Wege suchen und finden
Über Aufgaben, Rollen und Möglichkeiten eines Unternehmers
Die Schweiz geniesst immer noch eine hervorragende Position. Ob auf dem Global Innovation Index, dem International Innovation Index oder bei Patentanmeldungen, sie rangiert regelmässig in der Spitzenposition internationaler Ranglisten. Dies dank eines guten, dualen Bildungssystems, starker KMU, relativ liberaler arbeitsmarktlicher Bedingungen und bis vor einigen Jahren aufgrund solider, vertrauenswürdiger Rahmenbedingungen.
Was jedoch oberflächlich gesehen gut zu funktionieren scheint, ist bei näherer Betrachtung in grosser Gefahr. Dabei spielt das seit einem Jahr viel zitierte Wechselkursthema eine eher untergeordnete Rolle. Die Schweiz liegt zwar im Global Competitive Index des WEF regelmässig seit 2010 auf Platz 1, aber es gibt zunehmende Schwachpunkte. So rangiert die Schweiz im Doing Business Index der Weltbank auf Rang 26 (hinter Österreich, baltischen Staaten und Georgien). Weiter liegt die Schweiz im Ranking der Start-up-Gründungen international im hinteren Bereich, und Unternehmensansiedlungen sind seit Jahren, im Gegensatz zu früher, rückläufig.
Das Problem liegt tiefer
Das enorm hohe Wohlstandsniveau hat über die Jahre eine gesellschaftliche Veränderung bewirkt. Anstelle von Eigenverantwortlichkeit, wie sie auch die eidgenössische Verfassung eindrücklich zum Ausdruck bringt, steht heute vielfach eine Anspruchshaltung an den Staat. Es wird nicht mehr auf die Problemlösungsfähigkeit des einzelnen im Rahmen einer milizorientierten Gesellschaft vertraut. Vielmehr wird erwartet, dass der Staat die Dinge löst – per Gesetz oder mittels staatlicher Eingriffe. Eine Art Paternalismus hat sich etabliert, bewirtschaftet von Politik und Medien, die sich gegenseitig befeuern und den etatistischen Nährboden permanent weiterentwickeln. Aus einzelnen Skandalen werden gesetzliche Bestimmungen (Minderinitiative, Hundekurse) kreiert, und die Politiker messen ihren vermeintlichen Erfolg an der Anzahl eingebrachter Vorstösse und Motionen.
Neue Rolle von Unternehmern in der Öffentlichkeit
Ein weiterer Problemstrang ergibt sich aus einer Spaltung von Wirtschaft und Politik sowie Wirtschaft und Gesellschaft. Ganz allgemein und verkürzt gesagt, fehlt heute vielfach das Verständnis für die Zusammenhänge: Dass letztlich Wirtschaft und Gesellschaft ein Ganzes sind und sich gegenseitig bedingen, dass die Schweiz ein Land ist, in dem mittlere und kleinere Unternehmen das Rückgrat der Volkswirtschaft bilden, geht vergessen, weil zum einen die Grosskonzerne und deren Protagonisten oft wenig glaubwürdig medial die Szene beherrschen und weil zum anderen mittelständische Unternehmer nicht mehr gehört werden.
Gesamtgesellschaftlich gesehen zeigt sich eine zunehmende Verunsicherung, wie auch das Sorgenbarometer der Credit Suisse 2015 belegt. Zwar haben die Sorgen nicht grundsätzlich zugenommen, ja viele Schweizer sind heute sogar stolzer auf ihr Land als früher. Aber der Schuh drückt zunehmend bei den Themen Migration, Arbeitslosigkeit und Altersvorsorge. Kombiniert mit der rasanten Digitalisierung und der Unsicherheit in der Beziehung zu Europa ergibt sich eine zunehmende Herausforderung für alle. Diese kann weder mit schnellen Rezepten noch von einzelnen Akteuren alleine bewältigt werden.
