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Vor zehn Jahren beschloss ich, 120 Jahre alt zu werden – aber erst heute weiss ich, warum
Urs Baumeler, zvg.

Vor zehn Jahren beschloss ich, 120 Jahre alt zu werden – aber erst heute weiss ich, warum

Um möglichst lange gesund und glücklich zu leben, habe ich meinen Alltag umgekrempelt. Der grösste Nutzen fällt dabei schon heute an.

Als Kind und junger Erwachsener habe ich mich überhaupt nicht mit dem Altern befasst. Warum auch? Das Leben scheint in dieser Phase unendlich. Ich lebte, ohne zu hinterfragen. Studium, Beruf, Heirat, Kinder … Ich absolvierte das volle Programm, das mein Umfeld von mir erwartete.

Kurz vor meinem 50. Geburtstag erlag ein Freund einem Krebsleiden. Das brachte mich zum Nachdenken, Fragen zur Endlichkeit des Lebens kamen auf. Wie gut geht es dir? Und wie lange noch? Vor allem stellte ich mir die Frage: Was kann ich tun, um einer solchen Krankheit vorzubeugen?

Das Thema liess mich nicht mehr los. Je mehr ich über das «gesunde Leben» las und sinnierte, desto mehr wurde mir bewusst, wie wenig ich darüber wusste. Aber eines wurde mir schnell klar: Gesund zu sein ist nicht nur Glückssache. Es gibt einen Teil, den ich beeinflussen kann. Also entschied ich, mich weiter in dieses Thema einzuarbeiten, um fortan möglichst gesund zu leben. Als zielorientierter Zeitgenosse musste ich mir einen klaren Auftrag geben, sonst würden schnell andere Themen Vorrang bekommen. So formulierte ich das verrückte Ziel, gesund 120 Jahre alt zu werden. Erst viel später änderte ich mein Ziel in «glücklich 120 Jahre alt werden» – ein entscheidendes Detail.

Inzwischen sind zehn Jahre vergangen. Eine spannende Zeit, in der mir das Leben viel beigebracht hat. Nicht alles erfolgte freiwillig. Und doch möchte ich keine Minute missen. Das Thema Gesundheit hat mein Denken und Handeln nachhaltig beeinflusst.

Ich lebe heute mit einem stärkeren Bewusstsein für Gesundheit und entscheide mich in einigen Fragen ebenso bewusst für das Gegenteil. Im Laufe der Jahre hat sich mein Gesundheitsbegriff erweitert; ich interessierte mich zunehmend auch für die geistige und emotionale Gesundheit.

«Ich lebe heute mit einem stärkeren Bewusstsein für Gesundheit und

entscheide mich in einigen Fragen ebenso bewusst für das Gegenteil.»

Lehrreicher Rückschlag

Zu meinem 50. Geburtstag feierte ich ein rauschendes Fest mit Familie und vielen Freunden. Danach startete ich mein «Gesundheitsprojekt». Aus meinem beruflichen Alltag als Unternehmensberater war ich mir gewohnt, «Objectives» zu definieren und diese auf «Key Results» herunterzubrechen. Als Ökonom wollte ich mein Ziel mit minimalem Aufwand erreichen. Und ich wollte den Fortschritt, die Zielerreichung, laufend messen können.

Gesundheit war für mich damals gleichbedeutend mit körperlicher Fitness. Also fing ich an, die Zeit, die ich mit dem Mountainbike für meine «Hausrunde» benötigte, zu stoppen. Zudem löste ich ein Fitnessabo, um meine Muskeln regelmässig zu stärken, da sich diese mit dem Alter kontinuierlich zurückbilden. Das Messen machte richtig Spass – solange die Werte stiegen.

