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Während wir schliefen

Die Tragödie in Südostasien hat gezeigt: In einer Katastrophe entscheidet Information über Leben und Tod. Ihren freien Fluss zu behindern, kommt einem Verbrechen gleich.

Noch sind wir dabei, mit den Spuren von Tod und Zerstörung fertigzuwerden, die die Meeresflut einen Tag nach Weihnachten entlang unseren Küsten hinterlassen hat. Der Tsunami, der die Küstengebiete Indiens und sieben anderer Länder getroffen hat, war eine der grössten Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte. Und doch hätte der Verlust an Menschenleben wesentlich geringer sein können. Denn der wichtigste Einzelumstand in dieser Katastrophe kann mit guten Gründen in einem eklatanten Mangel an Information gesehen werden. Das Informationsmanko und die krass unzureichenden Verbindungsnetze vergrösserten die Schutzlosigkeit unserer Küsten gegenüber den verheerenden Kräften der Natur.

Information ist Macht, wenn sie zuverlässig, rechtzeitig, örtlich relevant und der Bevölkerung zugänglich ist. Sie kann über Leben und Tod entscheiden. Dies zeigt der Bericht von einem aufmerksamen Inder, der in Singapur arbeitete und in den frühen Morgenstunden des 26. Dezember in sein Heimatdorf in Pondicherry telephonierte, um vor einer möglichen Flutwelle zu warnen. Diese einfache Massnahme rettete viele Menschenleben.

Da sich das Unglück an einem Sonntag zutrug, führten die ersten Nachrichten bei keiner der Küstenbehörden zu einer angemessenen Reaktion. Der Tsunami traf Sri Lanka wenig vor acht Uhr; um 8: erreichte die Flut Cuddalore in Tamil Nadu. Nochmals 4 Minuten später war Chennai an der Reihe, um 9: Vishakapatnam weiter nördlich an der Küste. Während jeder Phase gab es ein kleiner werdendes Zeitfenster, in dessen Verlauf noch Warnungen hätten abgesetzt werden können. Doch nichts geschah. Ein Land, das die Anrufzentralen der ganzen Welt betreiben will, war unfähig, seine eigenen Menschen anzurufen. In einem Land, das den Ehrgeiz hat, eine Weltmacht zu werden, brauchte es 12 Stunden, bis die Nachricht der Verwüstung einer Luftwaffenbasis es von der Insel Car Nicobar nach Indien schaffte. Ist dies das Mass unserer Bereitschaft, da Neu-Delhi angeblich bloss 2 Raketen-Minuten von Pakistan, und Karachi in der andern Richtung auch nicht weiter entfernt ist? Auch ist es wohl kein Zufall, dass zwei der am schlimmsten betroffenen Gebiete, die Nikobaren und die indonesische Provinz Aceh, zu den fernverbindungsmässig abgeschnittensten Gegenden gehören. Sogar Inder brauchen eine Bewilligung zum Betreten der Nikobaren. Dadurch wurde natürlich die Verwundbarkeit jener Menschen noch zusätzlich gesteigert.

In Indien steckt der Informationsfluss in einer Zwangsjacke vielfältigster politischer Regeln und Verordnungen. Viele Regierungen haben versucht, den Informationsfluss zu zentralisieren und dadurch Information recht eigentlich vereitelt. Tatsächlich steht sich die Regierung damit selber vor der Sicht. So fehlte auch 48 Stunden nach dem Unglück noch jede Nachricht aus vielen Teilen der betroffenen Gebiete und damit auch jede Möglichkeit rascher Hilfeleistung dorthin. In fünfzig Jahren haben wir es gerade eben geschafft, fünf Prozent der Grundbedürfnisse der Bevölkerung im Telephoniebereich zu decken, eine Zahl, die in den vergangenen zehn Jahren dank der Einführung der Mobiltelephonie auf zehn Prozent gesteigert werden konnte. Der Internetzugang in Indien gehört mit zu den niedrigsten – und das in einem Land, das den Ehrgeiz hat, ein IT-Schwergewicht zu werden. Wir haben alles Mögliche getan, um die Verbreitung von Information, Rundfunk und Fernmeldewesen zu bremsen. Wir haben Jahre damit zugebracht, über die Chancen zu diskutieren, die dank den technischen Fortschritten auf Gebieten wie Breitband, Konvergenz und Satellitenzugang zu realisieren wären, aber in Wirklichkeit haben wir nichts getan, um diese Chancen auch zu nutzen.

Im Anschluss an die Flutwelle verkündete die Regierung ihren Beschluss, ein Tsunami-Warnsystem auf die Beine zu stellen. Die Kernfrage ist jedoch: Wie kommt es, dass trotz ein- bis mehrtägigen Vorwarnungen Wirbelstürme und Überschwemmungen jedes Jahr Tausende umbringen? Was kann unter diesen Umständen von einem Tsunami-Warnsystem erwartet werden? Information ist Macht. Freier Nachrichtenfluss unter Verwendung des gesamten Arsenals der Kommunikationstechnologien ist das beste Mittel, um dem Volk solche Macht zu geben. Ein Land, das das Wort Satya Meva Jayate (Wahrheit heisst Sieg) hervorgebracht hat, sollte nicht nur sich vom Tsunami-Trauma befreien, sondern auch die Information von ihren Fesseln. Lasst die Wahrheit siegen.

Dieser Beitrag wurde von Reinhart Fischer aus dem Englischen übersetzt.

Barun Mitra ist Mitbegründer und Direktor des Liberty Institute in Neu-Delhi. Für sein Buch «Population: The Ultimate Resource» wurde er im Jahr 2001 mit dem Sir Anthony Fisher Memorial Award ausgezeichnet.

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