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Warum wir weniger Kinder kriegen

Der massive Rückgang der Fruchtbarkeit hat auch mit der Evolution zu tun. Eine grosse Familie ist kein Statussymbol mehr.

Warum wir weniger Kinder kriegen
Bild: Pexels, Katerina Holmes.

Die Frage, ob man Kinder haben soll oder nicht, war noch nie so politisch. Die populistische Rechte warnt vor einer Fertilitätskrise und setzt auf Pronatalismus. Elon Musk, Vater von elf Kindern, warnt vor dem Massensterben ganzer Nationen, während Viktor Orbán in Ungarn «Fortpflanzung statt Einwanderung» fordert, ein Ansinnen, das auch von Giorgia Meloni in Italien geteilt wird.

Unter dem Nebel der Hysterie über den «Grossen Austausch» liegt jedoch eine potentiell beunruhigende Realität. Auf allen Kontinenten sinken die Fertilitätsraten. Es könnte durchaus der Tag kommen, an dem junge Menschen nicht mehr in der Lage sind, öffentliche Dienstleistungen für eine alternde Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Im schlimmsten Fall könnte das bedeuten, dass es keine Gesundheitsversorgung, keine Renten und keine Sozialfürsorge mehr gibt.

Es gibt unzählige Erklärungen dafür, warum wir nicht mehr Kinder bekommen: Kindererziehung ist zu teuer; Kinderbetreuung ist unvereinbar mit der Berufstätigkeit von Frauen; Mutterschaft wird kulturell nicht mehr geschätzt; Frauen haben Zugang zu Verhütungsmitteln; die Menschen heiraten seltener. In all diesen Begründungen steckt ein Körnchen Wahrheit, aber sie lassen einige Fragen offen.

Zum einen begann die Fertilitätsrate lange vor dem Aufkommen von Verhütungsmitteln zu sinken, und zwar in Ländern, in denen Frauen kaum arbeiten. Dann gibt es das Paradoxon, dass in vielen Ländern mit hohem Einkommen oft die Reichsten und am besten Ausgebildeten die wenigsten Kinder haben, was schlecht zur Geschichte von den steigenden Kosten für die Kinderbetreuung passt. Diese Tatsache kehrt auch einen der robustesten Trends im Tierreich um: dass diejenigen mit höherem Status mehr Nachkommen haben.

Ein Teil des Problems besteht darin, dass die öffentliche Diskussion zu stark auf die Zeit nach dem Babyboom fokussiert. In den Jahrzehnten seit 1950 sank die Gesamtfertilitätsrate – die durchschnittliche Anzahl der Kinder, die eine Frau voraussichtlich haben wird – in Grossbritannien von 2,2 auf 1,6 und in Frankreich von 3,0 auf 1,6. Besonders dramatisch ist der Rückgang in Südkorea, wo die Fertilitätsrate im gleichen Zeitraum von 6,1 auf 0,7 fiel – die tiefste der Welt.

Dieser Trend dauert jedoch seit fast 200 Jahren an. Denn viele der dramatischsten Rückgänge der Fruchtbarkeit fanden lange vor den 1960er-Jahren statt. In Grossbritannien sank die Fertilitätsrate zwischen 1850 und 1920 von 4,6 auf knapp über 2. In Frankreich sank sie zwischen 1760 und 1800 von 4,5 auf 3,5. Dies lässt sich nicht mit der Pille, der Emanzipation der Frau oder den steigenden Lebenshaltungskosten erklären.

Status statt Kinder

Vielleicht lässt sich die Entwicklung stattdessen durch die Evolutionstheorie erklären, die reproduktive Entscheidungen als Kompromiss zwischen Quantität und Qualität betrachtet. Die Idee ist, dass es einen inhärenten Konflikt gibt zwischen der Anzahl der Kinder, die man haben kann, und der Investition, die man in jedes Kind stecken kann. Eltern investieren in ein Kind bis zu dem Punkt, an dem der Ertrag sinkt, bevor sie ein weiteres Kind aufziehen.

Was wir beobachten, ist wohl ein Missverhältnis zwischen der Umgebung, in der sich der Mensch entwickelt hat, und jener, in der wir heute leben. Eine Möglichkeit ist, dass die natürliche Selektion eine menschliche Psychologie hervorgebracht hat, die auf die Maximierung des Status ausgerichtet ist. Früher hätte dies bedeutet, möglichst viele überlebende Nachkommen zu hinterlassen – die Währung der Evolution. Heute ist jedoch der Zusammenhang zwischen dem Status und der Grösse der Nachkommenschaft gekappt. Und das Streben nach Status und Reichtum geht auf Kosten der Kinder.

