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«Was wir befürchtet ­haben, ist eingetreten – offen gesagt, schlimmer, als wir erwarteten»
Heather Heying and Bret Weinstein, zvg.

«Was wir befürchtet ­haben, ist eingetreten – offen gesagt, schlimmer, als wir erwarteten»

Die Evolutionsbiologen Heather Heying und Bret Weinstein erklären, wie Ideologen das Hochschulsystem untergraben haben. Und wie wir in einer Welt überleben, die sich immer schneller verändert.

Read the English version here.

 

Im Jahr 2017 machten die Studierenden am Evergreen State College in Olympia, Washington, internationale Schlagzeilen: Angeblich vom Wunsch nach «Racial Justice» getrieben, randalierten sie auf dem Campus, nahmen die Fakultätsangehörigen zeitweise als Geiseln und drangsalierten insbesondere den Evolutionsbiologen Bret Weinstein, dem sie mit hanebüchenen Argumenten Rassismus vorwarfen.

Ein Fall von Cancel Culture, sicher. Doch ein Umstand gibt zu denken: Diese Szenen spielten sich nicht an einer konservativen Hochschule mit steifen oder gar ­autoritären Konventionen ab, sondern an einem ­College, das den Ruf hatte, besonders aufgeklärt zu sein, und das weder ein vorgeschriebenes Curriculum kennt noch Noten vergibt.

Weinstein und seine Lebenspartnerin Heather ­Heying, ebenfalls Biologin, schmissen ihre Professuren schliesslich hin – und betreiben seitdem als exilierte Professoren den überaus erfolgreichen, um Aufklärung bedachten «DarkHorse»-Podcast. Wir haben mit ihnen anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Buches ­gesprochen.

In Ihrem neuen Buch, «A Hunter-Gatherer’s Guide to the 21st Century», stellen Sie fest, dass wir in einer ­«hyperneuartigen» Welt lebten. Was meinen Sie damit?

Weinstein: Der Gedanke, dass wir in einer Umgebung leben, für die wir nicht geschaffen sind, ist eigentlich eine Untertreibung. Viele unserer Vorfahren lebten in Um­gebungen, die neu für sie waren. Aber sie waren gut an den Prozess der Veränderung angepasst, der notwendig ist, um mit neuen Situationen klarzukommen. Unsere heutige Welt verändert sich so schnell, dass selbst dieser Prozess nicht Schritt halten kann. Wir leben nicht mehr in der Umgebung unserer evolutionären Vorfahren – in den Ebenen Afrikas. Sogar die Umgebung, in die wir selber hineingeboren wurden, etwa unser Heimatdorf, hat sich radikal verändert. Unsere vertraute Umwelt verschwindet schnell. Sie wird durch eine neue, weitgehend beliebige Umwelt ersetzt, für die wir nicht die richtige Intuition haben.

Heying: In der Vergangenheit gab es einige Menschen, die in neue Nischen vorstiessen, und andere, die immer noch das taten, was schon bekannt war. In der hyperneuartigen Welt, in der sich die Geschwindigkeit der Veränderungen selbst so schnell ändert, gibt es jedoch keinen Ort mehr, an den man zurückkehren kann.

Die Frage ist dann natürlich, wie wir in dieser Welt leben können – und wie wir uns an diese Geschwindigkeit des Wandels anpassen.

Weinstein: Wir können uns nicht an die Geschwindigkeit des Wandels anpassen, sondern müssen herausfinden, wie wir auf eine gesündere und sicherere Art und Weise damit umgehen können. Selbst wenn wir als Erwachsene akzeptieren, dass der Preis des Fortschritts ein gewisses Risiko hinsichtlich neuer Technologien birgt, gibt es keinen Grund, unsere Kinder diesem Risiko auszusetzen. Wieso nehmen wir zum Beispiel einfach an, dass es sicher sei, sie vor Bildschirme zu setzen, an ­denen grosse Unternehmen Inhalte in ihre Köpfe pumpen? Dachten wir, das würde gut gehen? Oder hätten wir von vornherein erkennen können, dass hier eine Gefahr besteht und wir es langsam angehen sollten?

