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Was die Schraubenfabrik für das Ölgemälde tut
Renate Goldmann, Bild: VAN-HAM-Kunstauktionen

Was die Schraubenfabrik für das Ölgemälde tut

Industrielle wie Künstler lieben Qualität und Leistung. Ihre Liaison entspinnt sich über Jahrhunderte und kommt nun an in einer vernetzten Kreativitätswirtschaft.

 

Die Beziehung zwischen Industriellen und Künstlern hat sich im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte immer wieder selbst erneuert; ihr Verhältnis geht von distanzierter Akzeptanz bis zur emotionalen Verbundenheit. Leistung erbringen, Mut zum Risiko, Visionen realisieren und Erfolge erzielen – diese Haltungen rufen auf beiden Seiten Respekt hervor und treiben eine langwährende Komplizenschaft voran. Durch die Verschiebung von der Schwerindustrie zur Smart- und Spitzentechnologie einerseits und wechselnde Kunsttendenzen andererseits ist diese Wahlverwandtschaft stets innovativ ausgerichtet. Das Arbeitsmodell der Fabrik hat nicht erst durch Andy Warhol das Atelier ersetzt. Künstler sind zu Produzenten geworden, die Kunst wird als Ware gehandelt und Luxusgüter als Kunst designt. Fantasiereich werden Unternehmer und Mitarbeiter zur Produktionssteigerung animiert – kurzum: In der globalen Welt herrscht eine vernetzte Kreativitätswirtschaft.

Kunstliebhaber aus der Medizin, der Justiz, dem Handels-, Banken- und Versicherungswesen, der Investment- und der Immobilienbranche, der Film- und Medienwirtschaft und dem Dienstleistungssektor haben die Kunst im Beuys’schen Sinne als Kapital erkannt. Welche Rolle spielen nun speziell die Industriellen im Kunstkontext, und welche Botschaften senden sie an die Öffentlichkeit?

Magnaten, Mäzene und Museen

An den Namen US-amerikanischer und europäischer Museen liest man die bedeutenden Grossindustriellen der Jahrhundertwende ab, die die Geschicke der Kunst gelenkt haben. Im günstigsten Fall kommt durch Heirat oder Geschäftsverbindungen auch Besitztum aus Industrie-, Bank-, Metall- und Ölgeschäften zusammen. Die aus der Schweiz und Deutschland in die USA ausgewanderten Familien Guggenheim und Rockefeller oder die Gettys und Whitneys sind Beispiele für grosszügiges Stiftertum. Die namensgleichen Museen in New York, Los Angeles und anderswo auf der Welt zeugen bis heute vom Reichtum ihrer Gründer.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Industriedichte im heutigen Westen Deutschlands zur Folge, dass auch hier zahlreiche Sammlungen von Fabrikanten und Bankiers zu finden waren. Für die Repräsentation des Industrieadels sowie für das bürgerliche Gemeinwohl entwarfen namhafte Architekten in vielen mittelgrossen Städten grosszügige Museen, Theater und Villen, von denen viele im neoklassizistischen oder im Bauhausstil errichtet wurden. In Köln am Rhein galt das Wallraf-Richartz-Museum aus dem Jahr 1861 als mäzenatisches Vorbild. In der Domstadt gründete das Ehepaar Adolf und Frieda Fischer – beide stammen aus Grossindustriellenfamilien – 1913 das Museum für Ostasiatische Kunst. Auf Initiative und mit dem Geld der Familien Osthaus in Hagen (Banken/Schraubenfabrikation), von der Heydt in Wuppertal (Banken), Krupp in Essen (Stahlproduktion) und Lange und Esters in Krefeld (Textilfabrikation), die Mies van der Rohe verpflichteten, entstanden bemerkenswerte Institutionen. Diese Tradition setzte sich im Rheinland nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderen Vorzeichen fort. Impulsgeber und Wegbereiter war Peter Ludwig, der mit seiner Frau Irene – einer Tochter des Schokoladenfabrikanten Monheim – eine Sammlung von 14 000 Objekten aufbaute. Das Sammlerpaar betrieb von Aachen aus zahlreiche internationale Museumskooperationen für sein Projekt «Weltkunst». In den 1960er-Jahren entwickelte sich im Rheinland und Ruhrgebiet ein breites kunstinteressiertes Umfeld, das zahlreiche Privatsammler anzog. In Süddeutschland erzählen zum Beispiel die Museen der namhaften Industriellen Reinhold Würth (Schraubenhandel) und Georg Schäfer (Kugellager) von der Bedeutung wirtschaftlich erfolgreicher Unternehmer für die Kunst. Der eine besitzt 18 000 Werke von der Renaissance bis zur Gegenwart, der andere die grösste private Sammlung von Werken des 19. Jahrhunderts. Diese und weitere Sammlungen, die mit grosser Kennerschaft, wissenschaftlichem Interesse und Passion zusammengetragen werden, zeugen von prosperierendem Erfolg aus der Wiederaufbauphase der alten Bundesrepublik.

