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Wer Machtmissbrauch  verhindern will, muss die Macht begrenzen
Titus Gebel, zvg.

Wer Machtmissbrauch
verhindern will, muss die Macht begrenzen

Der politische Prozess führt zu einem Wettstreit um staatliche Sondervorteile und damit zu ­einer stetigen Aufblähung des Staates. Der einzige Ausweg ist ein System ohne Sondervorteile.

Eine wachsende Zahl von Menschen hat den Eindruck, dass die jetzigen Systeme an ihre Grenzen gelangt sind, ohne das Problem genau benennen zu können. Dieser Versuch soll hier unternommen werden.

Der Mensch neigt dazu, diejenige Gesellschaftsordnung zu bevorzugen, die ihm den höchsten Lebensertrag zum niedrigsten Preis bietet. Diese natürliche menschliche Veranlagung, im folgenden als Minimalprinzip bezeichnet, ist aus evolutionärer Sicht sinnvoll. Sie hat zu Innovation und Arbeitsteilung geführt, die es dem Durchschnittsmenschen heute in vielen Ländern ermöglichen, in einem Wohlstand zu leben, der früher nur privilegierten Oberschichten vorbehalten war.

Wenn die menschliche Disposition zum Minimalprinzip nun auf staatliche Macht trifft, entsteht ein Problem: Aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols kann die Politik Leistungen versprechen, welche die Empfänger scheinbar nichts kosten. In Wirklichkeit gehen sie freilich auf Kosten der anderen Bürger.

Das führt unausweichlich dazu, dass Interessengruppen mit Hilfe des Staates versuchen, ihren eigenen Nutzen auf Kosten anderer zu maximieren. Aus der Sicht der Empfänger sind staatliche Subventionen und Zuwendungen ein verlockendes Konzept: Ertrag ohne Aufwand. Die Gewährung von Kindergeld, kostenloser Gesundheitsver­sorgung oder demnächst eines bedingungslosen Grundeinkommens sind im Grunde Stimmenkauf. Solche Subventionen führen dazu, dass die Bevölkerung immer mehr kurzfristige Leistungen, bedingungslose Versprechen und zusätzliche «kostenlose» Angebote einfordert.

Daher steigen mit der Zeit zwangsläufig die Zahl der Gesetze, die Steuerbelastung und die Staatsausgaben. Folgerichtig wachsen die Staatsquoten fast aller Länder, mit Unterbrechungen, immer weiter an. Nach einschneidenden Reformen, wie etwa in Westdeutschland zu Zeiten Ludwig Erhards, im Schweden der 1990er-Jahre, in Grossbritannien während der Thatcher-Ära, dauert es meist nur wenige Jahrzehnte, bis die Staatsquote die Höhe vor den Reformen wieder erreicht oder gar überschritten hat. Auch die Staatsquote der Schweiz kennt seit über hundert Jahren trotz eines Knicks nach dem Zweiten Weltkrieg nur eine Richtung: nach oben (1910: 14 Prozent, heute: 33 Prozent1).

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erkannte der Franzose Frédéric Bastiat, dass der Staat «die grosse Fiktion [sei], nach der jedermann glaube, auf Kosten jedermanns leben zu können». Daran hat sich bis heute nichts geändert.

In der Theorie kann man dieses Problem mittels Einsatzes der Vernunft und Überzeugungsarbeit bewältigen, in der Praxis ist das Minimalprinzip stärker. Politiker oder Regenten, die Leistungskürzungen befürworten, werden über kurz oder lang abgewählt oder ausgetauscht.

Aus dieser Erkenntnis ergibt sich das folgende wiederkehrende Muster, der «politische Zyklus»:

  1. Nahezu alle Menschen streben danach, ihren Lebensstandard zu erhöhen. Sie wollen das auf eine möglichst einfache Weise tun.
  2. Der leichteste Weg, seinen materiellen Lebensstandard zu erhöhen, ist, anderen etwas wegzunehmen.
  3. Die meisten tun sich aber schwer, einfach in ein Geschäft zu marschieren und Waren ohne Bezahlung einzupacken oder dem Nachbarn das Geld aus der Tasche zu nehmen.
  4. Sie tun sich leichter, einen Dritten zu beauftragen, der das für sie mit dem Hinweis übernimmt, dass das Ganze rechtmässig sei, und der dem Vorgang zudem ein moralisches Mäntelchen umhängt.
  5. Daher wenden sich die Menschen an den Staat. Denn der Staat ist die einzige Institution, die ungestraft anderen die Früchte ihrer Arbeit wegnehmen darf. Das ändert aber nichts an dem Vorgang der Wegnahme, der in derselben Gesellschaft sonst den Tatbestand des Diebstahls beziehungsweise Raubs darstellt.
  6. Regierungen und Politiker bedienen diese Wünsche, andernfalls werden sie abgewählt oder abgesetzt zugunsten derjenigen, die das tun.
  7. Nach und nach finden immer mehr gesellschaftliche Gruppen heraus, wie sie die Macht des Staates für ihre Zwecke einsetzen können. Der Staat – nicht wirtschaftliche Aktivität – wird die Hauptquelle der Erhöhung des Lebensstandards.
  8. Immer weniger Menschen sind im produktiven Sektor tätig. Verteilungskämpfe werden intensiver, die Staatsverschuldung wächst.
  9. Dem Staat geht schliesslich das Geld aus. Die daraus resultierende Krise führt zu Radikalreformen oder gar Systemwechseln.
  10. Das Spiel beginnt von vorn.

 

Blick auf die Pristine Bay auf der Insel Roatán, die zu Honduras gehört. Die Region ist Teil des Privatstadtprojekts Próspera. Bild: Shutterstock.

Es ist fruchtlos, Menschen dafür zu tadeln, dass sie ­ihren evolutionären Veranlagungen folgen, oder sich über ­Politiker zu beschweren, weil sie die Wünsche der Wähler erfüllen. Die einzige Abhilfe besteht darin, die Macht zu ­dezentralisieren, aufzuteilen und zu begrenzen. Verfassungen können das nicht bewerkstelligen, da die jeweiligen Machthaber mit ihren Parlamentsmehrheiten und durch die Ernennung von Richtern sowohl Wortlaut als auch Auslegung der Verfassung weitgehend beliebig steuern können.

Je weniger Lebensbereiche die Politik kontrolliert, desto weniger wichtig ist es, wer die Politiker kontrolliert oder beeinflusst. Wer vermeiden will, dass der Staat Sondervorteile auf Kosten Dritter gewährt, muss ein Regierungssystem schaffen, das überhaupt keine Sondervorteile gewähren kann.2 Eines, das auf Freiwilligkeit beruht, nicht auf Zwang, auch nicht durch die Mehrheit.

  1. Siehe de.statista.com/statistik/daten/studie/249719/umfrage/
    historischestaatsquoten-ausgewaehlter-laender-im-vergleich/ und
    statista.com/statistik/daten/studie/216779/umfrage/staatsquote-in-der-schweiz/

  2. Vorschläge hierzu habe ich im Artikel «Wir müssen offensiv am Neuen bauen» gemacht (SM 1079, September 2020, S. 28).

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