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Wer nun krault den alten Hund?

Gern wird es Alex Capus nicht hören, aber wider besseres Wissen (Coverfoto!) stelle ich ihn mir als einen alten weisshaarigen Mann vor, auf den Stufen eines ebenso alten, farbenfrohen und windschiefen Schaustellerkarrens am Rande des Jahrmarkts. Er blickt in das Purpur der untergehenden Sonne, krault einen noch älteren Hund neben sich und beginnt zu erzählen, […]

Gern wird es Alex Capus nicht hören, aber wider besseres Wissen (Coverfoto!) stelle ich ihn mir als einen alten weisshaarigen Mann vor, auf den Stufen eines ebenso alten, farbenfrohen und windschiefen Schaustellerkarrens am Rande des Jahrmarkts. Er blickt in das Purpur der untergehenden Sonne, krault einen noch älteren Hund neben sich und beginnt zu erzählen, wenn die Schar der Kinder ruhig im Halbkreis sitzt. Er redet von Zeiten, als es auf der Welt noch Mohren gab und Mulatten im Morgenland und Männer und Frauen, die mit nur einer neuen Idee schon Revolutionäre oder Entdecker waren, Absinth tranken und Abenteuer erlebten.

In Wirklichkeit jedoch, so erzählt Capus in seinem aktuellen Buch «Himmelstürmer», sinniert er im Café seines Heimatortes Olten über Geschichten einstiger Schweizer Persönlichkeiten. Dabei verlässt sich Capus, wie schon im Vorgängerbändchen «Patrioten», weniger aufs Hundekraulen sondern viel mehr aufs Quellenstudium. Der Stil der gesammelten Biographien ist dennoch nicht verstaubt-gewichtig, als laste die Tonnage ganzer Bibliotheken auf dem Erzähler. Im Gegenteil, auch dieses Werk ist ein echter Capus: beschwingt, leichtfüssig und immer nur so ernst, dass sich der Leser nic ht durch totes «Bildungsgut» quält, sondern lebendige Geschichten miterlebt. Zwar haben sich in die «Himmelsstürmer» auch einige Erdkröten (Gattenmörderin Marie Roux vom Genfersee) und Bruchpiloten (Luftschiffhavarist S.J. Pauli aus Bern) eingeschlichen; aber der Bilderbogen von Madame Tussaud – alias

Marie Grosholtz, ebenfalls aus Bern – bis zum Raketenbauer Fritz Zwicky aus Glarus ist so rund und bunt und gelungen und ungezwungen, dass er wie eine fröhliche, dennoch zeitgenaue Kostümparade durch das neunzehnte und die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schunkelt. Vermutlich hat Capus sogar den Fehler absichtlich eingebaut, die Ermitage in Moskau anzusiedeln statt in Sankt Petersburg, um seinen Lesern die kleine diebische Freude an der Verbesserung zu gönnen; denn er will auf Augenhöhe unterhalten, nicht von obenherab belehren. Wer nun aber glaubt, es sei alles eitel Sonnenschein, übersieht die zentrale Frage: Wer krault den alten Hund?

vorgestellt von Michael Harde, Schalkenbach

Alex Capus: «Himmelsstürmer. Zwölf Porträts». München: Albrecht Knaus, 2008

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