wächst am Widerstand.

 

Oder weicht ihm aus. Wie schaffen Sie es nun, die Leute in Ihre Studios zu bringen?

Hegel sprach von der Einsicht in die Notwendigkeit.

 

Und die Bibel davon, dass der Geist willig sei, das Fleisch aber schwach. Die Wellnessbewegung mit Dampfbad, Massage, Musik und isotonischen Getränken scheint ihr recht zu geben. 

Gegen Wellness habe ich nichts. Doch all das darf man nicht mit Training verwechseln. Denn Training bedeutet einen Eingriff in die Reserven. Das hat nichts mit Erholung zu tun. Sie können jahrelang Wellness betreiben, aber Sie werden kein objektiv messbares Resultat erzielen.

 

Wenn ich mich in Ihrem Arbeitsraum hier umschaue, habe ich den Eindruck, Sie hängen der Idee des Menschen als Geisteswesen an – all die Bilder, all die Bücher, all die Musikinstrumente. Passt nicht zum Klischee des Muskeltrainers.

Ich bin im philosophischen Sinne Materialist. Ich glaube nicht, dass es eine Seele gibt. Die Seele hat für mich keine eigene Wirklichkeit.

 

Immerhin haben Sie ein Buch veröffentlicht mit dem Titel «Die Seele der Muskeln».

Eben. Wir sind vor allem Muskeln, Bindegewebe und noch ein bisschen andere Materie. Wir sind ein Zellhaufen. Das ist alles. Und die Seele ist überall im Körper, vor allem in den Muskeln, aus denen wir nun mal grösstenteils bestehen.

 

Und wenn der Körper verkommt, verkommt auch die Seele. Kieser Training also auch als Seelsorge.

Der Körper verkommt aus verschiedenen Gründen. Ich meine erkannt zu haben, dass einer der Gründe der Mangel an Widerstand ist. Und nicht der Mangel an Bewegung. Bewegung hat als solche keine Qualität. Erst wenn sie Widerstand überwindet, bildet sich ein Reiz zum Erhalt und Aufbau von Muskeln. Ansonsten lösen sich Muskeln und Knochen auf. Dies sieht man etwa an den Wasserballspielern. Diese haben zwar genügend Bewegung, bekommen aber dennoch Osteoporose, weil das Wasser sie trägt. Das alles zeigt, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur ein bisschen rumhampeln, sondern uns gezielt dem Widerstand aussetzen. Kieser Training bietet diesen Widerstand. Das ist weder besonders aufregend noch besonders sexy, aber dafür funktioniert es.

Sie verlangen von Ihren Kunden eine gehörige Portion Rationalität und Selbstüberwindung.

Das ist richtig. Aber es gibt solche Leute; immerhin haben wir um die 300’000 Kunden weltweit. Und einige sagen: «Das Training tut mir zwar gut. Aber diese Maschinen sind furchtbar».

 

Waren Sie nie versucht, die Maschinen etwas weniger martialisch und die Trainingsräume etwas weniger karg aussehen zu lassen?

In den 60er Jahren waren unsere Räume sehr farbig: orange
Decke, grüner Boden. Doch sobald Sie Farbe reinbringen, gibt es Diskussionen. Es ist wie mit der Musik. Der eine mag Herbie Hancock, der andere hört Beethoven.
Da liegt zuviel Konfliktstoff. Darum lassen wir alles weg. Die ganze Geschichte des Kieser Trainings ist eigentlich eine Geschichte der Reduktion. Was übrigbleibt, sind Knochen und Muskeln.

 

Noch fällt mir diese Reduktion schwer. Lässt sich aus der Qualität der Knochen-Muskel-Ausstattung wenigstens etwas Trost schöpfen?

Nein. Der Mensch ist eine katastrophale Fehlentwicklung der Evolution. Schauen Sie nur die Wirbelsäule an. Das ist doch keine Säule! Das ist eine Brücke! Beim Hund funktioniert sie auch noch als solche. Aber durch das Aufrichten haben wir ein Problem geschaffen. Wir haben von der stabilen Brücken- in die labile Säulenhaltung gewechselt. Eine grosse Schwachstelle ist vor allem der untere Rückenbereich. Katastrophal.

 

Sie sagen, der Mensch wachse am Widerstand. Was waren denn die Widerstände, an denen Sie gewachsen sind?

Der grösste Widerstand war, dass ich anfangs kein Geld hatte. Die Maschinen des ersten Studios waren daher aus Alteisen. Das Kilo für 40 Rappen beim Schrotthändler. Das war 1966.

