Wenig Change, wenig Hope
Wo stehen die USA nach zwei Jahren unter Barack Obama?
«Präsident Obama ist weniger populär als Richard Nixon.» Schon 100 Tage nach Beginn der neuen Präsidentschaft stellten Meinungsumfragen und einschlägige Schlagzeilen einen erstaunlichen Einbruch der Zustimmungsraten zum frischgebackenen Führer der freien Welt fest. Und der Trend setzte sich fort. Seit Beginn dieses Jahres überwiegt die Zahl der unzufriedenen Wähler. Zahlen, die wenig hope für jenen Mann versprechen, der vor zwei Jahren antrat, change in die amerikanische Kapitale zu tragen.
Das Zugpferd Obama, das den sozialdemokratisch orientierten Demokraten noch Ende 2008 eine satte Mehrheit in beiden Kammern verschafft hatte, wird plötzlich zur Last. Das politische Unbehagen reicht dabei – um zu traditionellen Begriffen zu greifen – von weit links bis weit rechts im Wählerspektrum der USA. Wie konnte es dazu kommen? Nach der deutlichen Abrechnung der Wähler mit der republikanischen Partei unter Präsident George W. Bush zwei Jahre zuvor hatte die politische Linke der USA noch Oberwasser gespürt. Den Möglichkeiten ihrer Gestaltungsphantasien schienen angesichts der politischen Kräfteverhältnisse kaum Grenzen gesetzt. Zumal die Finanzkrise – wie der jüngst zurückgetretene Stabschef des neuen Präsidenten, Rahm Emanuel, verlauten liess – eine Chance zum politischen Aktivismus bot, die man nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte. Mit glänzenden Augen erinnerte man sich unter Demokraten und den sympathisierenden Medienvertretern plötzlich wieder des New Deal, jener ehrgeizigen Ausweitung staatlicher Planung und Regulierung unter Präsident Roosevelt in den 1930er Jahren, die dem Mythos der USA als frei-marktwirtschaftlichem Eldorado ein faktisches Ende setzte.
Und tatsächlich kann man der jungen Regierung Obama keinen Mangel an gestalterischem Ehrgeiz nachsagen. Hunderte von Milliarden wurden innert kürzester Zeit mobilisiert – völlig ohne Gegenfinanzierung –, um durch breitflächige Stimulusprogramme nach keynesianischem Muster die Konjunktur anzukurbeln. In grossem Umfang wurden Unternehmen verstaatlicht, nicht nur in der Finanz-, sondern auch in der Automobilindustrie. Die Demokraten nahmen auch die langversprochene Reform des Krankenversicherungssystems in Angriff und verabschiedeten einen mehrhundertseitigen Gesetzesvorschlag, der eine erhebliche Ausweitung des Regierungseinflusses im Gesundheitssektor vorsah.
Und doch, die Hoffnungen der Linken konnten durch die Obamasche Ausdehnung der Staatsaktivitäten nicht erfüllt werden. Lang ist die Liste der Beschwerden. So gab die Regierung die Einführung eines völlig verstaatlichten Gesundheitssystems ebenso auf wie die Variante einer in der öffentlichen Hand angesiedelten Krankenversicherung (public option). Der Umfang staatlicher Interventionen in der Wirtschaft – zum Zwecke der Konjunkturbelebung, wie es stets heisst – wird von prominenten Kritikern wie dem Wirtschaftsnobelpreisträger und lautstarken Sprachrohr der keynesianischen Linken, Paul Krugman, als unzureichend gebrandmarkt. Auch die versprochene Beendigung des Krieges lässt auf sich warten. Der unpopuläre Irakkrieg wurde lediglich auf den nicht weniger unpopulären Afghanistankrieg verlagert.
Bei einem Besuch der linksorientierten Satiresendung «The Daily Show» bemühte sich der Parteivorsitzende der Demokraten, Tim Kaine, die politischen Errungenschaften der Regierung zu preisen. Als er dabei zugestand, dass es offenbar nicht gelungen sei, diese überzeugend zu erklären, erwiderte der Moderator unter lautstarkem Gelächter des Publikums: «Was waren jetzt genau noch Ihre Errungenschaften?» Angesichts dieser Resonanz platzte selbst dem Pressesprecher des Weissen Hauses, Robert Gibbs, der Kragen. Auf die kritische Nachfrage eines Journalisten beklagte er sich über die unablässigen Attacken der «professionellen Linken». Schliesslich musste der Präsident selbst öffentlich zugestehen, dass er im Rahmen seines Wahlkampfes hätte besser erklären sollen, wie schwierig es sei, den versprochenen Wandel in Washington tatsächlich herbeizuführen.
Doch Ungemach droht der Regierung nicht nur von links. Auf der Rechten formiert sich landesweit mit der «Tea Party»-Bewegung eine radikal obamafeindliche Opposition, die mit grosser populistischer Energie auch die nach wie vor desorientierte republikanische Partei vor sich hertreibt. Ihren Ursprung hat diese Bewegung in der gescheiterten Präsidentschaftskandidatur des texanischen Abgeordneten Ron Paul, der 2008 als marktwirtschaftlich und antiinterventionistisch orientierter Aussenseiter das republikanische Parteiestablishment erschütterte. Dabei vermochte er zahlreiche, zuvor apolitische Aussenstehende zu einem politischen Engagement zu inspirieren. Wie einst die Demonstranten der «Boston Tea Party», die 1773 im Hafen der nordamerikanischen Stadt Boston drei Ladungen Tee von Schiffen der britischen East India Trading Company über Bord warfen, stellen auch Ron Pauls Anhänger Macht und Umfang der öffentlichen Hand grundsätzlich in Frage. Sie drängen auf eine konsequente Reduktion staatlicher Gebote und Verbote.
