Was heisst denn hier Freiheit?
Eine Antwort aus dem Stegreif von Susanne Boshammer «Sie hätte gelehrt werden müssen, die Sterne zu beobachten und wissenschaftlich zu argumentieren. Ihr Verstand war wirr vor Einsamkeit und Freiheit.»
(Zitiert aus «A Room of One’s Own» (1929))
«Die Idee, man müsse lernen, die Sterne zu beobachten und wissenschaftlich zu argumentieren, finde ich schön. Denn wer die Sterne beobachtet, der beobachtet etwas, das eine Ordnung hat. Und wer wissenschaftlich argumentieren kann, der bewegt sich in einem Kontext, in dem Gesetze gelten, die er nicht selbst bestimmt hat. Ordnungen und Gesetze: ich kann ich mir gut vorstellen, dass man ohne diese Korsagen einsam wird, und wirr vor Freiheit. Denn Ordnungen und Gesetze sind immer etwas, das ich mit andern teile, sind etwas, an dem sich auch andere orientieren. Wenn sie fehlen, wird der soziale Austausch beinah’ unmöglich und man selbst einsam. Wie der Verstand wirr vor Freiheit werden kann? Er wird es eben genau dann, wenn diese Korsagen fehlen. Wenn alles möglich wird. Wenn es nichts gibt, woran man sich orientieren könnte. Freiheit ohne Ordnung und Gesetz ist eben nicht etwas, was sich angenehm anfühlt.
Pippi Langstrumpf etwa – für Kinder und auch noch für manch Erwachsenen die Galionsfigur der Freiheit –, die kann einem doch manchmal fast leidtun. Da sitzt sie so allein in ihrem Haus, mit Pferd und Äffchen, und muss ständig selbst entscheiden. Denn Pippi Langstrumpf ist in jeder Hinsicht frei. Politisch, weil niemand über sie bestimmen kann. Persönlich, weil nur sie allein über sich selbst bestimmt. Doch Pippi Langstrumpf hat Glück. Ihr fallen immer so viele Ideen ein, dass sie ihre Freiheit geniesst.
Politische Freiheit zielt darauf ab, wie wir Menschen miteinander leben. Dass unser Verhältnis zueinander nicht die Folge hat, dass einer über den andern bestimmen kann, wie er zu leben habe. Es geht hier um den politischen, den sozialen Kontext. So wie wir hier in der Schweiz leben, so wie meine Generation in Westeuropa aufgewachsen ist, sind wir ja nie wirklich an etwas gehindert worden, was wir gerne getan hätten. Wir können uns frei bewegen, frei unseren Partner, eine Ausbildung oder einen Beruf wählen, frei unsere Meinung äussern. Unsere politische Freiheit ist so gesehen nicht eingeschränkt.
Doch wenn du keinen Widerstand spürst, wenn du nicht das Gefühl hast, dass du in Fesseln gebunden bist, dann liegt es wohl nahe, sich auf die persönliche Freiheit zu konzentrieren. Bei dieser Idee von Freiheit geht es um die Frage, wie du eigentlich leben möchtest. Was willst du aus dir machen? Wozu willst du deine Freiheit nutzen? Viele Menschen fangen bei diesen Fragen an zu leiden, weil sie keine Antwort darauf haben.
Solange du keine politische Freiheit hast, stellt sich die Frage nach der persönlichen Freiheit gar nicht. Daher denke ich manchmal, dass unsere Sorge um die persönliche Freiheit aus der Perspektive derjenigen, die selbst keine politische Freiheit besitzen, fast niedlich, ja unerheblich erscheinen mag.
Wenn Virginia Woolf es nicht ironisch meint, dann spricht sie die persönliche Freiheit an. Mit «ironisch» meine ich, dass sie auf den Vorwurf aus männlichem Mund reagieren könnte, dass sie Schriftstellerin geworden sei, die wirres Zeug schreibe statt zu heiraten und Kinder zu bekommen. Doch lassen wir jetzt mal den Subtext beiseite. Ich möchte das Zitat so lesen, dass die Freiheit beginnt, wenn man sich selbst Grenzen setzt. Denken funktioniert ja in gewissen Bahnen, folgt gewissen Regeln. Und Argumente lassen sich nicht aus dem Hut zaubern. Es gibt gute und schlechte. All das muss man lernen. Klar, derjenige, der dich das wissenschaftliche Argumentieren lehrt, hat eine gewisse Macht über dich. Aber wenn du es dann gelernt hast, dann endet seine Macht recht schnell. Dann gibst du dir selbst die Gesetze. Und das macht frei.»