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«Wenn wir das Potenzial der Automatisierung nutzen, haben wir in der Schweiz sehr gute Chancen»
Arnold Furtwaengler, fotografiert von Daniel Jung.

«Wenn wir das Potenzial der Automatisierung nutzen, haben wir in der Schweiz sehr gute Chancen»

2016 hat die Wander AG die Produktion des Ovomaltine-Brotaufstrichs vollständig in die Schweiz geholt. CEO Arnold Furtwaengler hat mit der Produktion im Hochlohnland gute Erfahrungen gemacht. Aktuell kämpft er mit hohen Rohstoffpreisen.

 

Arnold Furtwaengler ist seit 2011 CEO der Wander AG, die ihren Hauptsitz in Neuenegg hat, im Südwesten der Stadt Bern. Die Firma hat bekannte Marken wie Ovomaltine, Caotina, Dawa oder Isostar aufgebaut und beschäftigt heute rund 265 Mitarbeitende. Als Teil des Konzerns Associated British Foods (ABF) vertreibt Wander in der Schweiz aber auch etwa die Twinings-Tees.

 

Herr Furtwaengler, was bedeuten die aktuell hohen ­Energiepreise für die Wander AG?

Wir haben letztes Jahr in Neuenegg unsere Energieversorgung von Öl auf Flüssiggas umgestellt, um den CO2-Fussabdruck zu verkleinern. Unser Flüssiggas kommt vorwiegend aus den USA und teilweise aus dem Mittleren Osten; russisches Gas verwenden wir keines. Jedoch sucht jeder, der Gas über Pipelines bezieht, jetzt nach Ausweichmöglichkeiten. Deshalb steigen auch unsere Energiepreise steil an, sie erhöhen sich jede Woche. Rein finanziell wäre es günstiger, würden wir noch Öl verwenden.

Gab es auch bei gewissen Rohstoffen für die Produktion starke Preisaufschläge?

Ja, die Preise gehen wirklich nur in eine Richtung: Sie steigen für alle Rohstoffe im zweistelligen Bereich. Verpackungsmaterial wird teurer, auch die Transportkosten gehen hoch. Das gab es noch nie. Unsere Leitmarke ­Ovomaltine enthält Malz, das aus Gerste hergestellt wird. Meistens redet man über Weizen, aber die Situation auf dem Getreidemarkt ist insgesamt angespannt, die Preise explodieren auch bei der Gerste. Bei unserem Brot­aufstrich Ovomaltine Crunchy Cream haben wir vom Palmöl auf Rapsöl umgestellt; aber auch das verteuert sich extrem.

Gibt es auch Rohstoffe, die Sie gar nicht mehr erhalten?

Eine Zutat von Ovomaltine Crunchy Cream ist Lecithin, ein natürlicher Emulgator. Es ist eine Art Fliessmittel im Prozess und hilft bei der Streichfähigkeit des Produkts, ist aber nur im Promillebereich enthalten. Der Markt für Lecithin aus Sonnenblumen ist praktisch zusammen­gebrochen. Zuerst haben wir von flüssigem Sonnen­blumenlecithin auf trockenes umgestellt. Das ist nun auch nicht mehr erhältlich, weshalb wir uns nach Alternativen ­umschauen. Die Teams von Einkauf, Entwicklung und ­Produktion sitzen deshalb regelmässig zusammen und ­suchen nach kreativen Lösungen. Es ist ein ­täglicher Kampf um Verfügbarkeit, Kosten und Umsetzung.

Werden Ihre Produkte aufgrund dieser Situation bald teurer?

Im letzten Herbst hatten wir noch gehofft, dass sich die ­Situation schneller entspannt. Das ist aber nicht passiert. Im Gegenteil, die Preise unserer Rohstoffe sind im zweistelligen Bereich teurer geworden. Darum müssen wir nun einen Teil der höheren Kosten weitergeben. In der Schweiz werden wir unsere Preise um 5 Prozent erhöhen. Es geht aktuell nicht anders.

Neben dem Wander-Hauptsitz in Neuenegg bei Bern produziert die Associated British Foods Ovomaltine auch in Bangkok und Schanghai: Sind diese Standorte ebenfalls von den ­Preiserhöhungen und Lieferschwierigkeiten betroffen?

Ja, es ist ein weltweites Thema.

«Es sind pro Schicht

nicht 20 Leute an

einer Linie beschäftigt,

sondern nur drei.»

In Schanghai kommen noch die Folgen der strengen Corona­politik Chinas dazu. Was heisst das für das dortige Werk?

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das extrem schwierig. Sie werden zum Teil daheim eingeschlossen. Manche haben deshalb in einer ersten Phase bei ihrem ­Arbeitsplatz gezeltet, um weiter produzieren zu können. Danach wurden die Massnahmen nochmals strenger. Die Covidsituation hat speziell auf das Transportwesen riesige Auswirkungen. Es wird zwar produziert, aber nur wenige Produkte werden ausgeliefert.

