
«Was keine Rendite bringt, ist letztlich nicht nachhaltig»
Thomas Staehelin und seine Familie investieren über eine halbe Milliarde Franken in den Industriepark Uptown Basel. Prunkstück des Areals ist der erste kommerziell nutzbare Quantencomputer der Schweiz.
Thomas Staehelin, Ihre Familie investiert über 500 Millionen Franken in Uptown Basel. Was war Ihre Motivation, das Projekt zu lancieren?
Es war mir ein Anliegen, etwas gegen die drohende Deindustrialisierung in der Schweiz zu tun. Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Dienstleistungsgewerbe stark im Aufschwung. Einige waren gar der Ansicht, dem Dienstleistungssektor gehöre die alleinige Zukunft. Heute sieht es wieder etwas anders aus. Uptown Basel ist ein Bekenntnis zum Industriestandort Schweiz.
Gab es noch andere Faktoren?
Ich wurde auf dieses riesige Areal erstmals aufmerksam, als wir einen neuen Werkhof für ein regionales Bauunternehmen, dem ich verbunden bin, gesucht haben. Ich habe dem Kanton Baselland signalisiert, dass ich lieber Eigentümer als Zinszahler im Baurecht wäre. Doch der Kanton wollte das brachliegende ehemalige Industrieareal der ABB nur als Ganzes verkaufen. So haben wir mit dem Arealentwickler Hans-Jörg Fankhauser begonnen, dahingehend Ideen zu entwickeln. So kam eines zum anderen. Und ich ganz nebenbei zu einer neuen Aufgabe, die mir enorm Spass macht. In meinem Alter ist das nicht selbstverständlich (schmunzelt).
Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Wir haben 2016 keinen Masterplan entworfen, den wir nun abarbeiten. Ich habe aber mit meiner Frau und unseren Kindern Grundprinzipien, die Vision und Werte definiert. Wie die Industrie von übermorgen aussehen wird, ist schwer zu sagen. Einfacher ist die Frage, welche Infrastruktur sie benötigen könnte. Wir haben dann eine breite Debatte geführt und Zukunftstechnologien definiert, für die wir etwas unternehmen wollen. Im Fokus stehen Cybersicherheit, virtuelle Realität, Robotik, Internet der Dinge, E-Mobilität oder 3D-Druck. Wir wollten von Anfang an technologieoffen sein und auf verschiedene Standbeine setzen. Mit der Abwärme unserer Rechner werden wir übrigens bis zu 20 000 Haushalte heizen. Auch können die Gebäude eines Tages zerlegt und weitgehend wiederverwendet werden.
Sie haben die Quantentechnologie nicht erwähnt. Wann haben Sie zum ersten Mal von Quantencomputern gehört?
Genau weiss ich das nicht mehr. Sicher haben wir uns 2016 im Rahmen der Digitalisierungsdebatte damit befasst. Damals dachten wir allerdings, dass Quantencomputer vielleicht irgendwann nach 2030 einmal zum Thema werden könnten (lacht). Die wahre Bedeutung erkannte ich erst, als der Physiknobelpreis 2022 an drei Quantenforscher verliehen wurde. Heute bin ich davon überzeugt, dass es in der Zukunft nicht viele Industrien geben wird, die nicht davon betroffen sein werden.
Was hat denn der Nobelpreis bei Ihnen ausgelöst?
Eine enorme Dynamik! Wir entschieden, gezielt auf Quantenindustrie und KI zu setzen, was zur Gründung der Firma Quantum Basel führte. 2024 ging dann der Physiknobelpreis an John Hopfield und Geoffrey Hinton, die für ihre Pionierarbeit im Bereich der künstlichen neuronalen Netzwerke ausgezeichnet wurden. Ihre Forschung bildet die Basis für das maschinelle Lernen, das ein zentraler Bestandteil moderner KI ist. Quantum Basel ist als Kompetenzzentrum für Quantencomputing und KI daher bestens aufgestellt. Wir sind eine Art feuchter Waldboden, und seither spriessen die Pilze. In diesem Zusammenhang wurde auch die Firma QAI Ventures als Schwestergesellschaft von Quantum Basel gegründet. Sie soll als eine Art positiver «Brandbeschleuniger» daran arbeiten, ein Ökosystem für Quanten- und KI-Start-ups zu schaffen.