Doch dann brachte mich ein Erlebnis dazu, meinen Ansatz zu hinterfragen: Bei einer langen Biketour brach ich regelrecht ein. Ich hatte zu wenig «Körner», wie mir meine Bike-Buddies sagten. Die Kohlenhydratreserven waren aufgebraucht. Mein Ernährungsplan passte nicht zu meinen körperlichen Herausforderungen. Weil ich schlank bleiben wollte beim Altern, hatte ich bei den Kohlenhydraten übermässig gespart. Doch lediglich etwas mehr Protein zufügen genügte nicht. Ich stellte den Ernährungsplan um und gewann ein paar vernünftige Kilos.

Auch Schlafen will geübt sein

So richtig spannend wurde es bei der dritten Disziplin, die mir Gesundheitsenthusiasten vorgeschlagen haben: dem Schlaf. Lange war ich stolz darauf, mit sechs Stunden auszukommen. Als Unternehmer und Familienvater waren lange Arbeitstage normal, und ich wollte ja keine Schwächen zeigen.

Als ich anfing, meinen Schlaf zu messen, stellte ich etwas Überraschendes fest: Ein langer Schlaf ist nicht zwingend auch ein erholsamer Schlaf. Die nächtlichen Werte bezüglich Tiefschlaf, REM-Schlaf (Traumphasen) oder der nächtlichen Herzfrequenzvariabilität faszinierten mich. Ich erkannte, wie wichtig der Schlaf für meine körperliche, aber auch geistige und emotionale Erholung ist. Und weil die Qualität des Schlafes stark mit der Schlafvorbereitung zusammenhängt, konnte ich das täglich testen.

Neue Themen wie Stressbewältigung und Resilienz weckten mein Interesse. Um auch Kopf und Seele zu trainieren, musste ich mich neu erfinden. Und ich probierte alles aus. Was mir gefiel, baute ich irgendwie in mein Tagesprogramm ein. Meditation am Morgen gehörte neu dazu. Yoga dagegen schaffte den Cut nicht; ich liess es nach der Probelektion bleiben.

Mehr und mehr merkte ich, dass die Freude an der Tätigkeit mindestens so wichtig war wie die erhoffte Gesundheitsförderung. So ging ich einmal wöchentlich zum «Tschüttele» mit den Senioren, obwohl ich gefühlt jedes dritte Mal eine Verletzung mit nach Hause brachte. Aber das gemeinsame Essen danach war Balsam auf die Sportlerseele. Überhaupt fühle ich mich stets dann gut, wenn ich etwas regelmässig mache. So war und bleibt das Stretching am Morgen nach dem Aufstehen ein tägliches Erfolgserlebnis. Und auch mein Interesse an neuen Ergebnissen der Longevity-Forschung ist ungebrochen, auch wenn ich nicht jedem neuen Hype nachrennen möchte.

Die Komfortzone verlassen

Meine Strategie des Älterwerdens besteht heute darin, den Tag zu geniessen und besonders gesundheitsschädigendes Verhalten zu vermeiden. Zwischendurch lote ich meine physischen und psychischen Grenzen aus, beispielsweise bei der Besteigung von Viertausendern in den Walliser Alpen. Ich möchte die Möglichkeiten, die mein Körper mir zur Verfügung stellt, ausschöpfen. Das heisst auch, Verantwortung dafür zu übernehmen. So steht im Homeoffice neben meinem Bildschirm der Leitspruch: «Live on your own terms.» Mein Umfeld akzeptiert, dass ich nicht alles mitmache, was trendy ist, und dabei eher wenig Kompromisse eingehe. Auf Social Media bin ich nicht aktiv. Ich esse noch Fleisch, aber weniger als früher. Auf Alkohol verzichte ich öfters. Immer wichtiger dagegen wird für mich das soziale Leben.

Unsere Leistungen sind ein Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Ich akzeptiere, was gegeben ist, und fokussiere mich auf das, was ich beeinflussen kann. Und wenn ich die Komfortzone ab und zu verlasse, erkenne ich immer wieder aufs Neue, was möglich ist. Und das ist oft viel mehr, als wir denken. Wenn der Extremsportler Jonas Deichmann in 120 Tagen 120 Ironmen absolviert, dann ist das nicht nachahmenswert, aber es zeigt, wozu der menschliche Körper fähig ist.

