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Was heisst denn hier Freiheit?

Eine Antwort aus dem Stegreif von Michael Hagner «Die neue Regierungskunst stellt sich also als Manager der Freiheit dar, und zwar nicht in dem Sinne des Imperativs ‹Sei frei›. Es ist nicht das ‹Sei frei›, was der Liberalismus formuliert, sondern einfach folgendes: ‹Ich werde dir die Möglichkeit zur Freiheit bereitstellen. Ich werde es so einrichten, dass du frei bist, frei zu sein›.»
(Michel Foucault: «Die Geburt der Biopolitik»)

«Das Zitat klingt für Foucault erstaunlich optimistisch. Der alte Machtkritiker skizziert in seinen Vorlesungen über den Neoliberalismus eine Regierungsform, zu der er Vertrauen gefasst hat. Er spricht von der Vernunft des minimalen Staates – was aber ist damit gemeint?

Zuerst einmal fällt der Ausdruck ‹Regierungskunst› auf – Regieren ist eine Kunst. Kunst ist etwas anderes als Macht oder Disziplinierung; kurz, die mit dem Regieren verbundene Klugheit zielt auf etwas anderes als auf die Aufstellung und Durchsetzung klar definierter Regeln. Der späte Foucault hält sich an das Ideal einer richtig verstandenen Aufklärung, wonach das Regieren nicht als Ausübung von Zwang verstanden werden darf: ‹Ich zwinge dich, deinen Verstand zu gebrauchen, damit du aus der selbstverschuldeten Mündigkeit hinausfindest›. Mit einem aufgeklärten Regieren ist vielmehr Folgendes gemeint: ‹Ich stelle dir die Bedingungen bereit, die dir ermöglichen, die selbstverschuldete Unmündigkeit selbst zu verlassen›. Foucault hat in diesen Vorlesungen nicht einen paternalistischen Wohlfahrts- oder Sorgestaat im Sinn, sondern träumt den Traum eines Staates, der möglichst wenig regiert und den man vielleicht eines Tages gar nicht mehr bemerkt.

Ein zweiter Begriff sticht hervor, der Begriff des Managers, der in diesem Zusammenhang vermutlich systemtheoretisch gedeutet werden kann. Damit ist gemeint, dass Menschen oder Institutionen nicht nach bestimmten Intuitionen oder Maximen vorgehen, die in die Tat umgesetzt werden müssen, sondern auf Selbstorganisation und Selbstregulation vertrauen. Hier kann man sogar Anklänge an den Ökonomen Friedrich August von Hayek und an Karl Poppers Theorie der ‹Offenen Gesellschaft› heraushören, in der staatliches Management der Ausbalancierung gesellschaftlicher Kräfte dient.

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in letzter und dritter Punkt bleibt zu klären. Foucault spielt mit zwei Auffassungen von Freiheit, was sehr gut zu seiner späten Idee der ‹Sorge um sich› passt. Der Staat hat die Freiheit erster Ordnung zu garantieren: liberale Verfassung, soziale Sicherheit, funktionierendes Gesundheitssystem usw. Was jedoch die Freiheit zweiter Ordnung anlangt – die individuelle Selbstverwirklichung oder eben die ‹Sorge um sich› –, da muss sich der Staat in Abstinenz üben. Der Staat ist keine Zwangsbeglückungsanstalt. Foucault könnte hier die beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts im Auge haben, die das grosse, umfassende Glück versprachen – der Nationalsozialismus einigen wenigen und der Kommunismus ausnahmslos allen.

Das ist alles schön und gut. Wir müssen uns allerdings stets gegenwärtig halten, dass Foucault seine Vorlesungen in den sozialstaatlich prosperierenden späten 1970er und frühen 1980er Jahren gehalten hat – sein in warmen Farben gehaltenes Bild des Staates verdankt sich auch den realisierten Modellen jener Jahre. Die Zeit ist nicht stehengeblieben. Seit dem Fall der Mauer und seit der durch die Globalisierung aufgeweichten Nationalstaatlichkeit ist unser Leben schneller und komplexer geworden. Foucault konnte die in heutigen Gesellschaften zu beobachtende Dynamisierung und Flexibilisierung natürlich nicht kennen. Das Bereitstellen der Rahmenbedingungen führt nicht automatisch zur Selbstverwirklichung der Individuen. Mit der Zunahme gesellschaftlicher Komplexität ist auch die Zahl derer gewachsen, die damit nicht zu Rande kommen. Was macht man mit den Schwachen – mit denen also, die nicht können? Gegenüber diesen Menschen trägt der Staat subsidiär trotz allem eine Verantwortung, auch wenn er sich vor zu viel Paternalismus hüten muss. Die Grenze zwischen Tun und Lassen ist in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung immer wieder neu zu bestimmen, und das ist und bleibt eine zentrale Herausforderung.»

Michael Hagner istProfessor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich

aufgezeichnet von René Scheu

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