«Wir sind eine Art feuchter Waldboden, und seither spriessen die Pilze.»
Wie läuft diese Förderung konkret?
Interessierte Start-ups können sich einer internen Auswahlkommission präsentieren. Bei einer Aufnahme erhalten sie 200 000 Franken. Die Hälfte «in-kind», die sie sich zum Beispiel für Beratungen anrechnen lassen können, die andere Hälfte in Cash. Wir als Uptown Basel erhalten im Gegenzug Firmenanteile. Zurzeit sind wir auch daran, einen Fonds einzurichten, welcher erfolgreiche Start-ups mit zusätzlichem Kapitalbedarf bedienen soll.
An wie vielen Firmen ist Uptown Basel zurzeit beteiligt?
An über 15 Top-Start-ups aus der ganzen Welt. Zum Beispiel Kipu Quantum aus Berlin.
Wie abhängig sind Sie von einzelnen Firmen oder Technologien?
Gewisse Abhängigkeiten gibt es immer, klar. Bei Quantencomputern setzen wir bewusst auf verschiedene Technologien und die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Herstellern. Der neuste Quantencomputer hier im Haus wurde beispielsweise von der amerikanischen Firma IonQ hergestellt, die nun auch ihren Europasitz bei uns hat. Es handelt sich um den ersten kommerziell nutzbaren Quantencomputer der Schweiz. Quantum Basel ermöglicht seinen Kunden so einen exklusiven Zugang zu diesem Computer für deren komplexe Berechnungen. Der Rechner läuft übrigens in einer rein schweizerischen Cloud-Umgebung und ist damit unabhängig. Auch haben wir ein eigenes Unterwerk für die Versorgung mit Strom. Damit sind wir nicht so leicht «abschaltbar». Das ist wichtig.
Investieren Sie die halbe Milliarde eigentlich «à fonds perdu»?
Meine Familie betreibt mit Uptown Basel ganz klar keine Philanthropie. Wir streben stattdessen die sogenannte «Enkelfähigkeit» an. Profitieren soll also nicht ich, meine Frau oder unsere Kinder, sondern die übernächste Generation, also unsere fünf Enkel. Eine philanthropische Finanzierung wäre für diese Art von Tätigkeit auch nicht sinnvoll. Wir wollen im globalen Wettbewerb und langfristig bestehen können.
Was braucht es, damit Uptown Basel ein Erfolg wird?
Aus Investorensicht ist die Rentabilität ein langfristiger Erfolgsfaktor. Was keine Rendite bringt, ist letztlich nicht nachhaltig. Auch die Durchmischung der angesiedelten Unternehmen und Industrien ist wichtig. Wir setzen auf Quantencomputer und künstliche Intelligenz, aber nicht ausschliesslich. Mir war es stets wichtig, in der Ausrichtung flexibel zu bleiben. Es ist unsere Strategie, etablierte Firmen mit Start-ups zusammenzubringen.
Welche Rolle spielt die Schweiz im Bereich Quantencomputer?
Wir haben herausragende Wissenschafter, Firmen und Institutionen. Zum Beispiel das Paul-Scherrer-Institut, die ETHs, IBM oder Quantum Basel. Ich bin der Ansicht, dass der Staat bei der Quantentechnologie und bei der Bildung mehr machen sollte. Verstehen Sie mich richtig, ich rede nicht von mehr Geld für uns, sondern für die Schweiz, um international mithalten zu können. Im Vergleich zu den USA, China und auch Europa, und vor allem gemessen an den eigenen Möglichkeiten, liegt die Schweiz bei der staatlichen Unterstützung im Quantenbereich klar zurück. Anderseits bin ich auch der Meinung, dass die Schweiz eigentlich gar keine Industriepolitik betreiben sollte.
