Wahrheitswächter auf Abwegen
Der Kampf gegen «Desinformation» dient oft als Vorwand, um missliebige Inhalte zu unterdrücken.
Die Verantwortlichen des britischen Onlinemediums «Unherd» standen vor einem Rätsel. Sie hatten ihre Einnahmequellen durch Werbung diversifizieren wollen. Doch die Werbeerlöse flossen viel spärlicher, als aufgrund der Reichweite des Portals zu erwarten gewesen wäre.
Schliesslich fand man den Grund: Die Organisation Global Disinformation Index (GDI) hatte «Unherd» auf eine Liste von Websites gesetzt, die angeblich «Desinformation» verbreiten.
Beim GDI handelt es sich um eine Nichtregierungsorganisation, die sich dem Kampf gegen «Desinformation» verschrieben hat und dabei von Regierungen weltweit grosszügig unterstützt wird. (Angesichts dessen ist die Bezeichnung «Nichtregierungsorganisation» ziemlich irreführend – muss man das schon als Desinformation bezeichnen?)
Die Idee hinter GDI tönt auf den ersten Blick gut: Websites, die Desinformation verbreiten, werden gelistet, und verantwortungsvolle Werbevermarkter stützen sich auf die Ratings. Am Ende werden die Falschmelder finanziell ausgetrocknet.
Doch was gut tönt, führt schnell zu tückischen Fragen. Etwa: Was genau ist Desinformation? GDI verwendet eine ziemlich schwammige und sehr breite Definition. Sie umfasst nicht nur falsche Informationen, die wissentlich und willentlich publiziert werden, sondern auch das Verbreiten «feindlicher Narrative».
Darunter versteht die Organisation etwa Aussagen zu Klimawandel, zu Corona oder Transgender, die dem Konsens in den Medien und der Politik widersprechen. So störte sich GDI daran, dass «Unherd» Artikel der genderkritischen Feministin Kathleen Stock (die auch für den Schweizer Monat schreibt) veröffentlichte. Was an den Beiträgen genau falsch sein soll, konnte GDI auch nach mehreren Anfragen von «Unherd» nicht erklären. Stattdessen bemängelte die Organisation ein angebliches «Anti-LGBTQI+-Narrativ».
Der Fall ist der jüngste in einer Reihe von Beispielen, wie unter dem Vorwand des Kampfs gegen «Desinformation» missliebige Meinungen und Informationen unterdrückt werden.
- Die Plattform «Newsguard», die transparenter und objektiver agiert als GDI, bemängelte, der Onlineauftritt der «DailyMail» missachte «grundlegende Standards der Exaktheit und Rechenschaft». Nachdem sich die britische Boulevardzeitung dagegen gewehrt hatte, revidierte «Newsguard» die Bewertung.
- In der Coronapandemie wurde die Hypothese, dass das Virus einem Labor in Wuhan entsprungen sei, von Facktchecking-Plattformen wie «Politifact» oder Factcheck.org als «widerlegt» oder «haltlos» eingestuft. Medien, welche die These für plausibel hielten, wurden gerüffelt. Als sich die Hinweise auf einen nicht-natürlichen Ursprung häuften und schliesslich selbst US-Regierungsvertreter diesen als wahrscheinlich bezeichneten, krebsten die Plattformen zurück. Der Ursprung des Virus «bleibt unklar», heisst es nun bei Factcheck.org.
- Auffällig ist, wie oft die selbsternannten Desinformationsjäger ihre eigenen Standards missachten. Nina Jankowicz, die später das Disinformation Governance Board der US-Regierung leiten sollte, bezeichnete den Bericht der «New York Post» über Hunter Bidens Laptop unmittelbar nach der Veröffentlichung als «Fake News» – im Gleichklang mit den meisten anderen Medien und sozialen Netzwerken wie Twitter. Doch bis heute ist die Geschichte über die E-Mails, die sich auf dem Laptop fanden und auf problematische Geschäfte des Präsidentensohns hinweisen, nicht widerlegt.
Das Weltwirtschaftsforum WEF sieht Desinformation als das grösste globale Risiko. Angesichts der teilweise sehr breiten Definition scheint es eher, dass die Vertreter der politischen und wirtschaftlichen Elite Stimmen, die der politischen und wirtschaftlichen Elite widersprechen, als Risiko für sich selber sehen.
Übrigens: GDI schweigt bislang zu den Veröffentlichungen von «Unherd». Auch eine Anfrage zu ihrem Rating des Schweizer Monats liess die Organisation unbeantwortet. Trotz des Bekenntnisses zur Transparenz auf seiner Website.