Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Wachstum lässt sich nicht herbeihelfen
Martin Paldam, zvg.

Wachstum lässt sich nicht herbeihelfen

Zwischen Entwicklungshilfe und Wirtschaftswachstum gibt es fast keine Korrelation. Das stellt nicht nur die Politik vor ­Probleme; auch Wissenschafter müssen ihre ethischen Standards hinterfragen.

Read the English version here.

Es ist eine zähe alte Frage: Hilft Entwicklungshilfe der Entwicklung? Oder in der Sprache der Ökonomen: Haben Hilfen für ärmere Länder dort Wirtschaftswachstum erzeugt? Der Fach­begriff für diese Frage lautet «Aid Effectiveness Question», was sich mit «Frage nach der Wirksamkeit von Entwicklungshilfe» übersetzen lässt. Zahllose Studien untersuchen das Problem, und es werden ständig mehr. Der Grund dafür ist einfach: Wir alle wünschen uns, dass Entwicklungshilfe funktioniert und dass mit ihrer Hilfe die Armut auf der Welt gelindert werden kann. Doch die Ergebnisse der Studien sind schwach und kaum belastbar.

Eigentlich lässt sich die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe recht einfach bestimmen. Die statistischen Methoden, um Wachstumsregressionen zu ermitteln, sind wohlbekannt, und die Datenlage ist ideal. Da es Hilfsprogramme seit 60 Jahren gibt, wurden bis heute fast 10 000 Beobachtungspaare der Parameter «Entwicklungshilfe» und «Wachstum» veröffentlicht. Der durchschnittliche Anteil der Hilfen macht in den Empfängerländern 7 Prozent des BIP aus.

Aus ähnlichen Daten in anderen Bereichen haben sich 10 weitere Faktoren ergeben, die einen robusten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben. Wo sie vergleichbar sind, liegen die meisten dieser Faktoren in einer niedrigeren Grössenordnung als 7 Prozent des BIP. Wenn Entwicklungshilfe tatsächlich zu Wachstum führen würde, müsste das einfach aufzuzeigen sein – das ist es aber nicht, wie sich in der Forschung inzwischen herumgesprochen hat.1

Die grundsätzliche Beobachtung in diesem Bereich ist die Nullkorrelation, die sich beim Vergleich zweier Datensätze ergibt: des Entwicklungshilfeanteils (am BIP) der Empfängerländer sowie deren realer Wachstumsrate. Doch selbst wo die beiden Datensätze 5- oder 10-Jahres-Mittel sind und sogar gegeneinander verschoben wurden, um der verzögerten Wirksamkeit der Hilfen Rechnung zu tragen, beträgt die Korrelation nahezu null, ist teils sogar negativ.

Wäre die Debatte um die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe eine normale wissenschaftliche Debatte, wäre sie höchst langweilig. Ihr Gegenstand wäre lediglich die zweite Dezimalstelle – ist die Wirkung winzig oder nichtexistent?

An den Fleischtöpfen

Tatsächlich aber ist die Diskussion um die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe alles andere als langweilig. Hitziger wissenschaft­licher Dissens ist oft das Ergebnis dritter Faktoren, die einer Debatte Würze verleihen. Im gegenwärtigen Fall verdankt sich der Meinungsstreit zwei starken Apriori, deren erstes man das Engels­apriori nennen könnte: Hilfsgelder sollen Gutes bewirken, und wir wollen alle auf der Seite der Engel sein. Das zweite wäre das Apriori der Fleischtöpfe: Hilfsgelder summieren sich inzwischen auf 160 Milliarden Dollar. Rund 10 Prozent davon gehen an Berater, unter denen sich auch die meisten Entwicklungsökonomen finden. Wir wollen nicht von den Fleischtöpfen vertrieben werden.

Die beiden Apriori weisen in dieselbe Richtung – das Engelsapriori liefert Forschern eine moralische Rechtfertigung für ihr Drängeln um die Fleischtöpfe. Die Forschung zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe ist daher von Apriori geplagt, wobei das Spannungsverhältnis zwischen den Apriori und der leidigen Nullkorrelation eine umfangreiche Literatur hervorgebracht hat.