Der Standort in Neuenegg wurde 2016 ausgebaut. Seither wird der Brotaufstrich Ovomaltine Crunchy Cream hier produziert und nicht mehr extern in Belgien hergestellt. Wie kam es dazu?

Das ist eine wunderschöne Geschichte. Wir sind 2005 mit diesem neuen Produkt gestartet. Damals gab es in der Schweiz keine zufriedenstellende Möglichkeit, es zu produzieren. Deshalb sind wir ins zweitbeste Schoggiland der Welt gegangen, nach Belgien. Nach einigen Jahren haben wir gesehen, dass Crunchy Cream stark wächst – im Schnitt 20 Prozent pro Jahr, in Europa und ausserhalb. Wir sahen deshalb eine Chance für den Standort Neuenegg, eine Möglichkeit, ein attraktives Geschäft mit einer neuen Technologie hier anzusiedeln – unsere Haupttechnologie zuvor war das Pulver. Weil die Wander AG aber Teil einer internationalen Gruppe ist, lag die Entscheidung nicht bei uns allein.

Wie ich gelesen habe, mussten Sie die Leitung der Associated British Foods überzeugen. Aus London hiess es: «Arnold, but ­seriously, not in the most expensive country in Europe!»

(Lacht) Dass wir es als Gruppe selber machen, stand fest. Aber an welchem Standort? Wir haben uns für die Schweiz eingesetzt, in London war auch Polen hoch im Kurs, wo der Konzern schon zwei Fabriken hat. Letztlich konnten wir mit den Vorteilen der Schweiz überzeugen: mit leidenschaftlichen und hochqualifizierten Mitarbeitern und einer hochautomatisierten Anlage.

Warum haben Sie sich so für den Standort Schweiz eingesetzt?

Ich bin überzeugt, dass wir es in der Schweiz besser können. Wir haben hier eine super Mannschaft mit sportlicher Einstellung. Ja, die Löhne in der Schweiz sind fünf- bis zehnmal höher als in Polen. Aber die Qualifikation und die Einstellung der Leute ist auch eine andere. Wir haben ein hervorragendes System der Berufsbildung. Genau diese Qualifikationen braucht es für hochkomplexe Anlagen.

Die Investitionen lagen bei rund 10 Millionen Franken. Wie geht das bei dieser Lohndifferenz finanziell auf?

Mit einem hohen Grad an Automatisierung. Es sind pro Schicht nicht 20 Leute an einer Linie beschäftigt, sondern nur drei. Unsere internationale Konkurrenz ist stark, deshalb muss die Schweiz mit hoher Wertschöpfung überzeugen. Wir müssen uns immer wieder fragen, wie wir effizienter und besser werden können.

Wie fällt die Bilanz nach sechs Jahren aus?

Crunchy Cream wächst weiterhin zweistellig. Und wir haben die Umstellung von Palmöl hin zu Schweizer Rapsöl geschafft. Es dauerte zwei Jahre, bis der Aufstrich gleich gut schmeckte und sich gleich gut streichen liess. Dass wir auf einen Schweizer Rohstoff umstellen konnten, der nicht 15 000 Kilometer transportiert werden muss, war sehr ­erfreulich.

Crunchy Cream wird für die ganze Welt in Neuenegg ­produziert. Das Produkt ist etwa in Indonesien erfolgreich, als Aufstrich für süsse Pancakes. Wäre eine ­Produktion in Asien nicht sinnvoll?

Das darf man nicht ausschliessen. Insgesamt funktioniert die Auszeichnung «hergestellt in der Schweiz» auch sehr gut, gerade auch in Indonesien oder in Saudi-­Arabien, wo es als Zutat für Kuchen verwendet wird. Wir spielen die Karte der Swissness, auch wenn sie nicht überall gleich wichtig ist. Wir könnten in Neuenegg noch viel mehr produzieren, bevor wir an einen anderen Standort gehen müssten. Es ist schön, dass wir mit diesem stark wachsenden Produkt die ganze Welt bedienen können.

In welchen Märkten ist Swissness wichtig, wo weniger?

In der Schweiz selber hat die Bedeutung der Swissness in den letzten zehn Jahren wieder zugenommen, was schön ist. Auch in Deutschland ist der Absender «Schweiz» ex­trem wichtig; er steht für Topqualität, Zuverlässigkeit und gute Schokolade. Deutschland ist weltweit der wichtigste Markt für Crunchy Cream. Daneben sind Frankreich und Italien grosse Märkte für Brotaufstrich. Den Franzosen ist Swissness aber weniger wichtig.

Hat es in Deutschland ein Schweizerkreuz auf dem Glas, in Frankreich nicht?

Das ist effektiv so. Wir versuchen, die Konsumenten in ­jedem Markt zu verstehen, und gehen auf lokale Gegebenheiten ein.