«Wir können uns nicht an die

Geschwindigkeit des Wandels

anpassen, sondern müssen herausfinden,

wie wir auf eine gesündere und sicherere

Art und Weise damit umgehen können.»

Wo finden Sie persönlich ein Gleichgewicht?

Weinstein: Das Problem ist, dass wir viel zu viel der Kontrolle den Märkten unterstellt haben. Märkte sind das beste Instrument, das wir haben, um herauszufinden, wie wir etwas effizient erreichen können. Sie sind aber schrecklich darin, zu ermitteln, was wir überhaupt tun sollten. Sie nutzen jeden schlechten Charakterzug aus, um etwas zu verkaufen. Und sie machen uns zu unfähigeren, unzufriedeneren Menschen. Wir müssen den Märkten diese Kon­trolle entziehen und sie selbst übernehmen.

Heying: Auf individueller Ebene ist es unglaublich nützlich, jeden Tag Momente zu haben oder Aktivitäten nachzugehen, die frei von jener Technologie sind, die uns offensichtlich in gewissem Masse beeinträchtigt. Dazu gehören etwa Familienessen ohne Telefone am Tisch oder ein Ritual vor dem Schlafengehen, das ohne Bildschirme auskommt.

Sie misstrauen der modernen Technik. Ist sie manchmal aber nicht doch sehr nützlich?

Heying: Wie wir in unserem Buch schreiben, zählen Antibiotika, Impfstoffe und Chirurgie zu den erstaunlichsten Fortschritten der westlichen Medizin. Sie haben unzählige Menschenleben gerettet sowie die Dauer und die Qualität des Lebens erweitert. Das bedeutet aber nicht, dass jedes Mal, wenn etwas passiert, eine Operation die beste Lösung ist. Wenn wir sagen, dass wir vorsichtig sein wollen, heisst das nicht, dass wir nicht anerkennen, dass diese Mittel aussergewöhnlich waren und sind.

Weinstein: Es gibt auch ein gewisses Mass an Hybris. Antibiotika, Impfstoffe und Chirurgie bauen auf einer evolutionären Plattform auf. Sie leihen sich alle etwas sehr Wichtiges, das in unserer Physio­logie bereits vorhanden ist, und nutzen es auf eine neuartige Weise. Wir leihen uns all diese Dinge von der Natur, und wenn wir dies auf eine vorsichtige Art und Weise tun – mit Respekt und nicht mit Arroganz –, ist das der Schlüssel, um nicht so viel Schaden anzurichten.

Ist das aktuelle Transgenderphänomen ein Beispiel für eine schädliche Anwendung der modernen Medizin?

Heying: Die Vorstellung, dass Männer Frauen sein können und Frauen Männer, ist schlichtweg falsch. Dass manche Menschen eine tiefsitzende Geschlechtsdysphorie haben und ihr bestes Leben nur in dem Geschlecht leben können, in dem sie nicht geboren wurden, ist wahr. Es ist aber sehr, sehr selten. Es ist auch wahr, dass manche Menschen hier einer Mode folgen. Ihre Zukunft wird schwer beeinträchtigt, wenn nicht sogar völlig zerstört, indem sie dazu ermutigt werden, sich entweder einer Operation oder einer Hormonbehandlung zu unterziehen, die beispielsweise die normalen Auswirkungen der Pubertät rückgängig macht. Allein in unserem Stammbaum gibt es seit mindestens 500 Millionen Jahren, vielleicht sogar seit zwei Milliarden Jahren, zwei Geschlechter und nur zwei Geschlechter. Wenn wir Menschen mit all unseren kulturellen Überlagerungen und dem Gefühl, mit unserem Körper nicht ganz im Reinen zu sein, entscheiden, dass Biologie nicht real sei, ist das eine gefährliche Fiktion.

Weinstein: Wir sollten Empathie für Menschen haben, die spüren, dass sie nicht so sind, wie sie sein sollten, und wir sollten sie schützen und ihnen erlauben, zu experimentieren. Aber zur Jugend gehört die Entdeckung, dass das, wovon man sehr überzeugt war, sich nicht bewahrheitet hat – wir alle haben solche Phasen durchgemacht. Und es ist schrecklich, wenn eine solche Phase zu einem chirurgischen Eingriff führt, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Wie haben Ihre Erfahrungen am Evergreen State College in Olympia, Washington, die Ansichten geprägt, aus denen Sie Ihr Buch entwickelt haben?