«Im Vergleich zu den USA, China und auch Europa, und vor allem
gemessen an den eigenen Möglichkeiten, liegt die Schweiz bei der
staatlichen Unterstützung im Quantenbereich klar zurück.»
Ist das nicht ein Widerspruch?
Nun, es ist stets ein Abwägen. Wir sollten auch bei der Regulierung situativ und mit Augenmass handeln. In einem sich derart rasch verändernden Umfeld sollte man weder das eine noch das andere als Dogma predigen.
Wie haben Sie die Verwaltung in diesem Projekt wahrgenommen?
Sehr positiv. Sowohl auf Stufe des Kantons Baselland wie auch in der Gemeinde Arlesheim. Besonders gefreut hat mich, dass die Gemeindeversammlung Arlesheim dem revidierten Quartierplan mit 84 Prozent zugestimmt hat und somit voll hinter uns steht.
Frage an den Juristen: Ist der Bereich Quantencomputing eigentlich schon überreguliert?
Ich kann das nicht abschliessend beurteilen. Aber wir beobachten in der Europäischen Union schon eine Tendenz, insbesondere die Bereiche Quantencomputing und KI stark zu regulieren. Auch Datencenter aufzubauen, wird in Europa immer schwieriger, vor allem wegen der vielen Umweltauflagen betreffend Stromverbrauch und Abwärme. Hier kann die Schweiz es besser machen.
Wie wichtig sind strategische Partnerschaften?
Die sind für den Aufbau eines Quantenökosystems sehr wichtig. Zugleich wollen wir aber offen für andere Technologien sein und somit anpassungsfähig bleiben. Denken Sie nur an die chinesische App DeepSeek, die völlig unerwartet aufgetaucht ist. Solche Ereignisse, die ganze Industrien durchschütteln, wird es immer wieder geben. Deshalb müssen wir flexibel bleiben, sowohl bei der Infrastruktur wie auch vor allem in unseren Köpfen.
Welche Erwartungen haben Sie an den Staat?
Da bin ich klassisch unterwegs. Ich erwarte eine aktive, partnerschaftliche Rolle des Staates. Das beinhaltet möglichst optimale Rahmenbedingungen und Unterstützung, um Ideen und Projekte zu realisieren. Ich spreche nicht von Geld, sondern über die Befreiung von unsinnigen Vorschriften oder Verzögerungen. Sparen bei der Bildung, wie das bei der ETH angedacht ist, erachte ich nun wirklich nicht als besonders visionär. Ich war lange Zeit auch politisch aktiv, als Grossrat in Basel-Stadt für die LDP. Es braucht eine faire Partnerschaft zwischen Bürger und Staat. Ein Geben und ein Nehmen. Ich für meinen Teil bin zum Geben bereit.
Hat die Schweiz überhaupt genügend Fachkräfte, die einen Quantencomputer bedienen können?
Auf Stufe Wissenschaft verfügt die Schweiz über herausragende Leute und Institutionen. In der Privatwirtschaft haben wir diese Leute nicht in genügendem Ausmass – erst recht nicht, um den zukünftigen Bedarf decken zu können. Deshalb haben wir mit der Fachhochschule Nordwestschweiz einen Lehrstuhl für Quantencomputing auf die Beine gestellt, wo wir uns für die Förderung von jungen IT-Talenten engagieren.
Reden wir über die Schweiz. In welchem Zustand befindet sich das Land?
Im Moment ist es schwierig. Ich empfinde den Bundesrat als führungsarm, vor allem im Hinblick auf das EU-Dossier. In Diskussionen werden heute schnell rote Linien gezogen. Unser System ist jedoch auf Diskurs und Kompromisse ausgelegt. Auch liegt der Fokus nicht immer auf dem Wesentlichen.