Die Sammelleidenschaft von Privaten

Die Gründungen der Kunstmessen Kölner Kunstmarkt (der Vorläufer der Art Cologne) 1967, der Art Basel 1970 und die Vorläufermessen Pictura 1975 und Antiqua Maastricht 1978 der Maastrichter TEFAF (1988) beschleunigen die Zugänglichkeit von Kunst für eine breitere Öffentlichkeit. Vor allem in der Stadt Basel, dem Chemiezentrum am Oberrhein, das mit der Art Basel die bis heute grösste und bedeutendste Kunstmesse und damit ein internationales Zentrum für die Kunst der Moderne und Gegenwart etabliert hat, treffen sich regelmässig die Protagonisten der Kunstszene. Aber auch in anderen Regionen der Schweiz besteht seit der Zeit um 1900 ein enges Verhältnis von Fabrikanten, Bankiers und kulturellem Wirken. Eduard von der Heydt zum Beispiel, Sohn der oben genannten Wuppertaler Bankiersfamilie, lebte zeitweise auf dem Monte Verità bei Ascona und nahm später die schweizerische Staatsbürgerschaft an. Seine ostasiatische Kunstsammlung übereignete er 1946 dem Museum Rietberg in Zürich. Eine der ältesten Privatsammlungen mit Kunst des Impressionismus stammt von Jenny (geborene Sulzer) und Sidney Brown und befindet sich in der Badener Stiftung Langmatt. In Winterthur haben eidgenössische Industriellenfamilien wie Sulzer (Maschinenfabrikation), Bühler (Textilindustrie), Reinhart (Baumwollhandel) mit ihren bemerkenswerten Privatsammlungen an französischen Meisterwerken den Grundstock für die Museen gelegt. Durch das Paar Emil und Clara Friedrich-Jezler erweiterte sich diese Museumssammlung 1973 an Kunst der Klassischen Moderne.

Neben der Sammelleidenschaft von Einzelpersönlichkeiten der Industrie entwickelte sich im 20. Jahrhundert auch ein kollektives Mäzenatentum. Als Beispiel sei der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie von 1951 genannt, der sich als Verein führender Industrieller um eine Rehabilitierung verfemter Künstler bemühte und der eine moralische Verpflichtung zur Wiedergutmachung der kulturellen Zerstörung aus der Zeit des Nationalsozialismus anerkannte. Auf dem Weg des Kulturkreises in die Modernisierung nach der Wiedervereinigung Deutschlands lenkt der Unternehmer Arend Oetker (Lebensmittelindustrie) die Nominierung von ars-viva-Preisträgern, die Jahrestagungen und Grundsatzstiftungen in neue Richtungen. Er ist eine wichtige Schlüsselfigur, auch für die Verbindung der Bundesrepublik Deutschland zur Schweiz.

Industrielle bauen Museen

Seit den 1990er-Jahren fördern Unternehmer zunehmend öffentliche Institutionen, Biennalen und Grossausstellungen – und parallel zieht Kunst in die Firmen ein. «Corporate Collecting» und «Corporate Social Responsibility» lauten die Modelle, zu denen Galeristen, Kunsthändler und Art Consultants raten. Weltweit entstehen vielfältige Firmensammlungen in Industriebetrieben, Banken und Versicherungen, wie zum Beispiel die Sammlung der Deutschen Bank, der UBS in der Schweiz und Shiseido in Japan, ebenso bei Grosskonzernen der Pharmaindustrie wie Bayer in Leverkusen oder der Automobilindustrie wie Volkswagen in Wolfsburg, Mercedes-Benz in Stuttgart und BMW in München.

In der Schweiz ist neben der einzigartigen Sammlung in den Arbeitsräumen der Mitarbeiter des Kräuterbonbonherstellers Ricola (mehr dazu ab S. 39) der Novartis-Campus in Basel zu nennen, auf dem das «Who is who» der Architektur der Gegenwart versammelt ist: David Chipperfield, Diener & Diener, Sejima & Nishizawa (SANAA), Frank O. Gehry, Tadao Andō, Herzog & de Meuron, Alvaro Siza, Eduardo Souto de Moura und Rahoul Mehrotra. Dieser Campus überrascht durch die zukunftsorientierte Arbeitssituation. Im Crossover von Kunst, Design und Architektur zeigt sich hier die neue Ästhetisierung des Arbeitsalltags.

