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Währungspolitik auf Messers Schneide

Hyperinflation? Hyperdeflation? Oder eine kontrollierte Inflation mit glimpflichem Ausgang? Überlegungen zu aufziehenden Währungsszenarien.

Seit drei Jahren kommen die Finanzmärkte nicht zur Ruhe. Immer neue politische «Rettungspakete» werden in immer kürzeren Abständen geschnürt, ohne dass sich der erhoffte Erfolg einstellen würde. Wir haben in dieser Zeitschrift bereits vor einigen Monaten dargelegt, worin dieser Misserfolg letztlich begründet ist.* Diesmal wollen wir unseren Blick nach vorne wenden. «Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!», schrieb Wilhelm Busch angesichts der fiktiven Untaten von Max und Moritz. Aber auch die sehr realen Bubenstreiche von Nicolas, Angela und ihren Kollegen lassen einen bösen Ausgang ahnen.

Es ist ohne weiteres einsichtig, dass eine Erhöhung der staatlichen Kreditnachfrage tendenziell zu höheren Zinsen bei Staatsanleihen führt. Im Herbst 2008 war dies allerdings nicht der Fall, weil staatliche Anleihen von den Marktakteuren als sicherer Hafen angesehen wurden. Die Investoren flohen aus den privaten Anleihen in die vermeintlich sicheren Staatsanleihen. Die öffentlichen Haushalte konnten daher trotz höherer Verschuldung den Umfang ihrer Zinszahlungen sogar verringern. So bezahlte etwa die deutsche Bundesregierung im Haushaltsjahr 2009 Zinsen von circa 44 Mrd. Euro auf einer Bundesschuld von circa 920 Mrd. Euro, während es im laufenden Jahr voraussichtlich nur noch 39 Mrd. Euro auf der gestiegenen Schuld von 960 Mrd. Euro (Schätzung vom Jahresanfang 2010) sein werden.

Doch ein Jahr später bekamen die Anleger ob der beispiellosen Schuldenorgie der öffentlichen Haushalte kalte Füsse. Nun flohen sie aus den relativ unsicheren in die vermeintlich sichereren Staatsanleihen. Die Preise der griechischen, portugiesischen und spanischen Staatspapiere fielen (ihre Verzinsung stieg), während diejenigen der deutschen und französischen stiegen (ihre Verzinsung fiel).

Es ist offensichtlich, dass sich dies nicht endlos weiterführen lässt. In Europa sind niedrige Zinsen momentan nur noch für den deutschen Fiskus verfügbar, während fast alle anderen Staaten bereits eine saftige Zinserhöhung hinnehmen mussten oder auf dem Weg dorthin sind. Und auch die niedrigen Zinsen auf deutschen Staatsanleihen sind nicht in Stein gemeisselt. Bislang zählte der deutsche Staat zu den grössten Nutzniessern jenes «heuschreckenartigen» Verhaltens der Anleger, das in den Sonntagsreden der bundesrepublikanischen Würdenträger so gern und ausgiebig gegeisselt wird. Aber die Vorteile der deutschen Staatsanleihen schmelzen wie Eis in der Sonne, wenn es immer mehr andere Staaten gibt, die ihre Anleihen sehr viel höher verzinsen.

Was passiert nun, wenn die Zinsen steigen, wie in Griechenland? Dann muss ein immer grösserer Anteil des Staatshaushalts auf den Schuldendienst verwendet werden, und es kommt zu heftigen sozialen Verteilungskonflikten über den schwindenden Rest. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass in dieser Hinsicht die kritische Schwelle bei etwa 40 Prozent Anteil des Schuldendienstes am öffentlichen Haushalt liegt. In Griechenland ist diese Grenze bereits überschritten, und die Leute stehen auf der Strasse – arbeitslos oder demonstrierend.

Auch Deutschland ist von diesem Zustand nicht mehr unendlich weit entfernt. Momentan zahlt der Bund lediglich 1,6 Prozent auf 5jährige, 2,73 Prozent auf 10jährige und 3,44 Prozent auf 30jährige Anleihen. Was, wenn auch der deutsche Staat etwa dreimal so hohe Zinsen zahlen müsste, sozusagen auf griechischem Niveau? Dann würde sich binnen kürzester Zeit der Schuldendienst von knapp 40 Mrd. Euro auf 120 Mrd. Euro verdreifachen. Gemessen am gegenwärtigen Haushalt von etwa 330 Mrd. Euro entspräche dies 36 Prozent. Auch in Deutschland stünde dann wohl die Revolution vor oder nicht weit von der Tür.

Diese Sachlage erklärt die geradezu verzweifelten Versuche der EU-Regierungen – insbesondere der Regierungen der Eurozone –, Zinserhöhungen mit allen Mitteln zu verhindern. Eines davon ist die Monetisierung der Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank – also der direkte Ankauf von Staatsanleihen durch diese, ohne den Umweg über die Geschäftsbanken – und die Schaffung eines europäischen Stabilisierungsfonds mit dem Recht auf Emis-sion eigener Anleihen. Noch vor zwei Monaten undenkbar, sind beide Massnahmen seit dem 9. Mai 2010 nun bereits politische Realität, als die Staatschefs und Finanzminister der Eurozone, zusammen mit den Vertretern der EZB, die bisherigen Grundsätze der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion über Bord geworfen haben.