… und das wäre aus Ihrer Sicht?
Wie sich die Schweiz und die Wirtschaft weiterentwickeln sollen, damit wir unseren Wohlstand sichern und ausbauen können. Unser Wohlstand ist nicht gottgegeben, sondern muss jeden Tag hart erarbeitet werden. Ich sehe diese Aussage auch im Konflikt mit der grassierenden Teilzeit-, Homeoffice- und Freizeitmentalität. So hat zum Beispiel der Freizeitverkehr der SBB an Freitagen seit Covid stark zugenommen. Klar, die Gesellschaft ändert sich und man will offen und flexibel sein. Doch langfristig ist das keine gute Tendenz.
«Unser Wohlstand ist nicht gottgegeben, sondern muss jeden Tag hart
erarbeitet werden.»
Stichwort EU-Rahmenabkommen, Sie waren lange Präsident der Handelskammer beider Basel (HKBB). Die gegenwärtige Präsidentin der HKBB, Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, ist eine dezidierte Befürworterin einer institutionellen Anbindung an die EU. Sehen Sie das auch so?
Ich teile diese Ansicht vollständig. Wir müssen einen «Modus Vivendi» finden. Ein solcher muss periodisch angepasst und wahrscheinlich dynamisiert werden. Die Diskussionen um einen Souveränitätsverlust halte ich für übertrieben und nicht vorwärtsgerichtet. Ich will auch keinen Souveränitätsverlust, deshalb will ich auch nicht in die EU. Zu gewissen Einschränkungen bei der demokratischen Mitsprache bei selektiven Abkommen bin ich zugunsten der Vorteile für die Wirtschaft jedoch bereit.
Wie nehmen Sie die jüngeren Generationen wahr?
Was ich hier bei Uptown Basel, am Europa-Institut, das wir nach dem EWR-Nein gegründet haben, und bei vielen anderen meiner Engagements sehe, stimmt mich positiv. Ich sehe viele engagierte, junge Leute.
Haben Sie einen Wunsch an jüngere Generationen?
Ich wünsche mir offene, aktive junge Menschen, die in der Lage sind, Chancen zu erkennen. Und dass man den Diskurs mit älteren Generationen pflegt.
Sie waren rund 50 Jahre im Verwaltungsrat des Logistikkonzerns Kühne & Nagel. Es ist vorgesehen, dass Sie dereinst das auf 30 Milliarden Franken geschätzte Stiftungsvermögen von Klaus-Michael Kühne verwalten werden.
Ich begleite Herrn Kühne seit 50 Jahren in verschiedenen Funktionen. Die Stiftung gibt es seit den 1970er-Jahren und sie wird dereinst über das Vermögen von Herrn Kühne verfügen, da er keine Kinder hat. Es ist angedacht, dass ich das Präsidium dieser Stiftung von ihm übernehme. Dazu gehören auch die Beteiligungen an Kühne & Nagel, Hapag-Lloyd, Lufthansa und so weiter. Die Stiftung ist heute bereits sehr aktiv, zum Beispiel mit dem Medizin-Campus Davos, der Kühne Logistics University in Hamburg und vielem mehr.
Sie würden somit auf einen Schlag zu einem der grössten Vermögensverwalter der Schweiz werden …
Nicht ich. Dazu gibt es bestehende Strukturen. Ich wäre der nichtexekutive Stiftungsratspräsident.
Hatte das Älterwerden einen Einfluss auf Ihre Entscheidung, sich so zu engagieren?
Sicherlich, aber es war nicht der einzige Faktor. Wenn man älter wird, wächst man aus einem Netzwerk heraus. Viele im Umfeld sterben weg oder sind inaktiv. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, Uptown Basel zwanzig Jahre früher zu starten. Aber nur weil man älter ist, Nein zu einer guten Idee zu sagen, ist auch nicht gut. Sie sehen also, Chancen zu erkennen gilt nicht nur für junge, sondern auch für ältere Menschen.