Wer früher spart,
hat mehr davon
Die Vorsorgewerke stehen vor unsicheren Zeiten. Umso wichtiger wird eigenverantwortliche Vorsorge. Wer zeitig und regelmässig etwas auf die Seite legt, vergrössert seinen Spielraum erheblich.
Ob eine Frühpensionierung in zehn Jahren aus finanzieller Sicht denkbar sei, wollte das Konkubinatspaar von mir wissen. Beide waren rund 50 Jahre alt, er Innenarchitekt, sie Augenärztin, beide kinderlos und in einer Mietwohnung im Kanton Luzern zu Hause. Ich studierte die erhaltenen Unterlagen. Eine Säule 3a hatten leider beide nicht. Dafür waren die beiden Pensionskassentöpfe gut gefüllt. Basierend auf dem erhaltenen Budget ergab sich ein hoher Einnahmenüberschuss. Somit lag eine komfortable finanzielle Situation vor. Für eine frühere Pensionierung würde es bestimmt reichen.
Bezüglich freier Vermögen lagen mir bloss drei Kontoauszüge mit etwas Liquiditätsreserve vor. Aufgrund des hohen Einnahmenüberschusses ging ich davon aus, dass mir Informationen fehlten, zum Beispiel Depotauszüge oder Unterlagen zu Sparkonten. Schliesslich hätte das Paar in den letzten 20, 25 Jahren vermutlich jedes Jahr eine fünfstellige Summe ansparen können. Ich fragte im Gespräch vorsichtig nach weiteren Vermögenswerten. Doch ich hatte mich getäuscht. Die circa 120 000 Franken auf den drei Konten waren alles, was die beiden – abgesehen von Autos, Uhren, Schmuck und einer Kunstsammlung – besassen. Wieso hatte das gut ausgebildete, sehr gut verdienende Paar über all die Jahre kaum Vermögen angespart? Wohin war der grosse jährliche Einnahmenüberschuss geflossen? Die beiden wussten es nicht.
Sie waren und sind damit nicht alleine. Viele Kunden fragen mich, wie sie Kosten für Versicherungen oder Hypotheken sparen oder ihre Steuerbelastung senken könnten. Sie möchten wissen, ob sie sich eine teure Renovation, ein Ferienhaus, eine Weltreise oder einen Erbvorbezug an die Kinder leisten können. Selbstverständlich analysieren wir diese Punkte gemeinsam. Aber Tatsache ist: Viel Geld versickert stetig und unbemerkt.
«Viel Geld versickert stetig und unbemerkt.»
Einer meiner Söhne besucht seit den Sommerferien die Kantonsschule. Ich hatte ihm vorgeschlagen, ihm für das Znüni, das Mittagessen sowie ab und zu für etwas Süsses einen Pauschalbetrag zu überweisen. Er rechnete schnell aus, mit welchem Menü er täglich wie viel sparen könnte. Dieses Geld wollte er in seinen kleinen, neuen Aktiensparplan mit Exchange Traded Funds (ETF) auf den SMI und den MSCI World investieren. Selbstverständlich monierten die anderen Buben sofort, die Essenspauschale sei nicht zum Sparen gedacht. Aber setzen wir das Gedankenspiel doch trotzdem fort: Angenommen, mein Sohn würde durch eine gezielte Menüwahl täglich 1 Franken sparen. Wir rechnen der Einfachheit halber mit 15 eingesparten Franken pro Monat während 6 Jahren. Dieses Geld würde laufend in einen Sparplan investiert. Nach der Matura bliebe dieser Sparplan bis zur Pensionierung unangetastet. Bei einer angenommenen Nettorendite von 3 Prozent hätte mein Sohn bei seiner Pensionierung in diesem Sparplan ungefähr ein Guthaben von 4500 Franken. Wenn er nach der Matura bis zur Pensionierung weiterhin 15 Franken pro Monat investieren würde, wären es bei der Pensionierung ungefähr 22 500 Franken.
Hätten mein Kunde und seine Partnerin in den letzten 20 Jahren pro Monat je 500 Franken angespart, würden sie heute bei derselben angenommenen Nettorendite über zusätzliches Vermögen von mehr als 300 000 Franken verfügen. Die möglichen Steuerersparnisse durch Beiträge an Säulen 3a sind dabei noch nicht berücksichtigt. Basierend auf dem berechneten Einnahmenüberschuss wären in den letzten Jahren sogar jährliche Sparbeiträge von 40 000 bis 50 000 Franken möglich gewesen. Ein heutiges Guthaben im hohen sechsstelligen oder gar siebenstelligen Bereich wäre also durchaus realistisch gewesen. Das hätte nicht nur die gewünschte Frühpensionierung um den 60. Geburtstag der beiden Konkubinatspartner ermöglicht, sondern auch massgeblich dazu beigetragen, den finanziellen Lebensstandard im dritten Lebensabschnitt beizubehalten.