Während des grössten Teils unserer Evolutionsgeschichte als Jäger und Sammler gab es nur eine wesentliche Einschränkung für die Anzahl der Kinder, die eine Frau haben konnte: ob sie genug Energie hatte, ein Kind zur Welt zu bringen und zu stillen. Der Kompromiss zwischen Qualität und Quantität in einer so rauen Umgebung konnte brutal sein. Wenn eine Frau das Pech hatte, Zwillinge zu gebären, die beide gestillt werden mussten, starb eines der Kinder oft im frühen Säuglingsalter, entweder durch unbeabsichtigte Vernachlässigung oder durch vorsätzlichen Mord.

Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft vor etwa 12 000 Jahren änderte sich alles, was den Anfang vom Ende des Jäger- und Sammlerlebens markierte. Als es immer mehr Nahrung gab, bekamen Paare nicht nur mehr Kinder, sondern begannen auch, in ihre Zukunft auf eine Weise zu investieren, die zuvor nicht möglich gewesen war – durch die Vererbung von Reichtum. Von da an hing der Erfolg eines Kindes davon ab, wie viel Erbschaft es erhielt. Mit diesem Vermögen konnten Söhne mehr als eine Frau unterstützen oder Töchter eine höhere Partie heiraten und sozial aufsteigen – beides führte zu mehr Nachkommen.

«Als es immer mehr Nahrung gab, bekamen Paare nicht nur mehr Kinder, sondern begannen auch, in ihre Zukunft auf eine Weise zu investieren, die zuvor nicht möglich gewesen war – durch die Vererbung von Reichtum.»

Wenn jedoch die gleichmässige Aufteilung des Erbes auf mehrere Kinder keines von ihnen reich machte, hatten die Eltern ein Problem. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen, wäre gewesen, weniger Kinder zu haben. Stattdessen entschieden sich die Eltern dafür, das Erbe ungleichmässig auf ihre Erben aufzuteilen. Das Erstgeburtsrecht beispielsweise, bei dem nur der älteste Sohn den Familienbesitz erbt, stellt sicher, dass der Rang der Familie und die Produktivität des Landes erhalten bleiben.

In polygamen Gesellschaften mit Viehreichtum bevorzugen Eltern oft ältere Söhne und geben ihnen eine grössere Herde. Jüngere Söhne werden zwar nicht vollständig enterbt, heiraten aber in der Regel erst später und haben weniger Kinder. Aufgrund der anhaltenden Unsicherheit des Überlebens könnte diese Strategie, die auf Erben und Ersatz setzt, erfolgversprechender sein, als weniger Kinder zu haben.

Die Rolle der industriellen Revolution

Wie kann all dies den Rückgang der Fertilitätsraten erklären, den wir heute beobachten? Frankreich, das 1793 das Recht der Eltern auf einen einzigen Erben abschaffte, kann vielleicht einen Hinweis auf die Ursachen des Geburtenrückgangs geben. Diese Gesetzesänderung, die allen Kindern, auch den Töchtern, ein gleiches Erbrecht zusicherte, drohte viele Familien in den Ruin zu treiben, indem sie Bauernhöfe in unzählige unrentable Landgüter aufteilte. Französische Paare reagierten darauf, indem sie weniger Kinder bekamen.

Auch die industrielle Revolution spielte eine Rolle. Sie führte in fast allen Ländern der Welt zu einem Rückgang der Fruchtbarkeit – angefangen in Grossbritannien. Sie schuf Bedingungen, unter denen der Erfolg von Kindern fast vollständig von den Investitionen der Eltern abhing und diese Investitionen exponentiell anstiegen. In einer stark wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft geben Eltern Unsummen aus, um ihre Kinder für den Konkurrenzkampf zu rüsten.

Dies führt zu einem Missverhältnis zwischen dem psychologischen Streben nach Status und Wohlstand und der gegenwärtigen Umgebung. Früher hing der Status stark von der Anzahl der Kinder ab, die wir hatten, heute drängt er uns dazu, das Alter, in dem wir heiraten und Kinder bekommen, hinauszuzögern. Der ungezügelte Wettbewerb führt dazu, dass wir nicht das Gefühl haben, dass die Rendite unserer Investitionen in sie sinkt, was dazu führt, dass wir mehr in die Kinder investieren, die wir haben, anstatt noch ein weiteres zu bekommen.

