Warum messen wir im Jahr 2014 eigentlich immer noch die Wirtschaftsleistung von Ländern und nicht jene von Regionen?
Unsere Darstellung der Wirtschaftsleistung ist ein Erbe des europaweiten Nationalismus, da sie auf willkürlichen, alten Landesgrenzen basiert – und die daraus resultierenden Zahlen sagen auch für sich allein recht wenig aus. Das wäre harmlos, würden sie nicht bis heute die Natur unserer europäischen Wirtschaftsdebatte prägen. Ich kann die ewigen Klischees, die daraus resultieren, nicht mehr […]
Unsere Darstellung der Wirtschaftsleistung ist ein Erbe des europaweiten Nationalismus, da sie auf willkürlichen, alten Landesgrenzen basiert – und die daraus resultierenden Zahlen sagen auch für sich allein recht wenig aus. Das wäre harmlos, würden sie nicht bis heute die Natur unserer europäischen Wirtschaftsdebatte prägen. Ich kann die ewigen Klischees, die daraus resultieren, nicht mehr hören, zum Beispiel das angebliche Nord-Süd-Gefälle bei der Haushaltsdisziplin! Unsinn! Irland ist nicht im Süden, Island auch nicht – ich habe mich erst kürzlich auf einer Landkarte versichert.
Und ja, beide Länder waren pleite. Weil sie besonders faul waren? Weil die Bürger die falsche Konfession hatten? Nein. Irland war eines der reichsten Länder in der EU, es machte Bankrott, weil die Iren schlecht gewirtschaftet, sich zu hoch verschuldet haben. In den 1990er Jahren hatten Schweden, Finnland, auch mein Heimatland Tschechien massive wirtschaftliche Probleme – heute geht es ihnen besser oder sogar sehr gut. Wir brauchen deshalb keinen «Grexit», ebenso wenig wie wir nach 1945 eine Isolation Deutschlands oder vor einigen Jahren einen Ausstieg Irlands aus der EU oder dem Euro gebraucht haben. Schauen Sie sich die USA an: werfen die Kalifornien raus, weil der Bundesstaat pleite ist? Nein.
Das ideologisch motivierte «Abnabeln» von wirtschaftlichen Sorgenkindern ist nicht zweckdienlich. Daher zum Abschluss eine kleine Geschichte, in Frankreich ist sie bekannt als «Toto», in Tschechien als «Stupid Hans»: Hans, ein kleiner Junge, hat ein Blatt Papier vor sich. Es ist ihm zu eckig, also beginnt er, die Ecken abzuschneiden. Immer wieder sind da aber neue, kleinere Ecken. Er macht fleissig weiter, «verbessert» sein Papier – und am Ende hat er nichts mehr in der Hand.
Das kann niemand wollen. Mein Vorschlag: Wie wäre es stattdessen mit einer Konkurrenz über die Verschuldungsquote einzelner Regionen?
Tomáš Sedlácek ist Ökonom und Hochschullehrer. Bekannt wurde er insbesondere durch sein Buch «Die Ökonomie von Gut und Böse» (Hanser, 2012). In seiner neuen Kolumne beantwortet der Freund der Redaktion Fragen aus Politik, Wirtschaft und Kultur.