Aus Ihrer Beobachtung: Gibt es in der Schweizer Industrie ­insgesamt einen Trend hin zur Rückkehr zur inländischen ­Produktion?

Ich würde das befürworten. In der Lebensmittelbranche stelle ich bisher keinen starken Trend fest. Es wäre aber eine grosse Chance für die Schweiz. Denn ich bin überzeugt, dass die Mischung, welche das Land bietet, einfach Gold wert ist. Ich lebte über 20 Jahre im Ausland und sehe diese Vorzüge deshalb klar.

Wurden bei Ihnen die Lieferketten einfacher durch die ­Umstellung auf Produktion in der Schweiz?

Ja, wir müssen kein Ovo-Pulver mehr nach Belgien liefern. Auch durch die Umstellung von Palmöl auf Rapsöl konnten wir Transporte einsparen. Milch und Zucker beziehen wir auch aus der Schweiz. Unsere Gerste kommt aus Frankreich, weil sie in der Schweiz nicht in derselben Qualität angebaut wird. Die Haselnüsse beziehen wir aus Italien. Unsere Verpackungsmaterialien kommen primär aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Wenn es Probleme mit den Lieferketten gibt, hilft es, wenn die Lieferanten in der Nähe sind. Beim Lecithin haben wir gesehen, dass wir auch bei kleinen Mengen weiterhin von internationalen Lieferketten abhängig sind. Auch der für uns wichtige ­Kakao wächst nicht in Europa.

Inwiefern spielen bei diesen Überlegungen auch ­Transportkosten und Ökologie eine Rolle?

Bei unseren Verpackungen in England und Frankreich stellen wir gerade um von klassischem Plastik auf rezyklier­bares PET. Auch unsere Schweizer Verpackungen werden Schritt für Schritt umweltfreundlicher. Ökologie und regionalpolitische Überlegungen können sich oft ergänzen. Lange galt in der Wirtschaft die Maxime: «Alles ist besser im Osten.» Wir zeigen aber, dass auch die Schweiz wett­bewerbsfähig ist.

«Wenn es Probleme mit

den Liefer­ketten gibt,

hilft es, wenn die ­Lieferanten

in der Nähe sind.»

Sie haben aber weiterhin Produktionen in Asien. Gibt es hier Pläne, weitere Teile in die Schweiz zu holen?

Es braucht ein Gleichgewicht. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, dort zu produzieren, wo die Konsumenten sind. In der Schweiz ist der Umsatz pro Kopf am höchsten, hier ist ­unser Innovationsmotor für neue Produkte. In absoluten Zahlen ist aber Thailand der wichtigste Markt für die ABF-Gruppe – Ovo-Pulver und flüssige Getränke laufen dort ­besonders gut. Es ist darum sinnvoll, in Bangkok zu produzieren.

Raten Sie anderen Firmen, ihre nächsten Produktionslinien in der Schweiz zu planen?

Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, auf die Karte Schweiz zu setzen. Ich bin gerne ein Botschafter für Produktion in der Schweiz.

Was soll der Staat in dieser Frage tun?

Gute Rahmenbedingungen ermöglichen, wie etwa das gute Bildungssystem oder die politische Stabilität. Dem müssen wir Sorge tragen, denn gute Rahmenbedingungen sind das A und O, damit man ein unternehmerisches Risiko eingehen kann. Im Bereich der Energieversorgung muss die Schweiz aktiver werden. Nicht nur aus Sicht der Liefer­ketten, sondern auch wegen der Nachhaltigkeit und Ökologie würde es Sinn machen, bei der Energie noch unabhängiger zu werden.

Bei aller Begeisterung für die Schweiz: Droht gerade der ­Nutzen der internationalen Arbeitsteilung etwas übersehen zu werden?

Ja, denn der internationale Wettbewerb trägt Früchte. Es tut uns gut, wenn wir uns anstrengen und zum Beispiel ­gegen Polen antreten müssen. Meine Kernbotschaft ist: Wir können noch viel mehr in der Schweiz gut machen, wenn wir wirklich wollen und das intelligent planen.

Sie wurden in Japan geboren, haben Ihre Kindheit in ­Kalifornien und England verbracht, kennen verschiedene ­Länder sehr gut: Denken Sie, dass wir gerade an einer ­Bruchstelle des Freihandels, der Globalisierung stehen?

Ich glaube, dass sich letztlich der beste Weg durchsetzt. Vielleicht werden wir aus einer Phase, in der man zu einseitig auf internationale Kostenoptimierung geschaut hat, heraustreten. Man muss auch die eigene Region im Blick behalten. Jedoch kann und muss die Schweiz nicht alles selber machen. Sie war immer stark durch ihre internationale Vernetzung. Es braucht also beides: eine gute Kombination aus Lokalem und Globalem.

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