Somit kommt den Unternehmern eine besondere, neu zu definierende Rolle zu. Auch hat sich die Rolle einschlägiger Interessengruppen zunehmend relativiert. Deshalb muss der Unternehmer sich wieder selbst engagieren und Stellung beziehen. Mutig und engagiert. Angst, Bedenken oder falsche Scheu sind abzulegen, und stattdessen gilt es die Kräfte für die zukünftige Gestaltung des Denk- und Werkplatzes Schweiz zu bündeln und im Dialog mit Wirtschaft, Gesellschaft und Politik neue Wege für die Schweiz zu finden. Dazu gehört die Besinnung auf Werte wie Freiheit und Verantwortung, Glaubwürdigkeit, Langfristigkeit und Beweglichkeit. Der Unternehmer als Vorbild muss öffentlich sowie auch im Unternehmen selbst wichtige Akzente setzen. Als Enabler kann er Mitarbeiter motivieren, sich ebenfalls zu engagieren, um damit eine Multiplikatorenrolle einzunehmen. Mit dem «StrategieDialog21» setze ich genau hier an und biete eine Dialogplattform zur Gestaltung der Schweiz von morgen an.
Von zivilem Engagement selbst profitieren
Die neue Rolle des Unternehmers habe ich im Artikel «Spannendes Leben am Abgrund» in einem zusammen mit René Scheu in der Februar-Ausgabe 2016 des «Schweizer Monats» publizierten Artikel skizziert.
Persönlich ging meinem heutigen zivilen Engagement ein langer Prozess voraus. In jüngeren Jahren habe ich als Bürger «klassische» Milizaufgaben wahrgenommen: als Offizier in der Armee, als Vorstandsmitglied im Schweizerischen Akademischen Skiclub (SAS) oder auch als Präsident der Bernischen Kunstgesellschaft und Mitglied im Stiftungsrat des Kunstmuseums Bern. Für Politik habe ich mich wenig interessiert – ich war und bin parteilos –, zumal ich beruflich vollständig im eigenen Familienunternehmen eingespannt war und mich hauptsächlich der Wirtschaftsteil der Zeitungen interessierte.
Als ich 2009 von der SVP des Kantons angesprochen wurde, ob ich mich nicht politisch engagieren wolle, begann ich mich ernsthaft mit der Politik und einem möglichen Engagement auseinanderzusetzen. Fast zeitgleich kam René Scheu auf mich zu, und ich entschied mich spontan für ein Mitmachen in der neu gegründeten SMH Verlag AG, begann danach auch einige Artikel zu publizieren.
Im Oktober 2012, in der 1000. Ausgabe des «Schweizer Monats», entwickelte ich eine Auslegeordnung, betitelt Strategierat21, zu strategischen Zukunftsthemen der Schweiz, verbunden mit einem Aufruf an engagierte Bürger des Landes, sich zu engagieren. Schnell lernte ich, dass ein Appell alleine nichts nützt, und gründete im September 2013 mit einigen gleichgesinnten Persönlichkeiten die Förderstiftung «StrategieDialog21». Das Interesse an diesem Projekt und dessen positive Entwicklung in den letzten zwei Jahren hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass Unternehmertum in der heutigen Zeit kein ausschliessliches Privileg mehr ist, sich auf die eigene Branche zu fokussieren, sondern zugleich die Pflicht beinhaltet, sich wieder vermehrt für die Schweiz aktiv einzusetzen. Es gibt viele Chancen, die die Unternehmer durch ein vermehrtes ziviles Engagement realisieren können. So konnte ich zum Beispiel zahlreiche Menschen neu kennenlernen und erhielt dadurch neue Impulse und Anstösse, was mir als Mensch und Unternehmer half, mich selbst aber auch in sachlichen Themen weiterzuentwickeln, zugleich aber auch etwas für dieses einzigartige Land tun und leisten zu können.
Als ich kürzlich am Forum für Familienunternehmen der Hochschule Luzern darüber mit vielen Unternehmern und Kollegen sprach, zeigten auch diese deutlicher als früher die Einsicht, dass die Unternehmer – vor allem die mittelständischen Familienunternehmer – vermehrt gefordert sind. Dabei wurde jedoch auch klar, dass dieses zusätzliche Engagement sehr von der eigenen persönlichen und gesellschaftlichen Situation abhängt – und letztlich jeder Unternehmer seinen eigenen Weg suchen und finden muss.
Jobst Wagner
ist Verwaltungsratspräsident des Familienunternehmens Rehau, Verwaltungsrat der SMH Verlag AG und Gründer der Bürgerplattform StrategieDialog21.