«Leistung erbringen, Mut zum Risiko, ­Visionen realisieren

und Erfolge erzielen – diese Haltungen rufen auf beiden

Seiten Respekt hervor und treiben eine

langwährende Komplizenschaft voran.»

Im Zuge des «Anything Goes» setzten die 1990er-Jahre viele Kunsttrends in Bewegung. Kunst wurde fortan zum begehrten kulturellen Kapital, das durch Galerien, Auktionshäuser und Messen vermittelt wurde. Zudem entstand ein reger Austausch zwischen Sammlern und Institutionen über Kontinente hinweg. Ingvild Goetz in München liess 1993 Herzog & de Meuron ein Privatmuseum für sich entwerfen, Patrizia Sandretto Re Rebaudengo baute in Turin ihre Stiftung auf und 1992 wurde das Museo Thyssen-Bornemiza in Madrid eröffnet. Seit 1996 wird der mit 100 000 US-Dollar dotierte Hugo Boss Prize zusammen mit dem Museum und der Foundation Solomon R. Guggenheim vergeben. In den Folgejahren stifteten Sammlerinnen wie Maja Oeri aus dem Schweizer Pharmaunternehmen Hoffmann-La Roche, Julia Stoschek vom Automobilzulieferer Brose und die polnische Unternehmerin Grażyna Kulczyk herausragende Institutionen und stehen als Board Members in internationalen Museen für einen Wissenstransfer zwischen Industrie und Kunst.

Eine globale Kunstindustrie

Seit den 2010er-Jahren gewinnt die Lifestyle- und Modeindustrie stark an Einfluss. Vor allem in Italien und Frankreich steigt die Anzahl engagierter Stiftungen: Die Fondazioni Prada, Furla und Nicola Trussardi, der Max Mara Art Prize for Woman und der Bulgari Art Award sind bekannte Beispiele. Die Fondation Cartier in Paris existiert bereits seit 1984. Der Unternehmer Bernard Arnault beauftragt Frank Gehry mit dem Bau der Fondation Louis Vuitton, und der Milliardär François-Henri Pinault lässt 2021 Tadao Andō mit der umgebauten Handelsbörse ein ebenso spektakuläres Museum mitten in Paris schaffen. Der japanische Stararchitekt hat für Pinault auch den Palazzo Grassi und die Punta della Dogana in Venedig neugestaltet. Bekannte Künstler wie Takashi Murakami, Jeff Koons und Richard Prince entwerfen Kleidung und Accessoires: Sie inszenieren den Künstler als Marke und die Marke als Kunst. Alte Konventionen verschwimmen, die Industrie widmet sich vermehrt aktueller Kunst. Die Vielzahl an Privatmuseen in den USA, Südkorea und Europa und die Neugründungen im arabischen und asiatischen Raum in jüngster Zeit unterstreichen diese Verbindung.

Das Aufeinandertreffen von Kapital, Konsum und der starke Glaube an Materialität hat besonders in China zu einem Boom mit tausenden privaten Museumsgründungen geführt. Die Wohlhabenden kommen nunmehr aus allen Geschäftsbereichen, und ihr Interesse gilt sowohl der chinesischen wie auch der internationalen Kunst. Nach wie vor als «Werkbank der Welt» in der Wertschöpfungskette für die Endproduktion von Gütern zuständig, plant das Land das Projekt «Made in China 2025», den grossangelegten Plan zur Restrukturierung der heimischen Industrie. Noch in den 1990er-Jahren hatte der Sammler und Mäzen Uli Sigg in seiner damaligen Funktion als Schweizer Botschafter und Indus­trieberater das erste Joint Venture zwischen beiden Ländern aufgebaut. Jetzt scheint ein nächster Paradigmenwechsel durch die globale Digitalisierung anzustehen, mit neuen Herausforderungen durch Themen wie Migration, Identitätspolitik, Energiewende und Geopolitik. Zugleich spekuliert die Kunstwelt mit NFTs (Non-Fungible Token, die auf Blockchain-Technologie basieren) als neuer Ware für den Kunstmarkt, während durch die Plattformen die Informationsdichte immer weiterwächst. Die Kooperationen von Kunst und Industrie schreiten derweil kreativ voran – und damit auch die gegenseitige Achtung und Verantwortung.

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