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Was mich der Aufbau eines Surfcamps über Amerika  gelehrt hat
Bild: Unsplash, Noah Fuentes/@7thhype.

Was mich der Aufbau eines Surfcamps über Amerika
gelehrt hat

Nach all den Jahren in Kalifornien verstehe ich, dass der «American Dream» weit mehr ist als Freiheit und Erfolg – er ist eine Philosophie der Leichtigkeit, der Offenheit und des stetigen Voranschreitens.

Schon als Kind wusste ich, dass ich eines Tages etwas in Kalifornien machen würde. Hollywood, Skateboard, Computer – Freiheit. Mein amerikanischer Traum. Aber dass es ein Surfcamp sein würde, hätte ich nie gedacht. Im Dezember 2012 lernte ich in Huntington Beach, südlich von Los Angeles, Dave kennen. Er hatte den Traum, das erste Surfcamp für Erwachsene in Kalifornien zu eröffnen. Ich reiste damals um die Welt, um Surfen zu lernen, doch ein Camp in Kalifornien für Leute wie mich gab es tatsächlich nicht.

Wir waren draussen auf dem Meer und Dave erzählte mir alles über seine Idee. Ich sagte: «You are an American, you dream it. I’m Swiss, we do it.» Und ich bot ihm meine Unterstützung für den Businessplan und das Marketing an, und wenn er wolle, könne er mir ein Angebot für eine Beteiligung machen. Ende Januar war die Website online und im Mai 2013 konnten wir die ersten drei Gäste aus Europa begrüssen. Es folgten über zweitausend Surfbegeisterte aus der ganzen Welt.

Drei Dinge, die ich in dieser Zeit gelernt habe, möchte ich mit Ihnen teilen.

1. Ich verstehe, was Steve Ballmer mir sagen wollte

Während wir das Surfcamp aufbauten, versuchte ich, jährlich zwei Monate vor Ort meinen amerikanischen Traum zu leben. Dabei verstand ich zum ersten Mal, was mir Steve Ballmer, der ehemalige Microsoft-CEO, vor Jahren sagen wollte.

Anfang des Jahrtausends entwickelten wir eine Unternehmenssoftware namens Demandit. Was wir machten, war unserer Meinung nach der Zeit weit voraus. Trotz unseres Erfolgs mit über 300 Kunden und 12 Millionen Seitenaufrufen pro Tag sowie der Tatsache, dass die Software nach 20 Jahren immer noch bei Kunden im Einsatz ist, schafften wir den Durchbruch nicht. Am Ende fehlten mir einfach die Erfahrung und das Wissen, um aus dem Produkt den Erfolg zu machen, den wir uns erhofft hatten.

Unter anderem habe ich gelernt, dass man manchmal nicht versteht, was jemand zu einem sagt. An einer Konferenz in der Schweiz traf ich Steve Ballmer, der mir riet, in die USA umzuziehen. Aber ich dachte damals, wir könnten von der Schweiz aus die Welt erobern. Erst als ich regelmässig in Amerika war, wurde mir bewusst, dass die Grösse des amerikanischen Marktes Möglichkeiten bietet, die in einem kleinen Land wie der Schweiz schwer zu finden sind.

Intellektuell wissen wir, wie klein die Schweiz ist. Aber was das wirklich bedeutet, muss man erst erleben. Unser Surfcamp befindet sich auf halbem Weg zwischen Los Angeles und San Diego. Allein im Grossraum Los Angeles leben 18 Millionen Menschen, in San Diego County sind es weitere 3 Millionen und in der Bay Area nochmals 8 Millionen. Alle mit der gleichen Sprache, der gleichen Währung und den gleichen Gesetzen. Und Topunternehmen aus aller Welt.

«Intellektuell wissen wir, wie klein die Schweiz ist. Aber was das wirklich bedeutet, muss man erst erleben.»

Bei einer Software wie der unseren hätte das einen grossen Unterschied gemacht. Denn wenn man in der geschützten Werkstatt Schweiz etwas entwickelt, hat man zwar einen tollen, qualitätsbewussten und zahlungskräftigen Kundenstamm, aber meistens ist die Software dann für einen sehr, sehr kleinen Markt gemacht. Denn was hier zählt, zählt nicht unbedingt im Rest der Welt.

2. Die Amerikaner verstehen das Wort Qualität nicht – wir nicht ihre Convenience

Für uns Schweizer steht Qualität über allem: Fundierte Ausbildung, handwerkliche Präzision, Geduld – das alles sind Werte, die wir schätzen. Doch dann erkannte ich, dass die Amerikaner eine ganz andere Priorität setzen: Convenience.