Heying: Wir schrieben das Buch, nachdem wir Evergreen verlassen hatten, aber entwickelten viele der Ideen, während wir dort waren, und mit den Studenten, die in unseren Kursen waren. Die Leute glaubten, dass die Studenten, die Bret im Mai 2017 auf dem Flur konfrontierten, alle Studenten am College repräsentierten. Das stimmt nicht. Unsere Studenten waren immer offen und wissbegierig und daran interessiert, zu verstehen, wer sie aus einer evolutionären Perspektive sind. Also unterrichtete ich jedes Quartal sexuelle Selektion, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, Geschlechterrollen, wie Geschlechterrollen bei anderen Spezies aussehen und wie sie sich beim Menschen manifestieren, was es bedeutet, männlich und weiblich zu sein, und wie sich diese Unterschiede bei verschiedenen Spezies zeigen. Es hatte zuvor nie jemand gegen mich oder Bret protestiert. Die Proteste von 2017 bezogen sich auf etwas, das fiktiv war, nicht auf das, was im Seminarraum passierte.

Weinstein: Die Studierenden, die protestierten, hatten wir vorher nie getroffen. Sie tauchten einfach auf. Und sie protestierten gegen Dinge, die man ihnen erzählt hatte, nicht gegen Dinge, die sie selbst erlebt hatten. Die Erfahrung dessen, was am Ende unserer Amtszeit in Evergreen geschah, hat uns also offensichtlich geprägt, wir haben eine regelrechte Hexenjagd erlebt. Damit wurde unser Verständnis der wissenschaftlichen Realitäten nicht verändert, aber wir haben dadurch eine grosse Bandbreite unterschiedlichster Menschen kennengelernt.

Würden Sie sagen, dass Sie jetzt freier sind?

Heying: Vor zehn Jahren hatten wir das Gefühl, einen der besten Jobs der Welt zu haben, weil wir völlige akademische Freiheit genossen. Diese Freiheit wurde beeinträchtigt, als mit dem neuen Präsidenten die Social-Justice-Ideologie auf dem Campus Einzug hielt, und im Mai 2017 explodierte sie öffentlich. Wir fühlten uns von der Verwaltung eingeengt, und einige unserer Kollegen an der Fakultät versuchten, die Freiheit, die wir hatten, einzuschränken – und zwar nicht im Dienste einer besseren Ausbildung oder eines besseren Denkens, sondern aufgrund gewisser Vorstellungen, die sie hatten. Im Vergleich zu dieser Zeit sind wir heute also viel freier.

Weinstein: Wir hatten uns nach dem Wechsel im Präsidium so verhalten wie zuvor. Und das brachte uns auf Kollisionskurs mit der neuen Führung, die eine autoritäre Tendenz hatte. Wir sind jetzt sehr frei, aber der Verlust an Sicherheit ist absolut erschütternd.

Werden Sie jemals in eine akademische Institution zurückkehren?

Heying: Wir werden ganz sicher nicht ans Evergreen State College zurückkehren. Es ist möglich, dass wir unter bestimmten Umständen woanders hingehen würden – es wäre schön, wieder eine akademische Stelle zu haben und die damit verbundenen Vorzüge in Anspruch zu nehmen, beispielsweise den Bibliothekszugang. Aber in einer eher konventionellen Lehrsituation Vollzeit zu unterrichten, in der man nur dreimal pro Woche für vielleicht eine Stunde mit Studenten zu tun hat, wäre ein solcher Rückschritt gegenüber dem, was wir in Evergreen tun konnten, dass wir wohl nicht das Gefühl hätten, dass es den Studenten das Gleiche bringen würde.