Unter forschungsethischen Aspekten ist die Literatur zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe beschämend. Forschung sollte Fakten erklären, nicht wegerklären. Wo unsere Apriori auf ein bestimmtes Ergebnis drängen, sollten wir das Ergebnis besonders sorgfältig zu verifizieren versuchen. Im folgenden fasse ich die Ergebnisse von 300 Studien zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe zusammen. Wer über die Apriori hinausschauen will, sollte sich damit befassen.

Das Mikro-Makro-Paradox

Auf der Mikroebene besteht kein Zweifel, dass rund die Hälfte aller Hilfsprojekte erfolgreich sind.2 Allerdings ist Wirtschaftsentwicklung ein Makrophänomen. Das Wirtschaftswachstum wird meistens als die prozentuale Veränderung des BIP pro Jahr an­gegeben. Dieser Makroaspekt wird in Hilfsprogrammen in Form gesellschaftlicher Kosten-Nutzen-Analysen berücksichtigt. Jahrelang war das Kriterium für die Verwirklichung eines Hilfs­projekts die Einschätzung, dass es mit mindestens 10 Prozent (seiner Kosten) zum Wachstum beitragen würde. Die 50prozentige Erfolgsquote bedeutet also, dass die eine Hälfte der Projekte mehr als 10 Prozent und die andere Hälfte weniger als 10 Prozent beitragen, so dass im Mittel 10 Prozent herauskommen. Falls das zutrifft, sollten Projekte, die sich zusammen auf 7 Prozent des BIP belaufen, 0,7 Prozentpunkte pro Jahr an Wachstum generieren. Das ist rund die Hälfte des Wachstums eines durchschnittlichen Entwicklungslandes.

Zum Teil stehen hinter Hilfen andere, nicht entwicklungs­bezogene Gründe. Beispiele sind Nothilfen, Unterstützung für ­Demokratie und Kultur, Unterstützung der «guten» Seite in Konflikten, Hilfe bei der Versöhnung nach Konflikten oder Flüchtlingshilfe. Selbst wenn wir sagen, dass nur zwei Drittel aller Hilfen auf wirtschaftliche Entwicklung gerichtet sind, sollten die Hilfen dennoch etwa einen Drittel des Wachstums in einem durchschnittlichen Entwicklungsland beitragen. Und das müsste sich problemlos aufzeigen lassen – tut es aber nicht. Die Mikroergebnisse der jeweiligen Projekte stehen daher im Widerspruch zu den Makroergebnissen für die ganze Gesellschaft. Dieses Phänomen wird als Mikro-Makro-Paradox der Entwicklungshilfe bezeichnet.

Das Spannungsverhältnis zwischen der Nullkorrelation und den beiden Apriori hat zu jener umfangreichen Literatur in diesem Forschungsbereich geführt. Der Leser mag hier an die alte Redensart denken: Wenn man die Daten nur lang genug foltert, gestehen sie alles.

Der Widerwilligkeitsbias

Das Foltern der Daten erfolgt durch massives Datamining. Die ­Daten werden in Tausende Modelle eingespeist, wobei die ganze Palette statistischer Methoden zum Einsatz kommt. Auf jedes veröffentlichte Modell kommen viele weitere, die unveröffentlicht bleiben.

Wo es um Wachstumsregressionen geht, ist es notorisch einfach, die Modelle zu variieren. Jeder Forscher hat auf seinem Computer ein mächtiges Statistikprogramm laufen. Mit dessen Hilfe kann er ohne weiteres 1000 Varianten seines Modells erzeugen. Jede Variante ergibt einen Wert für die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe. Wir wissen, dass etwa 950 dieser Varianten nicht signifikant sind. Die verbleibenden 50 Schätzwerte aber sind durchaus signifikant, und 25 von ihnen sind positiv. Was nun, wenn wir aus diesen die positivste Schätzung auswählen? Sie wird jedermann zufriedenstellen, doch sitzen wir dabei womöglich ­einem Betrug auf?

Sorgfältige Datenanalyse ist durchaus geeignet, mögliche neue Regelmässigkeiten zu ermitteln. Durch Datamining entdeckte neue Modelle müssen jedoch zunächst von anderen Autoren mit anderen Daten repliziert werden, um glaubhaft zu werden. Forschern in Bereichen wie Medizin, Physik etc. ist das bewusst. In den Gesellschaftswissenschaften hingegen wird das Prinzip nur theoretisch anerkannt, tatsächlich aber nicht befolgt.