«Früher hing der Status stark von der Anzahl der Kinder ab, die wir

hatten, heute drängt er uns dazu, das Alter, in dem wir heiraten und

Kinder bekommen, hinauszuzögern.»

Mit anderen Worten: Unsere Psyche sagt uns, dass jedes Kind immer mehr Investitionen erfordert, um in der heutigen Gesellschaft «überleben» zu können, obwohl die ideale Strategie eigentlich darin bestünde, fünf gesunde, aber etwas weniger wohlhabende Kinder zu haben statt zwei Super-Elite-Kinder. Wenn die Leute also sagen, dass Kinder teurer geworden seien, haben sie zwar recht, aber vielleicht ist es wichtiger, dass sie sich so viel teurer anfühlen, als sie es tatsächlich sind.

Dies kann auch erklären, warum wohlhabendere Paare weniger Kinder haben. Die Opportunitätskosten eines weiteren Kindes sind für diejenigen, die hochbezahlte Jobs haben, viel höher als für diejenigen, die schlechter bezahlte Jobs haben. Wenn unsere Psyche uns dazu ermutigt, nach Reichtum und Status zu streben statt einfach nur nach Kindern, dann scheint sie einwandfrei zu funktionieren. Eine Studie über Schweden, die zwischen 1915 und 1929 geboren wurden, ergab, dass diejenigen, die ihre Fruchtbarkeit am stärksten einschränkten, den Wohlstand ihrer Nachkommen vier Generationen später maximierten – und dieser Effekt war bei bereits wohlhabenden Personen am stärksten.

Das Aufkommen der Marktwirtschaft beschleunigte den Rückgang der Fruchtbarkeit auch auf andere Weise. Zunächst einmal zerbrach das Netzwerk der Grossfamilie, das einst ein grundlegendes Merkmal des menschlichen Lebens war. Diese ausgedehnten Netzwerke von Verwandten und Helfern sind einer der Gründe, warum Menschen mehrere Kinder gleichzeitig grossziehen können – im Gegensatz zu anderen Primaten, die selten ein zweites Kind bekommen, bevor das erste für sich selbst sorgen kann.

Kinderbetreuung ist zudem mit modernen Arbeitsformen unvereinbar. Wir sprechen oft über die Vergangenheit, als ob Frauen nicht gearbeitet hätten, obwohl sie es natürlich taten. In vielen Jäger- und Sammlergesellschaften und frühen bäuerlichen Gemeinschaften übernahmen Frauen einen Grossteil des Sammelns, der Lebensmittelverarbeitung und des Kochens – alles Arbeiten, die mit einem Baby auf dem Rücken oder mit einem wachsamen Auge auf ein Kleinkind erledigt werden können – im Gegensatz zu den Tätigkeiten an heutigen Arbeitsplätzen.

Nutzlose Warnungen

Wie können wir also die Geburtenraten steigern? Eines ist sicher: Die Pronatalisten im Silicon Valley, die vor dem wirtschaftlichen Abschwung und dem drohenden sozialen Zusammenbruch warnen, werden wohl kaum jemanden dazu bewegen, mehr Kinder zu haben. Wer bekommt schon ein Kind, um das Bruttoinlandsprodukt zu steigern oder das staatliche Gesundheitssystem zu unterstützen? Wenn überhaupt, bekommen Leute weniger Kinder, wenn sie das Gefühl haben, dass die Welt aus den Fugen gerät.

Familienpolitische Massnahmen, wie zum Beispiel grosszügigere Elternzeit oder Unterstützung bei der Kinderbetreuung, verlangsamen den Rückgang der Fertilitätsraten – aber sie kehren ihn selten um. Wenn wir tatsächlich Sklaven einer Psychologie sind, die nach Status strebt und zu viel in Kinder investiert, dann ergibt das Sinn. Solange wir unser kapitalistisches Umfeld als besonders wettbewerbsorientiert betrachten, werden wir weiterhin kleine Familien haben. Höchstens ein grosser gesellschaftlicher Wandel oder eine riesige Menge staatlicher Gelder könnte daran etwas ändern.

Verwirrend bleibt aber, dass die natürliche Selektion keine Psychologie hervorbringen konnte, die das eine erreicht, wozu sie gedacht ist: die Fortpflanzung.

Dieser Beitrag erschien zuerst beim Onlinemagazin «Unherd».

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