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Was heisst denn hier Freiheit?

Eine Antwort aus dem Stegreif von Christophe Badoux «Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen.» (Zitiert aus den «Sudelbüchern» von Georg Christoph Lichtenberg)

Was heisst denn hier Freiheit?

«Der Sonnenaufgang ist etwas Selbstverständliches. Aber wenn wir nicht aufstehen, wenn wir den ganzen Tag verschlafen, dann bringt er uns nichts. Ich persönlich muss kämpfen, morgens aufzustehen. Schlafen ist ja eine schöne Sache. Aber ich kann mir dennoch nicht vorstellen, liegenzubleiben. Der Sonnenaufgang in dem Zitat ist eine Metapher dafür, dass jeder Tag eine neue Chance ist. Und die will ich mir nicht nehmen lassen.

Lichtenberg hat in der Zeit der Aufklärung gelebt. Er hat den Freiheitskampf mitbekommen. Vielleicht will er ja mit diesem Satz auch sagen, dass kein Freiheitskampf etwas bringt, wenn man danach liegen bleibt und davon ausgeht, jetzt sei alles gut. Denn das genügt nicht, man muss immer auch alles dransetzen, damit die Freiheit Bestand hat. Das heisst, die Arbeit ist nie getan. Man erreicht etwas an einem Tag, man ruht sich davon in der Nacht aus und muss dann doch wieder aufstehen, um das Erreichte zu halten. Jeden Tag geht die Sonne auf. Da hilft nichts. Man muss immer wieder raus.

Unfreiheit kommt aus gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen. Ich wollte schon als Kind Comiczeichner werden, aber in der Schule haben sie mir gesagt, das ginge nicht. Wenn ich zeichnen wolle, dann solle ich Hoch- oder Tiefbauzeichner werden. Das sei eine sinnvolle Arbeit. Ich bin aber trotzdem Comiczeichner geworden. In diesem Sinn ist Kunst Freiheit, weil du dich nicht von den gesellschaftlichen Erwartungen und Zwängen leiten lässt. Sondern das tust, was für dich richtig ist.

Es gibt ja nichts zu hundert Prozent. Sicher bin ich auch als Künstler unfrei. Die Freiheit, die ich mir bei meiner Berufswahl genommen habe, schränkt mich in anderen Bereichen ein. Es gäbe den Idealfall, dass ich berühmt würde und steinreich. Dann hätte ich auch noch die finanzielle Freiheit. Aber so ist es halt nun mal nicht. Die berufliche Freiheit ist für mich aber so wichtig, dass ich dafür gerne andere Einschränkungen in Kauf nehme. Ich habe mir vieles nicht leisten könnten, musste auf vieles verzichten. Aber ich verdiene genug, um meine Familie über die Runden zu bringen. Uns geht es gut.

Für andere hingegen ist die finanzielle Freiheit wichtig, ist es etwa wichtig, sich ein Auto kaufen zu können. Die gehen dafür in den Stollen arbeiten, lassen sich beruflich einschränken, machen eine Arbeit, die sie nicht lieben. Das ist für mich ein fürchterlicher Gedanke – meine Arbeit nicht zu lieben.

Man kann das Zitat übrigens auch pessimistisch lesen. Es könnte ja darauf hinauslaufen, dass ein neuer Tag dann nichts bringt, wenn du nicht aufstehen kannst. Wenn du also nicht deswegen liegenbleibst, weil du nicht willst, da du faul oder feig bist, sondern weil du etwa krank bist oder durch andere Umstände davon abgehalten wirst. «Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen können», müsste das Zitat dann ergänzt werden. Und nicht, wie ich es bisher verstanden habe: «Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen wollen.»

Und dann lässt sich das Zitat auch noch als ein Zitat gegen die Religion lesen. Vielleicht wollte Lichtenberg damit seinen Zeitgenossen sagen: Hallo, Ihr könnt nicht darauf vertrauen, dass Gott alles richtet. Das müsst Ihr schon selber machen. Der liebe Gott oder die Natur dreht zwar an der Kurbel, sodass die Sonne aufgeht. Aber euch kurbelt er nicht aus dem Bett. An euren Gelenken hängen keine Fäden wie bei den Marionetten.

Wir müssen selbst aufstehen. Wir werden nicht auf-gestanden.»

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