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«Wenn du schnell sein willst, geh langsam»

(Chinesisches Sprichwort)

 

Zhao Qinghua leitet seit ein paar Wochen das chinesische Generalkonsulat in Zürich. Mitte August hielt er beim Eröffnungsempfang eine Rede. «Ich denke», sprach er besorgt, «es gibt noch viele Menschen in der Schweiz, für die die Volksrepu­blik China ein unbekanntes Wesen darstellt.»

Geng Wenbing ist chinesischer Botschafter in der Schweiz. Ihm sei die Zusammenarbeit der chinesisch-schweizerischen Beziehungen sehr wichtig, schreibt er in seinem Grusswort. Mehr noch: «Ich bin persönlich bereit, mich dafür einzusetzen.»

Xi Jinping ist Präsident der Volksrepublik China. Ihn plagen ähnliche Sorgen wie die seiner Angestellten in Zürich und Bern. Auf dem offiziellen Portal «China Internet Information Center» wird festgehalten, was Jinping an der «Nationalen Konferenz zu Öffentlichkeitsarbeit und ideologischer Arbeit» von den chinesischen Nachrichtenagenturen erwartet: «Erzählt der Welt Chinas Geschichte gut.» Und an die Künstler gerichtet: «Erhöht Chinas kulturellen Einfluss in der Welt.»

Drei Männer, ein Wunsch: Liebe. Oder doch zumindest: Wertschätzung. Da frage ich mich: Wo stehe ich? Was weiss ich von Chinas Geschichte, seiner Geographie, seinen Problemen und Zielen? Nun, gerade stehe ich auf dem Chäserrugg. Das ist ein Berg im Kanton St. Gallen. 2262 Meter hoch. Man sagt, dass man vom Gipfel aus in fünf Länder schauen könne. Ich allerdings sehe nur eine chinesische Wander- bzw. Touristengruppe. Die jungen Chinesinnen sind gerade mit der Gondelbahn hochgekommen und stellen sich nun vor dem Panorama auf. Kussmündchen hier, Schnütchen dort. Knips, knips. Ich schaue fasziniert zu. Weil ich gerade ein grosses Bier getrunken habe, traue ich mich deshalb für einmal mehr als sonst: Ich gehe auf sie zu, komme ihnen sehr nahe, vielleicht zu nahe und sage: «This is Switzerland, there is Italy, here is Austria, that’s Germany. Und this… this is called Liechtenstein…» In der linken Hand halte ich die Flasche, mit der rechten gestikuliere ich. Mein Gesicht ist knallrot, denn ich habe vergessen, mich mit Sonnenschutzmittel einzucremen. Die Figur, die ich jetzt darstelle, kennt man im chinesischen Kulturraum wahrscheinlich nicht. Die Chinesinnen fürchten sich. Sie haben offenbar Angst, ich wolle sie in den Walensee stossen.

Das will ich natürlich nicht. Ich versuche nur, mich bei ihnen für die Schönheit und Kultur der Schweiz «einzusetzen». Aber ist das überhaupt nötig? Ich habe in Zürich und Luzern gearbeitet, zwei Hotspots für chinesische Touristen und Offizielle. Nie habe ich aber erlebt, dass mich ein Chinese nach dem Weg gefragt hätte. Entweder kommen chinesische Touristen in Gruppen mit Reiseführern oder als gut informierte Backpacker. Und wie sieht es umgekehrt aus? Gehen Schweizer Touristen in China aufs Land? Oder halten sie sich ängstlich an die vielen Warnungen in ihren Reisebüchern?

Ich weiss nicht, wie viel chinesische Schüler über die Schweiz und Europa lernen (müssen). Ich kann mich an keine Lektion im Gymnasium erinnern, in der wir etwas über dieses riesige und zugleich unbekannte Land gelernt hätten. Einen prägenden Eindruck hat bei mir nur Jim Knopf hinterlassen, der dort mit Lokführer Lukas und seiner Lokomotive Emma strandete – und nach einer langen Odyssee durch das Reich der Mitte die Tochter des Kaisers retten durfte. Die Figur des Scheinriesen, dem sie auf ihrer Reise begegnen, ist dabei besonders eindrücklich: Je näher man ihm kommt, desto kleiner wird er.

Das gilt auch für den Umgang mit dem «unbekannten Wesen» China: Je weiter man sich von den Touristenströmen entfernt, desto näher kommen sich die Menschen. Das gilt natürlich für beide Seiten: Schweiz Tourismus kann in China ja mal andere Destinationen vorschlagen als nur Zürich−Pilatus−Genf. Und China sollte über seinen grossen Schatten springen und auch seine entlegensten und verborgensten Gebiete frei zugänglich machen. Nicht unbedingt Liebe muss daraus erwachsen, aber Aussicht auf höhere Wertschätzung besteht allemal.

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