Ich gehörte zugegebenermassen auch zu denen, die die Nase rümpften, wenn Amerikaner von Qualität reden. Die können das einfach nicht so wie wir. Das fängt bei der Ausbildung an und hört bei der fehlenden Geduld, wenn etwas fertig werden muss, noch lange nicht auf. Sie bewerten ein Produkt nicht so wie wir.

Als mir ein Amerikaner erklärte, dass sie Convenience über Qualität stellten, war das wie ein Weckruf. Dieser Moment veränderte mein Denken – plötzlich sah ich, wie sehr die Amerikaner Bequemlichkeit in alle Bereiche ihres Lebens integrieren. Für sie ist Bequemlichkeit nicht nur praktisch, sie ist eine Lebensphilosophie. Die Amerikaner schätzen es einfach sehr, wenn die Dinge «convenient» gemacht sind. Als Schweizer können wir das Wort nachschlagen und lesen: bequem und praktisch. Aber eigentlich bedeutet es viel mehr. Es ist eine Philosophie. So wie wir die Qualität perfektioniert haben, haben die Amerikaner die Convenience perfektioniert. Und zwar auf einem Niveau, das wir in der Schweiz gar nicht richtig verstehen.

Ich erkannte, dass Tesla ein Ladenetzwerk aufbaut, weil sie es ihren Kunden leicht machen wollen, von A nach B zu kommen, und dass das bequeme Aufladen der Batterie dazugehört – es ist Teil des Produkts. Auch die Einfachheit des Google-Suchfelds ist kein Zufall. Amerikaner machen es der Welt leicht, ihre Produkte zu benutzen, weil sie auf vieles verzichten, um sie «convenient» zu halten.

«Amerikaner machen es der Welt leicht, ihre Produkte zu benutzen, weil sie auf vieles verzichten, um sie ‹convenient› zu halten.»

Unsere Software wäre in Amerika nicht nur auf einen grösseren Markt gestossen, sondern wir hätten sie auch einfacher zugänglich gemacht.

3. Die Amerikaner sind nicht oberflächlich

Sind Amerikaner oberflächlich? Diese Frage stellen sich viele, die zum ersten Mal in die USA reisen. Gerade wir Schweizer, die wir aus einem Land der Berge und des langsamen, gründlichen Vertrauens kommen, sind oft überrascht von der offenen und freundlichen Art der Amerikaner. Diese Offenheit hat tiefere Wurzeln, als es auf den ersten Blick scheint.

Ich habe eine These. Die ersten Siedler kamen in Booten. Es gab keine Familie, keine Freunde, keine Bekannten, die sie hätten aufnehmen können. Das Einzige, was sie mit anderen Menschen teilten, war ihr Schicksal, freiwillig oder unfreiwillig Einwanderer zu sein. Und so waren alle froh, wenn sie wenigstens freundlich aufgenommen wurden. Daraus entwickelte sich eine Kultur der Freundlichkeit, immer verbunden mit der Erwartung, dass die Gäste am nächsten Tag weiterziehen würden. Und so sind viele Amerikaner freundlich, hilfsbereit und offen. Diese Freundlichkeit ist nicht gespielt, sondern ehrlich gelebt.

Der Slogan unseres Camps war am Anfang: «California #1 Surf Camp». Das war eher ein Platzhalter, weil wir noch nicht wussten, wie wir uns positionieren sollten. Dann lobten viele Leute auf Tripadvisor die Herzlichkeit und Freundlichkeit. Als dann noch ein Gast schrieb, es sei wie bei Freunden, hatten wir unseren Slogan: «TheCaliCamp – Surfing with friends».

Diese positive Art ist Teil der amerikanischen Kultur. Und sie kann uns irritieren. Einmal kam eine Schweizerin im Surfcamp zu mir und sagte: «Du, hier ist es unheimlich: Alle sind so nett.» Für uns, die in einem Land der Berge aufgewachsen sind, wo es ein langer und mühsamer Prozess ist, Freunde zu finden, ist diese Freundlichkeit überraschend und manchmal sogar beängstigend. Wir fühlen uns ungewohnt freundlich aufgenommen – und glauben, wir hätten schon Freundschaft geschlossen. Dabei wurden wir nur mit den üblichen Gepflogenheiten empfangen, in der Erwartung, dass wir am nächsten Tag wieder weg sind. Was uns wiederum vor den Kopf stösst. Auf uns mag das oberflächlich wirken. Ist es aber nicht.

Es ist jetzt bald zwölf Jahre her, seit wir das Surfcamp eröffnet haben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man in Amerika sehr wohl Freundschaften schliessen kann. Aber das dauert genauso lange wie in der Schweiz. Man muss auch beim Umzug helfen, da sein, wenn man gebraucht wird, wenn es Spass macht und wenn man zusammen ein paar Wellen surfen geht.

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