Eine massive Monetisierung der Staatsanleihen würde in der gegenwärtigen Lage schnurstracks in eine galoppierende Inflation führen. Die öffentlichen Schulden in Deutschland und Frankreich liegen gegenwärtig bei etwa 1’700 bzw. 1’500 Mrd. Euro, die für 2010 geplante Neuverschuldung der beiden Länder jeweils bei etwa 80 Mrd. Euro. Dagegen beträgt der gesamte Euro-Geldumlauf etwa 770 Mrd. Selbst wenn die Monetisierung der Staatsschulden daher auf diese beiden Länder begrenzt bliebe, würde dies nach einer jährlichen Erhöhung der Grundgeldmenge um mehr als 20 Prozent rufen. Dies wiederum würde erstens das Preisniveau stark nach oben treiben, und infolgedessen stünden zweitens weitere Zinserhöhungen an. Aus beiden Gründen wäre eine noch stärkere Monetisierung der Staatsschulden erforderlich. Es käme somit zu einer Spirale aus Geldmengen- und Preisinflation. Diese Spirale würde sich immer weiter verstärken, bis hin zur völligen Zerrüttung der Geldordnung in einer Hyperinflation.

Um die Gefahr der Inflationsspirale zu bannen, wurde am 9. Mai gleichzeitig auch die Schaffung eines Stabilisierungsfonds beschlossen. Genauer gesagt, wurde beschlossen, ein Rettungspaket von 750 Mrd. Euro zu schnüren, das bei Bedarf zur Unterstützung notleidender Regierungen der Eurozone verwendet werden kann. Die Anleihen des Stabilisierungsfonds sind bis zu einer Gesamtsumme von 750 Mrd. Euro durch Kreditbürgschaften gedeckt. Darüber hinaus kann der Fonds – unter Zustimmung der Finanzminister der Eurozone – sich auch noch stärker verschulden und somit noch höhere Kredite erteilen. Aber das bietet keine endgültige Lösung. Der Fonds verschafft den Regierungen der Eurozone lediglich eine Atempause, in der sie vor zwei – unterschiedslos schmerzhaften – Alternativen stehen.

Entweder können sie ihre Schuldenorgie noch ein wenig weiterführen. Darauf deutet momentan alles hin, insbesondere auch die angekündigte «Sparpolitik» der deutschen Bundesregierung. Am Ende stünde dann unverändert die Monetisierung der Staatsanleihen samt Inflationsspirale. Alle Gläubiger würden dann faktisch enteignet, da die Papiere in ihrem Besitz wertlos geworden wären. Die grossen Schuldner (darunter der Staat und seine Verbündeten im Finanzsektor) wären saniert und könnten sich dem wirtschaftlichen Aufschwung zuwenden – ganz wie im Deutschland der 1920er Jahre.

Oder die gegenwärtige Atempause wird für eine wirkliche Kehrtwende der Finanzpolitik genutzt. Die Regierungen der Eurozone könnten das umsetzen, was sie – anlässlich der Bekanntgabe der drastischen Sparmassnahmen Griechenlands und anderer besonders überschuldeter Länder – der Weltöffentlichkeit vollmundig angekündigt haben. Der springende Punkt ist nun, dass solch tugendhaftes Verhalten kaum durch eine sichere Verbesserung der staatlichen Finanzen belohnt würde. Denn der Ausfall der staatlichen Nachfrage würde zu einer Konjunkturschwäche führen, die sich sehr schnell auf alle EU-Länder ausbreiten dürfte. In jedem Fall käme es auch dabei wieder zu massiven Verlusten bei den Banken.

Wie soll dann eine erneute Rettung möglich sein, wenn doch gleichzeitig gespart werden soll? Oder will man die Banken diesmal den Weg alles Irdischen gehen lassen und die resultierende Implosion der gesamten, bankkreditgestützten Wirtschaft hinnehmen? Wer soll dann dem Staat – von den anderen Marktteilnehmern nicht zu reden – noch Geld leihen? Am Ende stünde der Staatsbankrott und somit der Ruin aller Finanzintermediäre (Banken, Versicherungen, verschuldete Investitionsfonds, Pensionskassen usw.). Rentner wären mit einem Schlag mittellos, Versicherte müssten auf ihren Schutz verzichten, Ersparnisse wären weg.

Nun könnte man einwenden, dass die vorstehenden Überlegungen apokalyptisch seien und auf allzu extremen Entweder-oder-Annahmen beruhten. Wäre nicht auch eine, mehr oder weniger lange, Phase höherer, aber dennoch kontrollierter Inflation vorstellbar? Einige Ökonomen haben ausgerechnet, dass die westlichen Regierungen sich durch eine über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren ausgedehnte Monetisierung der Staatsschulden aus den gröbsten Schwierigkeiten befreien könnten. Der Preis wäre eine jährliche Inflationsrate von etwa 10 Prozent – nicht gerade anheimelnd, aber auch keine Katastrophe.

Der Schwachpunkt dieser Berechnungen ist die Vernachlässigung der Rückwirkungen, die von einer starken Erhöhung der Geldmenge ausgehen. Insbesondere würde eine solche die gegenwärtige Flucht in die Sachwerte noch verstärken. Die Preise und Zinsen würden dann viel deutlicher als die Geldmenge steigen, und die Geldproduktion müsste noch mehr erhöht werden, damit der Staat seine höheren Kosten decken kann.

Kurz gesagt – man kann das Szenario der kontrollierten Inflation nicht völlig ausschliessen. Aber dass es reüssiert, ist so wahrscheinlich wie ein gelungener Rutsch auf eines Messers Schneide. Vielmehr steht zu befürchten, dass die europäische Wirtschaft auf die eine oder andere Seite des Messers abkippt, entweder in die galoppierende Inflation oder in die galoppierende Deflation. Dabei ist nur eins sicher: die Rechnung zahlen die heutigen Bürger.

* Siehe: Hülsmann, J.G. «Wozu Rettungspakete?» Schweizer Monatshefte 966 Jan. 2009: 6–7.

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