 

Ich nehme an, Sie haben aus dem Schrott alles eigenhändig zusammengeschraubt und -geschweisst.

Ich habe damals ein gebrauchtes Schweissgerät und ein Buch über das Schweissen gekauft. Geholfen hat mir, dass ich von Haus aus Tischler bin. Auch habe ich schon als Kind meinem Vater geholfen, der immer alles selbst gemacht hat: unser Haus gebaut, Leitungen verlegt, die Heizungen montiert. Nach dem Krieg war das selbstverständlich. So bin ich schon früh mit dem Schrottplatz in Berührung gekommen.

 

Das passt ja gut zusammen: Schrottplatz und Mängelwesen Mensch. Wer waren denn Ihre ersten Kunden?

Dass ich auch Kunden brauchte, das fiel mir erst ein, als ich das Studio schon hatte. Also lud ich alle meine Kollegen aus dem Spitzensport ein. 40 bis 50 Leute kamen, nicht genug, auch wenn alle zahlten. Daher organisierte ich eine Pressekonferenz. Und es erschien tatsächlich ein Journalist! Er schrieb einen grossen Artikel für die Neue Zürcher Zeitung. Sehr schön. Viele Sportasse kamen daraufhin, Leute, die später berühmt wurden. 1967 waren wir eine Art Weltmeisterclub – 23 Weltmeister oder Olympiasieger verschiedener Disziplinen trainierten bei mir. Das hat mir Reputation verschafft, aber immer noch nicht genügend Kunden.

 

Wer mag sich auch schon ständig dem Vergleich mit Weltmeistern aussetzen.

Eben. Die Meinung damals war: bei Kieser sind die Asse, da kann ich nicht hin, da werde ich gar nicht erst reingelassen. Doch es gab noch eine andere entscheidende Beobachtung, die meinen Fokus änderte: die wenigen Nichtsportler, die bei mir trainierten, profitierten ernorm. Mir wurde klar, dass diese Art des Trainings selbst für sogenannte Bewegungsidioten ideal ist.

 

Nur muss die Masse dieser Bewegungsidioten erst einmal überzeugt werden.

Ich profitierte von der Fitnesswelle, die Anfang der 70er anrollte. Die Leute kamen von selbst. Und sie kamen zu mir, weil ich der erste war, der Fitness anbot.

 

Sie waren der erste, aber wahrscheinlich bald nicht mehr der einzige.

John Valentine etwa war bald auf dem Markt. Mit ihm konnte ich nicht mithalten. Der hatte, was man heute Wellness nennt, einschliesslich verchromter Hanteln, alles sehr schick. Ich dachte mir damals, wenn ich jetzt schon Unternehmer bin, dann muss ich wohl mitziehen. Daher bestückte auch ich meine Studios mit Saunas und all so einem Kram. Die Sauna hatte dann auch sehr viel Zulauf. Die Leute lagen nur noch herum und wurden immer fauler. Schliesslich begannen sie dort auch noch zu picknicken. Da hat es mir gereicht. Ich habe alle Extras wieder rausgeschmissen. Ein Drittel der Kunden blieb weg, der Umsatz brach ein.

 

Kein Anlass für Sie, den Schnickschnack reumütig wieder einzubauen?

Umsatz ist nicht das Leben. Ich war erleichtert, hatte wieder ein gutes Gefühl. Bald kamen auch wieder Leute. Ich hatte Glück. Von Zielgruppen und Marketing hatte ich damals keine Ahnung. Aber es kamen immer mehr, vom Zuhälter bis zum Theologieprofessor, alle waren da. Eine faszinierende Heterogenität. Die Kundschaft wuchs und wurde immer grösser, bald hatte ich 1’400 Kunden. Und das in einem kleinen Laden. Ich stand vor der Entscheidung, entweder zu expandieren oder zu limitieren. Also hing ich Plakate mit der Aufforderung auf, dass die Leute niemand neuen mehr mitbringen sollten. Das hatte dann genau den umgekehrten Effekt.

 

Der Kapitalismus belohnt den Mangel. 

Und häufig nicht die Leistung. Auch wenn klein-aber-fein schön gewesen wäre, habe ich mich dann doch entschlossen, zu expandieren. Nach 10 Jahren liefen 14 Betriebe in der Schweiz. In den folgenden 7 Jahren dann hundert Betriebe in Deutschland und Österreich. Inzwischen sind es 151 mit einem Umsatz von 170 Millionen Franken.