Ich bin sehr dankbar, dass mich Beruf und Familie nicht mehr voll auslasten und ich deshalb in der Lebensgestaltung viele Freiheiten habe. Die täglichen Entscheide betreffend Sport, Ernährung und Erholung treffe ich zumeist sehr bewusst. Ob ich das gut mache, kann ich nur teilweise selbst beurteilen. Der wichtigste Indikator dafür ist meine innere Zufriedenheit.

Daneben beachte ich verschiedene Messgrössen, die meinen «Lebenswandel» bewerten. Ein zentraler Feedbackgeber sind meine Schlafwerte, die ich mit meinem Oura-Ring messe. Zudem habe ich in den letzten beiden Jahren die kardiovaskuläre Fitness ins Zentrum gerückt. Als Messgrösse benutze ich die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max). Dieser Wert zeigt an, wie viel Sauerstoff mein Körper während intensiver körperlicher Aktivität verwerten kann. Er wird von Experten als wichtige Grösse zur Beurteilung der Langlebigkeit betrachtet. Um den VO2max zu steigern, mache ich vermehrt Aktivitäten im tiefen Pulsbereich, beispielsweise längere Spaziergänge oder Radtrainings auf dem Ergometer. Generell probiere ich immer wieder Neues aus und passe mein «Protokoll» nach Bedarf an.

Elektronische Helfer

Bei der Planung meiner gesundheitsfördernden Aktivitäten sind für mich jene «Influencer» wichtig, die dieses Forschungsgebiet tagtäglich bearbeiten.1 Aber auch der «gesunde Menschenverstand» soll Platz haben. Wenn ich mich dann noch gut fühle dabei, dann werden Handlungen zu Gewohnheiten. Erfolg durch Repetition. Hier mache ich mir die elektronischen Hilfsmittel zunutze. Diese Gadgets zeigen mir, ob ich das, was ich mir vorgenommen habe, auch wirklich gemacht habe. Das bedeutet nicht, dass Apps meine Gesundheit verlässlich einschätzen können. Jedoch zeigen sie die Entwicklung bestimmter Körperwerte und vor allem, ob ich mich gesund verhalten habe. Das ist schon sehr viel.

Ich habe mich im letzten Jahrzehnt besser kennengelernt, bin vernünftiger und wohl auch demütiger geworden. Aber würde ich diese Reise jeder und jedem empfehlen?

Gesunder Egoismus

Heute stehe ich an einem anderen Punkt als zu Beginn meiner Reise. Ich will nach wie vor möglichst lange gesund leben, keine Frage. Aber meine Sichtweise auf das gesunde Leben hat sich mindestens teilweise verändert. Ich erlangte Klarheit über das Warum, was mich motiviert, gesund zu leben: Es ist nicht mehr primär die Angst, eine unheilbare chronische Krankheit einzufangen, sondern vielmehr die pure Freude, wenn ich am Morgen in neuer Frische aufwachen, aufstehen und den Tag mit viel Energie angehen darf. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Zudem wünsche ich mir, dass ich unsere drei Kinder, die heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, noch lange begleiten, beobachten und erleben darf. Und last but not least freut es mich, wenn ich durch Gespräche weitere Menschen zu gesünderem und glücklicherem Leben bewegen kann. Gleichzeitig lerne ich, mit Skepsis und Kritik anderer umzugehen. Der Nutzen eines «gesunden Lebens» fällt aus meiner Sicht sofort an und bereichert das Jetzt ungemein.