Priorisierung von Wünschen
Nach der Pensionierung wird das Paar mit deutlich weniger Einnahmen leben müssen. Bei einer ordentlichen Pensionierung wären es gemäss der erstellten Finanzplanung rund 35 Prozent weniger, bei der gewünschten Frühpensionierung rund um die beiden 60. Geburtstage sogar etwa 45 Prozent weniger. Für die beiden Konkubinatspartner stellt sich nun die Frage, was für sie Priorität hat: Möchten sie an der gewünschten Frühpensionierung festhalten? Wenn ja, wie sehr sind sie bereit, sich in den verbleibenden zehn Erwerbsjahren sowie nach der Pensionierung einzuschränken? Oder umgekehrt formuliert: Wie gross wäre der Gewinn an finanzieller Sicherheit, Stabilität und Lebensqualität bis ins hohe Alter, wenn sie eine spätere Pensionierung ins Auge fassen würden? Eine sehr individuelle Frage der Gewichtung von Bedürfnissen und Träumen in verschiedenen Lebensabschnitten.
Düstere Aussichten
Nicht alle Menschen stehen aber vor dem Luxusproblem, von einer geplanten Frühpensionierung mit 60 Jahren vielleicht auf eine ebensolche mit 63 Jahren umdenken zu müssen. Vor allem wird sich die Generation, die erst in 20, 30 oder 40 Jahren pensioniert wird, voraussichtlich nicht mit solchen Luxusfragen beschäftigen können. Die Lebenserwartung steigt, wodurch Pensionierte während immer mehr Jahren ihre Rente beziehen. Die geburtenstarken Jahrgänge werden zurzeit und in den kommenden zehn Jahren pensioniert, was zu einem wachsenden Missverhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbezügern führt. Diese Entwicklungen sowie starre Vorgaben und tiefe Zinsen führen gezwungenermassen zu Umverteilungen von Jung zu Alt, die nicht dem Grundgedanken des 3-Säulen-Systems entsprechen. Die heutigen jungen Arbeitnehmer finanzieren daher laufende AHV-Renten und zahlen Pensionskassenbeiträge, ohne zu wissen, mit welcher AHV-Rente sie später einmal rechnen können und inwiefern die geleisteten Pensionskassenbeiträge ihnen im Alter tatsächlich zugutekommen werden. Verschiedene Vorstösse zur nachhaltigen Stabilisierung der AHV und der zweiten Säule sind lanciert worden. Die Annahme der Reform AHV 21 in der Volksabstimmung war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Er reicht aber noch nicht aus. Weitere Schritte zugunsten unserer heutigen und künftigen Kinder und Grosskinder werden folgen müssen. Umso wichtiger ist die eigenverantwortliche Vorsorge.
Drei Grundsätze
Damit kommen wir zurück zu meinem 13jährigen Sohn. Er wächst in einer Zeit der raschen Veränderungen und Unsicherheiten auf: Digitalisierung, Klimaveränderungen, Corona, Homeoffice und Fernunterricht, Negativzinsen, Ukrainekrieg sowie drohende Stromengpässe und Inflation. Doch gleichzeitig beobachte ich bei dieser Generation ein sehr grosses Bewusstsein für Themen rund um Konsum, Mobilität, Umwelt und Tierschutz. Sie fordert mehr Transparenz, mehr Sein als Schein und zeigt eine grosse Bereitschaft zu Veränderungen. Vielleicht verleihen die aktuellen Veränderungen und Unsicherheiten der heutigen Jugend den notwendigen Antrieb, um zu einer Bescheidenheit, Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung zurückzufinden, die mit der vorsichtigen und langfristigen Planung der eigenen finanziellen Situation einhergeht – stets im Wissen darum, dass wir uns gegen unerwünschte Ereignisse nur teilweise absichern können, dass sich alles verändern kann und dass wir nicht immer von jemandem aufgefangen werden.
«Vielleicht verleihen die aktuellen Veränderungen und Unsicherheiten der Jugend den Antrieb, um zu einer Bescheidenheit, Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung zurückzufinden, die mit der langfristigen Planung der eigenen finanziellen Situation einhergeht.»
Mein Sohn lernt nun erstens im kleinen, geschützten Rahmen, was ein Budget ist und wie man dessen Einhaltung überwacht. Zweitens hat er begriffen, dass jeder Kauf, jede Investition, jeder Konsum gut überlegt sein will. Schliesslich verinnerlicht er, dass ihm grundsätzlich alles, was er heute spart, später einen Nutzen stiften kann. Diese drei einfachen Grundsätze sollten meiner Meinung nach nicht nur für meinen Sohn, sondern für uns alle die Grundpfeiler einer eigenverantwortlichen Vorsorge und einer ausreichenden finanziellen Sicherheit sein – heute wie in Zukunft und möglichst unabhängig davon, wie gut es unseren Vorsorgewerken in 20, 30 oder 40 Jahren gehen wird. Die Politik unterstützt dies hoffentlich, indem sie – neben der Stabilisierung der ersten und zweiten Säule – eigenverantwortliches Sparen weiterhin fördert.