 

Vieles, was Sie bisher erzählt haben, deutet darauf, dass Sie sich auf Ihr Gefühl verlassen. Sie scheinen als Jungunternehmer ohne Zielgruppenanalyse, Marketingexperten oder einen Businessplan ausgekommen zu sein.

Mit Businessplänen und einer Zielgruppenkonzeption wird kein Unternehmen gegründet. Anfänge sehen meist anders aus, kommen oft aus dem Schrottplatzambiente. Ich habe alles erst im Laufe der Zeit gelernt. Ich habe mich weitergebildet, habe unzählige Bücher gelesen. Ich habe auf der Suche nach Antworten die Weltliteratur geplündert.

 

Haben Sie schon als junger Mensch davon geträumt, einmal Unternehmer zu werden?

Nein, damals habe ich geboxt. Und wie alle Boxer, wollte ich Weltmeister werden.

 

Was wurde daraus?

Beim Training, kurz vor der Schweizermeisterschaft 1958, zog ich mir eine Rippenfellquetschung zu. Eine schmerzhafte, ein ernste Sache. Ich durfte vorerst nicht mehr trainieren und sollte mich schonen. Darauf bestand der Arzt und auch mein Trainer. Doch ein Profi aus Spanien, mit dem ich befreundet war, überzeugte mich, dass das Quatsch sei. Gequassel von Theoretikern. Er riet mir, mit Gewichten zu trainieren, dann sei ich in wenigen Tagen wieder gesund. Und so war es dann auch. Es war wie ein Wunder. Das Urteil der Experten war falsch gewesen, es hatte auf Vorurteilen beruht. Seitdem habe ich ein grosses Misstrauen gegenüber Autoritäten und Leuten, die glauben, sie wüssten alles besser.

 

Kommen wir zum Schluss nochmals zu den Widerständen. Gab es auch welche, die Ihnen zu gross waren?

Immer dann, wenn Sie Heere von Anwälten beschäftigen müssen. Wie in Frankreich, wo es Unmengen staatlicher Vorschriften gibt, wenn Sie ein Unternehmen etablieren wollen. Kieser Training gibt es daher in Tschechien, Luxemburg, den Niederlanden, England, Spanien, Singapur, Australien und anderen Ländern, aber nicht in Frankreich. Doch es gibt neben der Staatsmacht noch einen anderen Widerstand, vor dem ich kapitulieren muss. Ich meine den des Marktes, wenn die Leute vom Kieser Training nicht begeistert sind. Etwa in Deutschland. Der «Spiegel» hat mich dort einmal als den «Todfeind der Orthopäden» bezeichnet.

 

Naheliegend, wenn man Ihnen so zuhört. Ich wundere mich übrigens, warum nicht schon längst jeder zu Ihnen ins Training kommt und die Zunft der Orthopäden weitgehend abgeschafft ist.

Das wundert mich auch.

 

Was machen Sie falsch? 

Wieso nicht viel mehr Menschen kommen? Meine Theorie ist, dass Kieser Training einen kognitiven Prozess voraussetzt; es braucht die Einsicht in die Notwendigkeit. Wir kriegen kein «Blick»- oder «Bild»-Publikum in die Studios. Das wurde mir bei Daimler-Chrysler bewusst. Dort gibt es an den Fliessbändern viele Ausfälle, weil den Arbeitern der Rücken schmerzt. Daher bot man ihnen an, jeden Tag zehn Minuten während der Arbeitszeit kostenlos zu trainieren. Doch wer kam? Die Manager! Nicht die Arbeiter! Denn diese sahen den Sinn nicht ein, oder es fehlte ihnen die Lust, mit den Kieser-Maschinen nochmals zu arbeiten. Wahrscheinlich braucht es einfach Zeit. Doch mit den Jahren können sich ja auch kognitiv anspruchsvolle Trends in der gesamten Bevölkerung durchsetzen. Vielleicht in 30, vielleicht auch erst in 100 Jahren ist Kieser Training dann so selbstverständlich wie Zähneputzen. Das hat ja anfangs des letzten Jahrhunderts auch kaum jemand gemacht.

 

 

Das Gespräch führte Suzann-Viola Renninger. Photographiert hat Giorgio von Arb.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Werner Kieser, geboren 1940 in Zürich, absolvierte nach der Schule eine Lehre als Tischler und strebte ein Leben als Boxprofi an. 1967 gründete er sein erstes Kraftstudio und entwickelte über Jahre das Kieser Training, das inzwischen in über 150 Studios angeboten wird.
www.kieser-training.ch

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