Weltuntergang in der Quartierbeiz – Eine Debatte ohne Ende
Eine Replik auf den Artikel «Weltuntergang in der Beiz».
Liebe Redaktion des «Schweizer Monats»,
In Ihrer Septemberausgabe machen sich acht Menschen zwischen 25 und 40 Gedanken zur Schweiz der Zukunft. Die Lektüre des katastrophengeprägten Stammtischgesprächs hinterliess bei mir das Gefühl einer gewissen Ratlosigkeit: Das Selbstverständnis der Schweiz, das darin achtfach widerspiegelt wird, erscheint eigenartig kontur- und visionslos. Wo sind all die Zukunftsvisionen geblieben? Man meint fast, Grosseltern der Generation 75+ hielten eine larmoyante Rückschau auf frühere, bessere Zeiten.
Von den acht Diskutierenden, die da zusammenhocken, kommen fünf aus der Medienwelt. Vielleicht erklärt das den eigenartig getrübten Blick in die Zukunft der Schweiz. Sind sie womöglich Gefangene der medialen Parallelwelt, die vom Negativen in dieser Welt beherrscht wird? Tatsächlich könnte, wer täglich Radio hört, fern sieht, und Printmedien liest leicht in depressive Weltuntergangsstimmung verfallen. Oder kennen die Gesprächsteilnehmer den Arbeitsalltag in unserem Land nur vom Hörensagen? Die Belanglosigkeit der Diskussion empfand ich als so erdrückend, dass bei mir ob all des Theoretisierens die Frage auftauchte, ob diese jungen Menschen je zielbewusst und hart gearbeitet haben. So, dass sie am Abend müde aber zufrieden Bilanz ziehen konnten. Und am nächsten Tag voller Tatendrang zur Sache gingen, um den nächsten Schritt im persönlichen Lebensplan zu wagen.
«Wir sind gesättigt, überaltert und glauben weiterhin, das Zentrum der Welt zu sein.» Woher kommen diese Phrasen? So oder ähnlich tönt es über acht Seiten. Es gäbe eine «Tendenz für die Bewunderung für Putin», heisst es. «Die Nationalstaaten werden auseinanderbrechen», wird behauptet. Und jemand gesteht: «Ich kenne mehrere Personen, die kürzlich Land gekauft haben, um darauf Kartoffeln anzubauen» – in welcher Schweiz leben diese Menschen eigentlich?
«Die Geschicke des Landes werden immer mehr von Alten und Gesättigten beeinflusst.» Wenn dem tatsächlich so ist, wessen Fehler ist das? Man spricht nicht umsonst von der Stimmabstinenz der Jugend! Auch wenn es um die nicht sehr gute Ausbildung der Jugend geht, sind die Übeltäter schnell gefunden: «Schuld daran tragen nicht zuletzt unsere Eltern, die Informatik an der Schule bis heute weniger wichtig finden als Hauswirtschaft – oder auch die uns gutmeinenden Lehrer im Gymnasium». Immer sind an der Perspektivlosigkeit dieser Truppe die Andern schuld. Die Alten, die Gesättigten, die Regulierer, allenfalls die drohende Wachstumsschwäche.
Und dann den Gipfel der Weisheit: «Demokratie funktioniert auch, wenn keiner informiert ist.» Ein ganz neues Demokratieverständnis. Fazit dieses Stammtischgeplänkels: Es genügt nicht, über die Minarett- oder Zuwanderungsinitiative zu wettern. Es bringt die Schweiz auch nicht weiter, Schuldige zu bezeichnen. Etwas deprimierend, das Ganze.
Mein Vorschlag für eine weitere Diskussionsrunde: Ein mutiger Titel, eine ambitiöse Crew jüngerer Berufstätiger (nicht nur Hochschulabgänger, sondern Leute mit bodenständiger Praxiserfahrung), das Internet statt die Beiz als Plattform. Kreative Ideen statt Schuldzuweisungen, Mut und Arbeitsleistung anstelle von Selbstmitleid und Weltuntergangsstimmung.
Immerhin einen Lichtblick gab es im Dunkel der Köchlistube. Nämlich Max, der nüchtern feststellt: «Wir [an diesem Tisch], die wir satt sind, interessieren uns nicht dafür [Nano- und Gentechnik], sondern eher für irgendwelche potentiellen oder zusammenphantasierten Gefahren.» Damit hat er seinen Kollegen viel «foraus».
Mit freundlichen Grüssen
Christoph Zollinger
Christoph Zollinger ist Unternehmensberater, Politiker, Gesellschaftsbeobachter, Autor, Publizist und Maler. Vor kurzem erschien von ihm «Mythen, Macht + Menschen durchschaut!».