Weinstein: Als wir Evergreen verliessen, haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, so weiterzumachen wie bisher, nur eben angepasst an die neue Rolle, in der wir uns befanden. Das Buch basiert auf demselben Modell, das wir im Seminarraum gelehrt haben, und unser Podcast «DarkHorse» stellt ebenfalls eine Beziehung zu einem neuen Publikum her. Aber in gewisser Weise kann er nicht schaffen, was wir früher gemacht haben, weil wir ein Pu­blikum von Hunderten oder Tausenden nicht so gut kennen können wie ein Publikum von 50 Studenten. Die Möglichkeit, Einzelpersonen zu erreichen, ist jedoch etwas, das wir sehr schätzen.

Ihr Podcast hat sich zu einer eigenen Institution entwickelt. Könnte sich dieses Medium zu einer langfristigen gegenkulturellen Strategie ausweiten? Kann dies eine neue Form der Universität sein?

Weinstein: Es ist sehr interessant zu sehen, wie aus einer Idee, die einem in den Sinn kommt, so etwas wie eine neue Institution entsteht. Es wurde dabei sehr rasch eine Grössenordnung erreicht, bei der die Frage der Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen wichtig geworden ist. Ist der Podcast eine Universität? Nein, das kann er nicht sein. Mit dem Podcast können wir keine vernünftige wissenschaftliche Forschung betreiben. Wir brauchen aber ein neues Universitätssystem. Es muss alle wichtigen Funktionen des alten Universitätssystems weiterführen.

«Wenn wir Menschen mit all unseren kulturellen Überlagerungen

und dem Gefühl, mit unserem Körper nicht ganz im

­Reinen ­zu sein, entscheiden, dass Biologie

nicht real sei, ist das eine ­gefährliche Fiktion.»

Glauben Sie, dass sich die Situation für Ihre Kollegen, die noch im akademischen Bereich tätig sind, verschlechtert hat?

Heying: Die Lage ist seit 2017 nicht besser geworden. Ob man das bestehende Hochschulbildungssystem reparieren kann, ist nicht klar – noch habe ich einen Funken Hoffnung. Ob das System, das wir derzeit haben, in 10 oder in 50 Jahren noch diejenige Art von Hochschulbildung liefern wird, die wir brauchen, bleibt offen. Es wird immer unwahrscheinlicher.

Weil Ideologen eine Festanstellung bekommen und dann so lange weitermachen können, wie es ihnen beliebt?

Heying: Akademische Festanstellungen sind heikel. Wir haben etwas mehr als ein Jahr lang aktiv versucht, herauszufinden, wie ein neues System für das höhere Bildungswesen aussehen könnte. Eine der Ideen, mit denen wir gespielt haben, waren Verträge, die verlängert werden müssen. Wenn man also gute Arbeit leistet, ist es wahrscheinlicher, dass man eine Verlängerung des Vertrags angeboten erhält. Sind Leute auf der sicheren Seite, offenbaren sie vielleicht, dass sie nicht sonderlich interessiert oder besonders interessant sind, möglicherweise gar ein bisschen faul, oder eben, dass sie Ideologen sind. Ideologen sind ein Teil des Problems, aber bei weitem nicht das ganze Problem.

Wo haben die Fehlentwicklungen des Universitätssystems begonnen?

Weinstein: Das Universitätssystem hätte gerettet werden können, aber das ist Jahrzehnte her. Als Studenten haben wir versucht, darauf hinzuweisen, was passieren würde, wenn das System weiterhin mit Ideen spielt, die wir heute «Critical Theory» nennen. Was wir befürchtet haben, ist eingetreten – offen gesagt, schlimmer, als wir erwarteten.

Heying: In den frühen 1990er-Jahren schien es uns lächerlich, dass die Tatsache, dass wir in ein paar Anthropologiekursen auf diese schlechten Ideen stiessen, es notwendig machte, sich dagegen zu wehren – aber wir haben das Risiko weit unterschätzt.

Weinstein: Wie alle anderen konnten auch wir uns nicht vorstellen, dass wir eines Tages darüber streiten würden, ob zwei plus zwei wirklich vier ist oder ob Männer wirklich anders sind als Frauen. Das sind unsinnige Streitigkeiten. Es ist Sophisterei, die das Universitätssystem übernommen hat. Wir haben das so lange schleifen lassen, dass eine Rettung der akademischen Institutionen kaum noch denkbar ist. Das heisst, wir brauchen ein System, das das tut, wozu es geschaffen wurde. Wir müssen es neu aufbauen.

