Was heisst denn hier Freiheit?
Eine Antwort aus dem Stegreif von David Signer Ein Anstoss von Seneca:
Zitiert aus «De vita beata»»
«Daher muss man sich zur Freiheit durchringen. Diese aber erreicht man durch nichts anderes als durch Gleichgültigkeit gegen das Schicksal.»
«Das Zitat erinnert mich an die Philosophie des Zen-Buddhismus, auch wenn das jetzt örtlich und zeitlich weit weg von Seneca liegt. Sich von der Aussenwelt nicht determinieren und von den Schicksalsschlägen nicht zerbrechen zu lassen, bedeutet im Zen, sich nicht zu sehr mit dem Glück zu identifizieren und dadurch unabhängig zu bleiben. Ich glaube schon, dass dies ein Weg zur Freiheit sein kann. Gleichzeitig frage ich mich aber, ob dieser Weg nicht zur Abstumpfung führt. Denn das Leben erhält doch seine Intensität dadurch, dass du dich kopfüber in die Wellen wirfst, euphorisch oder verzweifelt bist, alle Gefühle der Palette lebst.
Vielleicht meint Seneca mit Gleichgültigkeit ja auch Indifferenz. Ich habe einmal bei einem Zen-Buddhisten gelesen: Sei auf dem Marktplatz, aber lasse den Marktplatz nicht in dir sein. Als Eremit indifferent und unabhängig zu sein, ist keine so grosse Kunst. Doch wenn du dann mitten drin in allem bist, da musst du aufpassen, dass du nicht völlig im Marktgeschehen aufgehst und nicht völlig von ihm bestimmt wirst. Du verlierst sonst deine Bewegungsfreiheit und bist nicht mehr länger Zeuge deines eigenen Lebens. Denn dafür braucht es Abstand, braucht es Indifferenz, die verhindert, dass du dich von allem mitreissen lässt.
In der Kybernetik gibt es den Begriff der trivialen Maschine. Auf den gleichen Input folgt immer der gleiche Output. Wenn du ganz im Marktgeschehen aufgehst, wirst du zu einer solchen Maschine. Dabei ist es doch der Witz des Menschseins, dass du eine black box bist. Auf einen Input folgt etwas, was nicht vorhersagbar ist. Das macht die Unabhängigkeit, die Kreativität, die Überraschung aus.
Vielleicht lässt sich die Gleichgültigkeit gegen das Schicksal auch so lesen, dass du nicht nur auf die Reize von aussen reagierst, sondern von innen schöpfst. Das erinnert mich an eine Anekdote, die ich einmal über den Jazztrompeter Miles Davis gehört habe. Ich bewundere ihn sehr für seine Tiefe, seine Emotionalität, seine Wandelbarkeit. Er hat ja bekanntlich oft mit dem Rücken zum Publikum gespielt. Viele haben das als Arroganz aufgefasst. Eine sehr oberflächliche Interpretation. Denn ich glaube, es ist ihm darum gegangen, nicht nur auf die Erwartungen des Publikums zu reagieren, sich nicht durch Applaus oder Verzückung der Zuhörer determinieren zu lassen, sondern aus sich heraus zu schöpfen. Nun zur Anekdote. Als Miles Davis einmal zusammen mit dem Drummer Jack DeJohnette spielte, sass dessen Frau im Publikum. Davis fand, DeJohnette spiele viel schlechter als sonst, und vermutete, dies sei deswegen, weil der Drummer seiner Frau gefallen wolle und darüber sein Spiel vergesse. Davis hörte daher mitten im Stück auf zu spielen und sagte zur Frau, sie solle den Raum verlassen.
Ich habe früher Aikido praktiziert. Weit gebracht habe ich es nicht. Mich hat vor allem die Philosophie dieser Kampfkunst interessiert: setz einem Angreifer keine Gegenkraft entgegen, sondern nimm seine Bewegung auf und führ sie ad absurdum. Wenn er dich also mit der Faust schlägt, dann versuche die Faust nicht abzublocken, sondern führe ihre Bewegung so weiter, dass du den Angreifer zu Fall bringst. Auch hier findet sich wieder die asiatische Weisheit, dass es nichts bringe und eine sinnlose Energieverschwendung sei, sich gegen das Schicksal auflehnen zu wollen. Das ist, wie es schon bei Salomon heisst, ein Blasen gegen den Wind. Doch du kannst den Wind für deine eigenen Zwecke nutzen. Das ist weder ein Aufbäumen noch passive Schicksalsergebenheit. Sondern etwas Drittes. Vielleicht die Freiheit, von der Seneca spricht.»