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Was, wenn der Chef streikt?
Ayn Rand (1957), fotografiert von Phyllis Fraser. Bild: Public domain, wikimedia commons.

Was, wenn der Chef streikt?

Leistungsträger haben die Nase voll und ziehen sich zurück: Das fiktive Szenario, das Ayn Rand in ihrem Roman «Der Streik» beschreibt, droht Realität zu werden.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Bürokratie regiert, die Öffentlichkeit Leistung schlechtredet und die freie Marktwirtschaft sich in ein System von Absprachen verwandelt, in dem die Nähe zum Staat und die Fähigkeit, den Dschungel der Vorschriften zu durchschauen, entscheidend für Erfolg sind. Diese Welt, die Ayn Rand in ihrem 1957 erschienenen Roman «Der Streik» in fiktiver Form beschrieb, erscheint heute sehr real. Wir erleben einen regelrechten Subventionskrieg zwischen den USA, Asien und in geringerem Masse auch Europa, um Unternehmen anzulocken, die unter der Bürokratie zusammenbrechen.

In Rands Roman häufen sich mysteriöse Vermisstenfälle. Eines Morgens erscheint der Vorgesetzte nicht mehr im Büro, ohne eine Erklärung abzugeben. Am nächsten Tag ist es der fleissigste Mitarbeiter, der kein Lebenszeichen mehr von sich gibt. Dann der Forschungsleiter. Jene, welche die Welt auf dem Rücken tragen, treten in den Streik. Sie weigern sich, eine kollektivistische und überregulierte Welt weiter zu unterstützen, die ihre Talente ausnutzt und sie gleichzeitig bestraft. Das führt zu Krisen und Katastrophen.

Abstimmen mit den Füssen

Wie in Ayn Rands Roman verschwinden die Macher auch in unseren modernen Gesellschaften physisch. Von der Bürokratie ermüdet und von der Steuerprogression erdrückt, entscheiden sich immer mehr Menschen für «Quiet Quitting», die stille Resignation: Sie erledigen am Arbeitsplatz nur noch das Minimum. Oder sie stimmen mit den Füssen ab und ziehen in ein Land oder einen Kanton mit niedrigeren Steuern sowie einer Kultur, die weniger neidisch auf den Erfolg anderer ist. Manche Unternehmer, die früh reich geworden sind, verabschieden sich in Richtung von Orten wie Monaco oder Liechtenstein.

Die Figuren des Romans stellen sich eine Frage, die wahrscheinlich viele beschäftigt: Wozu Karriere machen, wenn am Ende mehr als die Hälfte des Einkommens vom Staat weggenommen wird? Eine von der protestantischen Arbeitsethik geprägte Kultur und ein gewisses Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen für das Gemeinwohl sorgen dafür, dass die Schweizer im internationalen Vergleich immer noch viel arbeiten. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass dieser Leistungswille fortbesteht.

«Eine von der protestantischen Arbeitsethik geprägte Kultur und ein

gewisses Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen für das Gemeinwohl sorgen dafür, dass die Schweizer im internationalen Vergleich immer noch viel arbeiten. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass dieser

Leistungswille fortbesteht.»

Vor allem der demografische Wandel gibt wenig Anlass zu Optimismus: Die beiden grössten Ausgaben des Sozialstaates, das Gesundheitswesen und die Altersvorsorge, werden mit der Alterung der Bevölkerung mechanisch weiter ansteigen und damit die Kaufkraft der Erwerbstätigen schmälern. Und das, obwohl die Erwerbstätigen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung an Bedeutung verlieren.

Freiheit funktioniert

Wenn die Bürokratie und die starke Präsenz des Staates zu Wohlstand und Glück führen würden, dann stünden nicht die Schweiz und andere kleine freie Länder an der Spitze der verschiedenen internationalen Ranglisten, sondern die «Paradiese» des Kollektivismus wie Frankreich. In der Realität zeigen die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern oder in der Schweiz zwischen den einzelnen Kantonen, dass man mit tieferen Steuern und höherer wirtschaftlicher Freiheit fast immer bessere Ergebnisse für die gesamte Bevölkerung erzielt.

Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass das Seil eines Tages reissen kann, wenn zu stark an ihm gezogen wird. Selbst die motiviertesten und fleissigsten Menschen haben ihre Grenzen. Wir sollten es vermeiden, sie zu sehr zu testen.

Diese Kolumne erschien zuerst auf Französisch in «Le Temps».

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