Ich habe nur diesen einen Körper, der mir geschenkt wurde. Es liegt an mir, ihn bestmöglich zu pflegen. Dies zu tun ist eine Entscheidung, meine persönliche Entscheidung. Meiner körperlichen, geistigen und emotionalen Fitness mit Respekt zu begegnen und ihr eine hohe Priorität zu schenken, betrachte ich als «gesunden» Egoismus. Und wenn ich spüre, dass die Massnahmen Wirkung zeigen, freue ich mich umso mehr. Immer im Wissen, dass das Leben schnell eine Wende nehmen kann.

Gesundheit kann man nicht kaufen, aber man kann mindestens versuchen, das Beste aus seinem gesundheitlichen Potenzial herauszuholen. Um das zu erreichen, darf man auch mal ein Spinner sein – egal, was andere denken.

 

Meine Gesundheitsprinzipien

  1. Ich kenne mein Warum

Mein innerer Antrieb ist der Schlüssel zu einem gesunden Leben.

  1. Ich etabliere gesunde Rituale

Meine Gewohnheiten bestimmen meine Gesundheit.

  1. Ich vermeide Gesundheitsfallen

Bewegungsmangel, zu viel Zucker, Rauchen, Alkohol rauben mir Energie.

  1. Ich nutze die Kraft der Natur

Natürliche Lebensmittel und Bewegung im Freien geben mir Energie.

  1. Ich geniesse das Leben

Gesundheit soll Freude machen – ich höre auf meinen Körper und tue was sich gut anfühlt.

 

Meine Gewohnheiten

Ernährung

  • Ich esse alles, achte aber auf ein ausgewogenes Verhältnis von Proteinen, gesunden Fetten und Kohlenhydraten
  • Möglichst vielfältig, vielfarbig, saisonal und regional
  • Wenig industriell verarbeitet und ohne Zuckerzusätze

Bewegung

  • Tägliche Morgenroutine: 10 Minuten «Aufwärmen» nach dem Aufstehen (Liegestützen, Kniebeugen, Unterarmstützen)
  • Krafttraining: Dreimal pro Woche im Fitnesscenter
  • Ausdauer: Wöchentlich (Mountainbike, Wandern, Fussball, Skifahren, Langlauf – je nach Jahreszeit)

Schlaf

  • Rhythmus: Regelmässige Schlafzeiten
  • Vorbereitung: Letzte Mahlzeit 2 Stunden vorher, keine Bildschirme 1 Stunde vor dem Schlafen
  • Umgebung: dunkel, ruhig, Handy im Flugmodus

Soziale Beziehungen

  • Regelmässiger Austausch mit Familie, Mitarbeitenden und Freunden
  • Aktive Teilnahme an sozialen und sportlichen Vereinsaktivitäten

«Kopftraining»

  • Spielen: Jassen, Schach
  • Lernen: Täglich 10 Minuten Fremdsprache (aktuell Italienisch)
  • Lesen (vor allem Sachbücher und Biografien)

Entspannung

  • Täglich: 10 Minuten Meditation als Teil der Morgenroutine
  • Wöchentlich: Spaziergänge in der Natur, Sauna (im Winterhalbjahr)
  • Oft: Musik hören, Dokus schauen

Medizinische Check-ups

  • Jährlich: Grosses Blutbild, Zahnkontrolle
  • Alle zwei Jahre: Augendruckmessung
  • Periodisch: Krebsvorsorge (Darm, Haut, Lunge, Prostata)

 

Meine elektronischen Hilfsmittel

Apple Watch: Trainings- und Gesundheitsauswertung (u.a. Herzfrequenz, Höhenmeter, Distanz, VO2max)

Oura-Ring: Schlaf- und Stressanalyse (u.a. Schlafphasen, Herzfrequenzvariabilität, Körpertemperatur)

Withings BPM Connect: Blutdruckmessung mehrmals pro Woche

Withings Body+: Tägliche Gewichtskontrolle (inkl. Körperfettanteil und Body Mass Index)

  1. Zum Beispiel Peter Attia (Langlebigkeit), Andrew Huberman (geistige Fitness), Andy Galpin (körperliche Fitness) oder Daniel Goldman (emotionale Fitness).

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