Während wir die 1000 Modellvarianten untersuchen, wirken die Apriori auf uns. Forscher müssen publizieren, um Karriere zu machen. Die 950 insignifikanten Ergebnisse lassen sich jedoch nur schwer an den Mann bringen und 25 sind zwar signifikant, aber negativ. Es ist also höchst verlockend, auch diese Ergebnisse beiseitezulassen.

Entsprechend fokussiert der Forscher auf die 25 guten Modelle und wird nach Gründen suchen, warum die besten von ihnen wahr sein müssen. Allein der Begriff «research» (engl. für «Forschung») verweist auf ein ständig wiederholtes Suchen («search»). Ein Ergebnis liegt somit vor, sobald der Forscher aufhört zu suchen. Doch wann hört er auf zu suchen? Doch wohl, wenn er mit dem Ergebnis zufrieden ist. Dass die beiden Apriori keine Rolle dabei spielen sollten, wann dieser Punkt erreicht ist, scheint kaum glaubhaft. Ich möchte damit nicht sagen, dass Forscher unehrlich sind – doch sie sind auch nur Menschen.

Die beiden Apriori sorgen auf diese Weise für Schlagseite beim Suchen, was zu verzerrten Ergebnissen führt. Und beim Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe wirken beide Apriori in dieselbe Richtung. Das hat Chris Doucouliagos und mich bewogen, der Literatur einen Widerwilligkeitsbias zuzuschreiben: Der Berufsstand ist widerwillig, negative und insignifikante Er­gebnisse zu publizieren.

Ob eine Literatur durch einen solchen Bias verzerrt wird, kann mit Hilfe bestimmter statistischer Methoden getestet werden. Wendet man diese auf die Literatur zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe an, schrillen sämtliche Alarmglocken – was unseren Vorwurf bestätigt.

Die Richtung der Kausalität

Legt man einem beliebigen Wirtschaftswissenschafter die beobachtete Nullkorrelation vor, wird er spontan bemängeln, dass nicht auf die Kausalität geschaut wurde. Zwar möchten wir untersuchen, ob Hilfen Wachstum generieren, was wir aber beobachten, könnte auch den umgekehrten Zusammenhang aufzeigen – dass nämlich schwaches Wachstum Hilfen anzieht. Vielleicht hat sich die Realität den Spass erlaubt, den beiden Kausalzusammenhängen dieselbe Effektgrösse, aber gegensätzliche Vorzeichen zu geben.

Welche kausalen Faktoren hinter einer beobachteten empirischen Regelmässigkeit stecken, ist immer eine Schlüsselfrage. Um sie zu beantworten, stehen höchst raffinierte Testverfahren zur Verfügung. Diese Verfahren wurden auf die Literatur zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe angewandt.

Die Abbildung zeigt die möglichen Kausalverbindungen. Zwei ­Effekte spielen hier eine Rolle – die Wirkung von Entwicklungshilfe auf das Wirtschaftswachstum sowie der sogenannte Armutseffekt: Ein hohes Einkommensniveau senkt die Summe der Hilfszahlungen. Wo Entwicklungshilfe funktioniert, steigert sie das Wachstum; das Einkommensniveau steigt, wodurch weniger Hilfen fliessen. Wären also die beiden Pfeile in der Abbildung wirkungsstark, würde sich die Kausalität umkehren und sich negativ auf die Wirksamkeit der Hilfen auswirken. Das ist jedoch unwahrscheinlich, da die betreffenden Effekte nur schwach sind. Ein ­zusätzliches jährliches Wachstum von 1 Prozent etwa hebt über einen Zeitraum von 10 Jahren das Einkommensniveau nur um 10,5 Prozent, was den Zufluss von Hilfen nur minimal reduzieren würde.

