Wege aus der Wachstumsschwäche
Ein Interview mit Aymo Brunetti Beim Vergleich wirtschaftspolitischer Daten spielen die Trends eine grössere Rolle als absolute Zahlenwerte und internationale Rankings, in denen die Schweiz immer noch gut abschneidet. Die Schweizer Wirtschaft stagniert und leidet unter Innovations- und Wachstumsschwäche. Was ist dagegen zu tun?
Robert Nef: Die Bundesrepublik Deutsch-land und die Schweiz haben beide bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Einbussen erlebt, und beide stehen vor einem wirtschaftspolitischen Reformbedarf. Wo liegen Ursachen und Unterschiede?
Aymo Brunetti: In der Bundesrepublik ist der überregulierte Arbeitsmarkt ein Hauptproblem, in der Schweiz der überregulierte Produktemarkt. In beiden Ländern stagniert die Wirtschaft, und beide Länder sind angesichts der demographischen Entwicklung und der zunehmenden Bedürfnisse auf Produktivitätswachstum angewiesen. Die Vorstellung von einem «Wettbewerb der Nationen», bei dem man von den Schwächen der Konkurrenten profitieren könnte, ist überholt. Wenn Deutschland stagniert, so ist das auch für seine Nachbarn, und insbesondere für die Schweiz, ein Nachteil.
Was unternimmt man in der Schweiz zur Förderung der Wettbewerbs-fähigkeit?
A.B. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) hat in den letzten Jahren die Determinanten des Wachstums analysiert und verschiedene Grundlagen erarbeitet.
Die Zielrichtung ist klar: «Mehr Wettbewerb und mehr Liberalisierung». Die Gesetzgebung hat in verschiedenen Bereichen Reformen in Richtung «mehr Wettbewerb» eingeleitet, insbesondere im Kartellrecht, im öffentlichen Beschaffungswesen, in der Agrarpolitik, in der Krankenversicherung und bei der Öffnung des Postmarkts. Da es bei jeder Reform Verlierer gibt, kommt es fast regelmässig zu einer Koalition der Reformgegner. Darum muss der Leidensdruck gross sein, bis sich die Forderung nach mehr Wettbewerb durchsetzt.
Die Schweiz liegt im Vergleich zu den USA, Deutschland und Japan bei der Deregulierung der Gütemärkte im Hintertreffen.
Die Schweizer gelten als sehr arbeitsam, und die Beschäftigungsquote ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Trotzdem ist die Arbeitsproduktivität unterdurchschnittlich gewachsen. Gibt es dafür Erklärungen?
A.B. Das tiefe Wachstum der Arbeitsproduktivität ist die eigentliche Quelle der Schweizer Wachstumsschwäche. Der tiefe Wettbewerb im Binnensektor und die steigende Staatsquote gehören zu den wichtigsten Erklärungsfaktoren für diese Entwicklung. Davon zu unterscheiden ist die Tatsache, dass das Niveau der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität bei uns gerade wegen des sehr gut funktionierenden Arbeitsmarktes tiefer ist als in vergleichbaren Ländern. Die tiefe Arbeitslosenquote und die hohe Erwerbsquote widerspiegeln die Tatsache, dass in der Schweiz auch Menschen mit tiefer Produktivität, die andernorts ausgesteuert würden und arbeitslos wären, im Beschäftigungsprozess integriert sind.
Die Schweiz hat das höchste Preisniveau aller OECD-Länder. Wie wirkt sich dies auf die Wettbewerbsfähigkeit aus?
A.B. Die hohen Preise behindern die Wettbewerbsfähigkeit in verschiedenster Weise. Sie sind unter anderem eine Folge mangelnder und zu langsamer Liberalisierung. Ein Vergleich im Bereich der Telekommunikation, der Postdienste, der Elektrizitätswirtschaft und der Eisenbahndienste zeigt den jeweiligen Liberalisierungsrückstand zu Deutschland, Frankreich, Schweden und Grossbritannien.
Prof. Aymo Brunetti ist Chef
der Direktion für Wirtschafts-politik im Staatssekretariat für Wirtschaft beim Eidgenössischen Volkswirt-schaftsdepartement in Bern. (Aymo.Brunetti@seco.admin.ch)