Inzwischen hat sich diese ausserparlamentarische Opposition verselbständigt. Sie organisiert landesweit Demonstrationen und Proteste gegen die politischen Beschlüsse aus Washington. Gestützt durch eine Reihe konservativer und libertärer Organisationen werden dabei vielfältige Themen angesprochen, wie allzu bürokratische Klimaschutzmassnahmen oder permissive Einwanderungsregeln. Im Kern geht es jedoch um eine Ablehnung des neuen politischen Machbarkeitswahns der Bundesregierung, wie er durch die Obamasche Gesundheitsreform verkörpert wird. Mit dem emotionalen Engagement gegen höhere Steuern, Staatsausgaben und -schulden wollen sie nichts weniger als den American way of life verteidigen. Es kann nicht verwundern, dass der Protest dabei bisweilen hysterische Untertöne annimmt – beispielsweise wenn gegen den «moslemischen Sozialisten» im Präsidentenamt mobilgemacht wird (so jedenfalls laut Umfragen die Einschätzung einer Mehrheit der republikanischen Parteianhänger).
Die junge Regierung Obama steht damit vor dem Scheitern. Mindestens drei Wurzeln dieses Scheiterns lassen sich in der aktuellen Lage ausmachen.
Erstens verwechselten die regierenden Demokraten die durch Frustration der amerikanischen Bevölkerung mit der Regierung Bush verursachten Wahlergebnisse 2008 mit Zustimmung zu einem radikal sozialdemokratischen Regierungsprogramm. Tatsächlich ticken die amerikanischen Wähler jedoch nach wie vor mehrheitlich konservativ, das heisst tendenziell staatskritisch, gerade im Landesinneren und Süden, wo Obama überraschende Erfolge verbucht hatte. Es verwundert daher nicht, dass sich die wilden Hoffnungen der «professionellen Linken» inzwischen als undurchsetzbar erwiesen haben.
Zweitens zwangen die Fehlinterpretation der durch zuviel billiges Geld und Förderprogramme im Bauwesen verursachten Finanz- und Wirtschaftskrise und die darauf folgenden irrwitzigen neokeynesianischen Lösungskonzepte die junge Regierung, ihr finanzielles Pulver allzufrüh zu verschiessen. Die exorbitanten Ausgaben für Rettungs- und Konjunkturpakete mögen die profitierenden Interessengruppen erfreuen. Sie destabilisieren jedoch inzwischen einen durch Greenspansche Billiggeldstrategien sowie Bernankesches quantitative easing stark geschwächten Dollar in bedrohlichem Masse. Der Bundesetat bewegt sich am Rande der Unfinanzierbarkeit. Auch der ausufernde Afghanistankrieg lastet schwer auf den Taschen der Steuerzahler. Paul Krugmans Rufe nach neuen Ausgabenprogrammen verhallen daher ungehört – für weitere sozialdemokratische Wohltaten ist schlicht kein Geld vorhanden. Die Wirtschaft kommt dabei, verunsichert durch den neuen Washingtoner Aktivismus, nicht in Trott – die Lage der Arbeitnehmer und Konsumenten ist nachhaltig prekär.
Drittens und letztens sollte jedoch auch die idealistische Enttäuschung nicht unterschätzt werden, die viele gerade jüngere amerikanische Wähler derzeit durchmachen. Die Kandidatur des charmanten und eloquenten Afroamerikaners Obama hatte in weiten Kreisen eine politische Begeisterungswelle ausgelöst, auf die nun ein Kater folgt. Der amerikanische Kommentator Nate Silver beobachtete treffend: «The ‹grand, poetic narratives› of Obama’s campaign has given way to the ‹prosaic and transactional day-to-day-grind of governance›.» (Die Poesie ist der prosaischen Schinderei der Tagespolitik gewichen.)
Die letztlich theologisch gefärbte Vorstellung, ein einzelner Held könne die Regeln des schmutzigen Geschäfts Politik auf den Kopf stellen, entpuppt sich als das, was sie ist: eine Illusion. Der Fall Obama verdeutlicht einmal mehr, dass das politische System in einer repräsentativen Demokratie über eine aus Machterhalt, Partikularinteressen und bürokratischer Trägheit gespeiste Eigendynamik verfügt, die durch keinen Politiker wirklich beeinflusst werden kann.
Die Schlussfolgerung muss daher lauten, dass change nur von unten, durch eine Veränderung der Präferenzen und Entscheidungen der Bürger, bewirkt werden kann, nicht durch die Taten weiser Führer. Möglicherweise zeigt die noch junge «Tea Party»-Bewegung hier einen vielversprechenderen Weg auf. Mit ihrem Anti-Establishment-Impetus und ihrer anarchischen Staatskritik gleicht sie ein wenig einer bürgerlich gewendeten 68er-Bewegung. Sollte sie ihre Politikskepsis und ihren Radikalismus nicht verlieren – sollte sie sich also parteipolitisch nicht einbinden lassen –, könnte hier eine Chance erwachsen, das politische System von aussen und unten in einer Art zu erschüttern, die eine Neubewertung der etablierten Regeln ermöglichen würde. Wesentliche Erfolge konnten schliesslich auch die 68er nur durch ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung und Kultur erzielen. Oder wie Präsident Obama in seinem Wahlkampf so treffend verkündete: «You are the change you’ve been waiting for!»