Was hat das mit mir zu tun?
Flughafen Zürich, ich warte auf meinen Abflug nach Priština, Kosovo. Umgeben von Menschen, deren Sprache ich nicht verstehe, sie hingegen die meine schon. Fremd und unbehaglich fühle ich mich in ihrer Mitte, habe den Eindruck, beobachtet zu werden. Unwillkürlich muss ich an kosovarische Jugendliche denken, deren Geschichten mir aus den Gerichtsakten bekannt sind: Kriminelle, Leute, […]
Flughafen Zürich, ich warte auf meinen Abflug nach Priština, Kosovo. Umgeben von Menschen, deren Sprache ich nicht verstehe, sie hingegen die meine schon. Fremd und unbehaglich fühle ich mich in ihrer Mitte, habe den Eindruck, beobachtet zu werden. Unwillkürlich muss ich an kosovarische Jugendliche denken, deren Geschichten mir aus den Gerichtsakten bekannt sind: Kriminelle, Leute, vor denen man sich besser in acht nimmt. Solche mir bis anhin unbewussten Vorurteile gegenüber zuvor noch nie gesehenen Personen erstaunen mich.
Bei der Lektüre von Eva Burkards «balkan-kids» erinnere ich mich an dieses Erlebnis. In den persönlichen Texten 13 gut integrierter und in der Ausbildung befindlicher Jugendlicher aus dem Balkan und der Türkei erhalten die fremdklingenden Namen ein Gesicht und eine Geschichte. Da berichtet Sajma davon, wie schwierig es für sie war, in der Schweiz mit der Ungewissheit über den Verbleib ihrer Familie aufzuwachsen und alle sechs Monate aufs neue um die Verlängerung des Flüchtlingsausweises zu bangen. Zvonimir erzählt davon, dass er die Schweiz als heile Welt erfährt, in der alles schon so fertig und überkorrekt ist, dass es sich für nichts mehr zu kämpfen lohnt. Und Eren kann besser mit Migranten über Sehnsucht oder Vertrautheit sprechen als mit Schweizern, die das Gefühl des Hin- und Hergerissenseins nicht kennen.
Die Träume der Jungendlichen von einem zukünftigen Leben in der oft idealisierten Heimat ähneln sich, in die sie jeweils im Sommer für einige Wochen zurückkehren. Das Pendeln zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen erschwert die Suche nach einer eigenen Identität. Ganz zugehörig fühlen sie sich nur unter ihresgleichen, unter Menschen, die auch das Los der Auswanderung teilen. Wenn die Medien das Bild des «serbischen Rasers», des «albanischen Schlägers» oder des «türkischen Messerstechers» hervorrufen, so gelingt es Eva Burkard mit diesem Buch, diese Migrantengruppen in ein differenzierteres, wenn auch auf andere Weise einseitiges Licht zu rücken. Denn leider werden die familiären Spannungen ausgeblendet, die durch den Zusammenstoss zweier unterschiedlicher Mentalitäten entstehen können.
Ich denke über meine eigene Beziehung zum Fremden nach, denke wieder an meinen Flug nach Priština. Nach meiner Ankunft erkundigte sich an der Gepäckausgabe ein junger Mann neben mir freundlich auf Schweizerdeutsch, weshalb ich seine Heimat besuche. Ich lächelte, fühlte mich mit meinen Vorurteilen ertappt. Etwas Vergleichbares bewirkt das Buch.
Eva Burkard: «balkankids». Frauenfeld: Huber, 2010