Weltkonstitutionalismus
Frank Vibert: Democracy and Dissent. The Challenge of International Rule Making.
Northampton: Edward Elgar Publishing, 2011.
Vom Klimaschutz über Unternehmensethik bis zum Geschlechterverhältnis: dem «Normalmenschen» ist kaum klar, wie sehr sein Leben bereits von internationalen Institutionen geprägt ist. Während die wirtschaftliche Globalisierung sich für jedermann in Arbeitsleben und Konsum bemerkbar macht, gilt dies nicht im gleichen Masse für die politische Globalisierung. Wie soll sie gestaltet sein?
Abstrakt formuliert, scheint die Antwort einfach: Ein von freiheitlich-demokratischen Werten geleitetes Gemeinwesen braucht Verfassungsregeln, denn politische Macht muss beschränkt sein. In diesem Falle hiesse das, einen Weltkonstitutionalismus zu fordern. Das klingt freilich utopisch und ist auch nicht wirklich wünschenswert. Zu divers sind die Interessen, zu bürgerfern die «Weltebene», als dass es mehr als interstaatliche Vertragslösungen geben könnte.
Viele Staaten – und darunter wirtschaftliche Schwergewichte wie China und Russland – folgen in ihrem Gebaren keinen freiheitlichen Zielsetzungen. Die Menschenrechte, die einer internationalen Ordnung zugrunde liegen müssten, werden von ihnen oft mit den Füssen getreten. Selbst wenn nun auch diese Länder eine zunehmend weltpolitische Haltung ausprägten, bliebe die Legitimation eines internationalen Regelüberbaus noch immer so schwach, dass er den notwendigerweise stärker demokratisch legitimierten Nationalstaaten ernsthafte interne Demokratieprobleme bescherte. Will man diese Probleme umschiffen, indem man konsequenterweise gleich einen Weltstaat fordert, in dem für alle verbindliche, gleiche Regeln gelten – und seien sie auch am Modell des Minimalstaats orientiert –, so schafft man damit den Wettbewerb der Systeme ab. Dieser aber macht Fortschritt erst möglich.
Das Ziel sollte deshalb bescheidener sein. In seinem Buch «Democracy and Dissent» hat der britische Verfassungsökonom Frank Vibert genau diese Bescheidenheit zum Motto erhoben – ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Der Aktionismus im Kampf gegen den Klimawandel illustriere, so Vibert, dass zu weitreichende weltpolitische Vorhaben übersteigerte und falsche Erwartungen schürten. Je internationaler politische Institutionen seien, desto wichtiger sei die strikte Fokussierung auf tatsächlich gemeinsam erreichbare Aufgaben. Der expertokratische (und damit bisweilen undemokratische) Ansatz weltgouvernementalen Denkens, der auch heute noch viele Akteure in der UN antreibt, sollte durch Regelfindungen ersetzt werden, die die bestehende Pluralität in
dieser Welt anerkennen.
Zum zweiten schlägt Vibert vor, die bestehenden Institutionen in ihrem Kern zu akzeptieren und vorsichtig zu reformieren. In der Tat könnten die sich überlappenden und oft unklar abgegrenzten Kompetenzen dieser Institutionen sowie ihre teilweise Ineffizienz dazu verleiten, eines Tages den grossen und kohärenten Wurf im Sinne einer Weltregierung zu wagen. Dies wäre ein Akt der Selbstüberschätzung, dessen Ausgang von den typischen Effekten des utopischen Zentralismus begleitet würde: unbeschränkter Machbarkeitsglaube und Missachtung von Bürgerfreiheiten.
Drittens empfiehlt Vibert, sich in der geduldigen Arbeit der politischen Konvergenz zu üben. Eine konsequente Politik der Demokratisierung ist die Voraussetzung für das Funktionieren internationaler Institutionen. Der Wettbewerb der Staatsmodelle in diesem Rahmen sich überlappender Rechtssysteme ist hierbei hilfreich, legt er doch ihre Stärken wie auch Schwächen offen und stiftet damit Orientierung. Die globale Wertegemeinschaft muss also organischer wachsen, als es manche der heutigen internationalen Sozialingenieure wahrhaben wollen. Aber sie allein kann den Traum vom Weltfrieden, den Kant vor über 200 Jahren träumte, realisieren: «Das Völkerrecht soll auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein.»