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Wer versucht, alleine einen
Bleistift herzustellen, erkennt die
Genialität der Marktwirtschaft

Auf den ersten Blick sieht ein Bleistift wenig kompliziert aus. Und doch schafft es niemand allein, auch nur einen einzigen herzustellen. Das Beispiel zeigt, wie bedeutsam die Arbeitsteilung und die Dezentralisierung des Wissens sind.

Wer versucht, alleine einen  Bleistift herzustellen, erkennt die  Genialität der Marktwirtschaft
Caran d’Ache hat in seiner Geschichte immer wieder mit unorthodoxen Marketing-Ideen auf sich aufmerksam gemacht. Das Bild stammt aus dem Jahr 1938. Bild: Caran d’Ache.

 

Als ich kürzlich die Manufaktur von Caran d’Ache besuchte, kamen Kindheitserinnerungen hoch. Jene der endlosen Zugfahrten aus der Romandie nach St. Gallen und ins Toggenburg, wo meine Grosseltern lebten. Als ich damals im Bahnhof Bern staunend am Caran d’Ache-Schaufenster vorbeikam, wusste ich nicht, dass die Bleistifte und Bären, die ich bewunderte, eine starke historische Verbindung zur Ostschweiz hatten.

Diese Geschichte erzählt Ralph Brühwiler in «Die Caran-d’Ache-Saga – von Genf in die Welt». Im Januar 1924 übernahm der St. Galler Unternehmer Arnold Schweitzer zusammen mit anderen die «Fabrique genevoise de crayons». Nach turbulenten ersten Jahren, in denen es in den Konkurs ging, befand sich das Unternehmen in einer Sackgasse. Es brauchte neuen Schwung. Von nun an sollte die Fabrik den Namen Caran d’Ache tragen.

Schweitzer war ein Marketinggenie der ersten Stunde. Um seine Produkte bekannt zu machen, liess er sich immer wieder etwas Neues einfallen. So fuhren seine Verkäufer in Autos mit einem riesigen Metallstift auf dem Dach durch die Schweiz.

Kooperation ohne zentrale Autorität

Ein Besuch bei Caran d’Ache ist auch eine Gelegenheit, sich an den Text «I, Pencil» von Leonard Read zu erinnern. Darin beschreibt der Ökonom den komplexen Prozess, der zur Herstellung eines Bleistifts führt. Er beginnt seine Demonstration mit der Behauptung, dass «niemand, egal wie intelligent er ist oder wie viele Titel auf seinen Namen folgen, in der Lage ist, einen Bleistift komplett selbst herzustellen».

Um dies zu beweisen, widmet sich Leonard Read seinem wichtigsten Rohstoff, der Kalifornischen Zeder. Aufgrund seiner Festigkeit und Knotenlosigkeit ist dieses Holz perfekt geeignet. Denken Sie an die Ausrüstung und das Wissen, das für die Pflege der Bäume, das Erkennen des richtigen Holzes für die Verwendung und die Entnahme erforderlich ist. Stellen Sie sich dann die Komplexität des Fachwissens vor, das für den Rest erforderlich ist: Transport und Zuschnitt des Holzes, Verarbeitung, Zugabe und Kontrolle anderer Rohstoffe und letztendlich, wenn das Produkt fertig ist, das Wissen darüber, wie man es verkauft und wie man seine Kunden erreicht.

«Hinter einem einfachen Gegenstand verbirgt sich eine ebenso spontane wie komplexe menschliche Organisation.»

Leonard Read hat recht: Hinter einem einfachen Gegenstand verbirgt sich eine ebenso spontane wie komplexe menschliche Organisation. Viele Personen, die an diesem Prozess beteiligt sind, haben keine Ahnung, dass sie mit ihrem Beitrag an der Herstellung eines Bleistifts mitwirken, und sie haben ihr Handwerk nicht zu diesem Zweck gelernt. Sie arbeiten zusammen, weil jeder davon profitiert. Es gibt keine zentrale Autorität, die sie leitet, sie reagieren einfach auf eine Nachfrage.

13 Meter Wissensvermittlung

In den Räumlichkeiten von Caran d’Ache befindet sich ein Kunstwerk namens «La grande fabrique». Dabei handelt es sich um «13 Szenen in 13 Werkstätten. Insgesamt 13 Meter lang», wie Ralph Brühwiler berichtet. Kleine Figuren illustrieren jeden Schritt bei der Herstellung eines Bleistifts.

Das Werk wurde von Arnold Schweitzer bestellt mit dem Ziel, dass «Kinder und Erwachsene sehen, wie komplex die Herstellung unserer Bleistifte ist». Es hat eindeutig das Potenzial, die Bedeutung der Arbeitsteilung und die Schwierigkeit, das Wissen zu verwalten, das für die Herstellung eines Produkts erforderlich ist, das uns doch banal erscheint, besser zu vermitteln als jedes Lehrbuch oder jede ökonomische Theorie.

 

Diese Kolumne erschien zuerst auf Französisch in «Le Temps».

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