Ist es nicht ein Teil des Problems, dass die meisten anderen gesellschaftlichen Areale diese Ideologie mittlerweile widerspiegeln? Wenn man sich die Bildungslandschaft, den Journalismus und die Öffentlichkeit ansieht, scheint nunmehr alles miteinander verwoben zu sein.

Heying: So ist es. Die Ideologie der «Critical Theory» gewann in den späten 1980er-, frühen 1990er-Jahren, als wir auf dem College waren, an Boden und verschwand dann aber irgendwie für eine Weile. Mein Eindruck ist, dass die Leute, die damals unsere Kommilitonen waren, es ernst gemeint hatten. Sie sind nun selbst zu Professoren geworden und haben jetzt die Oberhand. Ihre Vormachtstellung haben sie zum Teil dadurch erlangt, dass sie neue Bereiche, neue Abteilungen geschaffen haben, was die Zahl der Professoren an den Hochschulen erhöhte. Die Folgen sind gravierend: Generationen von Studenten haben diese Universitäten durchlaufen, ohne dass sie oder ihre Eltern eine Ahnung davon hatten, dass es sich bei dem, was sie bekommen haben, eher um Ideologie als um Bildung handelt.

Weinstein: Es gab eine Zeit, in der wir eingeladen wurden, um über das zu sprechen, was als Krise der freien Meinungsäusserung an den Hochschulen verstanden wurde. Jedes Mal habe ich beteuert: Das ist keine Krise der freien Meinungsäusserung, und es geht auch nicht um Hochschulen.

Um was denn?

Weinstein: Um Kontrolle. Die Schlacht darum fand zunächst an den Universitäten statt. Im Sommer 2020 schwappte das in die Welt hinaus, und plötzlich konnten die Menschen erkennen, dass das, worum es ging, nichts mit den Hochschulen zu tun hatte. Aber es war zu spät. Es ist wichtig, dass wir jetzt begreifen, wie sich eine Täuschung über die Zivilisation ausbreitet. Es ist nicht das erste Mal, dass das geschieht; und wenn es in der Vergangenheit passierte, endete es furchtbar. Wir müssen dieser Sache zuvorkommen. Wir müssen sagen: Wisst ihr was? Zwei plus zwei ist gleich vier. Männer sind anders als Frauen. Die Geschichte der Menschheit besteht nicht nur darin, dass eine Rasse andere Rassen schlägt. Es ist vielmehr eine Geschichte, die glorreiche und schreckliche Aspekte hat. Und der einzige Weg, um voranzukommen, besteht darin, die Vorteile, die entdeckt und erreicht wurden, zu demokratisieren, so dass jeder Zugang dazu hat. Das ist der Weg zur Lösung des Problems, nicht das Begleichen alter Rechnungen.

Sie betonen, dass es sich nicht nur um ein Problem der Vereinigten Staaten, Europas oder der westlichen Welt handle. Es sei ein globales Phänomen.

Weinstein: Es ist ein menschliches Phänomen, das sich auf eine neuartige Weise entfaltet. Wir sehen es nicht, weil wir zu nah dran sind. Wir schauen uns die Erzählungen an und fragen: Warum sagen mir die Leute plötzlich, dass zwei plus zwei nicht gleich vier ist? Wann haben wir in der Vergangenheit gehört, dass Menschen Unsinn sagen, und was ist dann passiert? Cancel Culture wird als ein ganz neues Phänomen verstanden, das durch die Mängel der sozialen Netzwerke entstanden ist. Es ist aber kein neues Phänomen. Auch Hexen wurden «gecancelt», nur gab es den Begriff damals noch nicht.

Heying: Ein Unterschied zu damals ist, dass wir noch nie eine so globale Wirtschaft hatten.

Weinstein: Die Gefahr ist umso grösser, weil wir dieses Mal alle gemeinsam daran beteiligt sind. Wir sitzen in einem Boot – und wir werden gemeinsam untergehen oder über Wasser bleiben.

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