Es gibt noch zwei weitere Effekte (repräsentiert durch die gestrichelten Linien), die aber ebenfalls schwach sind: Zum einen ist in Ländern mit mittlerem Durchschnittseinkommen das Wachstum höher, wenn auch nur minimal. Zum anderen kann höheres Wachstum die Summe der Hilfszahlungen erhöhen, da es nämlich in Ländern mit schnellerem Wachstum mehr Projekte mit hohem Wirkungsgrad gibt, was es einfacher macht, Projekte zu finden, die man mit Hilfszahlungen unterstützen kann. Zudem ist es möglich, dass Handelslobbyisten auf Zahlungen an Länder drängen, die sich gerade zu interessanten Märkten entwickeln. Diese Effekte wirken dem Armutseffekt entgegen. Werden all diese schwachen Effekte aufsummiert, gleichen sie einander wahrscheinlich aus, so dass der Nettoeffekt nur minimal ist. Exakt dieses Ergebnis zeigt die Literatur.

Forscher sind auch nur Menschen

Metastudien untersuchen die Verteilung der veröffentlichten ­Ergebnisse in der Literatur zu einem bestimmten Effekt wie etwa der Wirksamkeit von Entwicklungshilfe. Sie fragen, ob die Ergebnisse in Richtung eines bestimmten Wertes konvergieren, ob es bahnbrechende Erkenntnisse gibt und auch ob sich irgendwo Publikationsbias eingeschlichen haben. Ein Publikationsbias (wie der Widerwilligkeitsbias) liegt vor, wenn die veröffentlichten ­Ergebnisse im Schnitt systematisch vom Schnitt der geschätzten Ergebnisse abweichen.

Sechs Metastudien wurden zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe durchgeführt. Wir fanden 1777 Schätzwerte hinsichtlich der Wirkung von Entwicklungshilfe auf das Wirtschaftswachstum, die so gut dokumentiert sind, dass sie sich auf eine ­gemeinsame Grössenordnung bringen lassen. Untersucht man ihre Verteilung, zeigt sich, dass diese zwei Eigenschaften aufweist, die sich nicht mit der Annahme in Einklang bringen lassen, dass Forscher auf Wahrheitssuche programmierte Roboter sind.

Ergebnisse werden gewöhnlich umso klarer (stabiler und signifikanter), je grösser ihre Datengrundlage ist; doch (1) die Ergebnisse werden kleiner und weniger signifikant. Die Entwicklungshilfebranche sollte – wie andere Branchen auch – aus Erfahrungen lernen, die Wirksamkeit von Hilfsgeldern sollte also steigen. Doch (2) die geschätzte Wirksamkeit sinkt im Laufe der Zeit. Insgesamt fanden wir einen kleinen positiven Effekt, der zur Hälfte auf Publikationsbias beruht. Die Wirksamkeit geht also gegen null.

Gläubige in der «Christ Miracle Church» in Kibera, dem grössten Slum Kenias, in einem Raum, der eigentlich als öffentliche Toilette ­gedacht war. Das Gebäude ist eine von Dutzenden ­öffentlichen Toilettenanlagen, die die Regierung 2014 gebaut hat, um die sanitären Verhältnisse in Kibera zu verbessern. Aber die ­Einrichtungen konnten aufgrund unzureichender ­Abwassersysteme und fehlenden Zugangs zu Wasser niemals voll funktionsfähig werden. Fotografiert am 13. Mai 2018 von Peter DiCampo.

Die beiden unverständlichen Ergebnisse werden klarer, wenn wir den Widerwilligkeitsbias berücksichtigen. Je grösser ein Datensatz, desto weniger variieren die Ergebnisse, und die Datensätze wachsen mit der Zeit. Entsprechend werden mit zunehmender Anzahl einzelner Beobachtungen (N) in einem Datensatz ­sowohl die positivsten als auch die negativsten Ergebnisse kleiner. Da aber die negativen Ergebnisse ohnehin abgelehnt werden, ist nur die Verkleinerung der veröffentlichten Resultate bei steigendem N sichtbar.

Sobald man akzeptiert, dass Forscher auch nur Menschen sind, macht alles Sinn. Es ist nicht der Effekt, sondern der Bias, der bei steigendem N kleiner wird. So scheint es, als falle die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe im Laufe der Zeit. Doch das täuscht. Korrigiert man die Verteilung der veröffentlichten Ergebnisse um den Widerwilligkeitsbias mit den hierzu entwickelten Methoden, wird das durchschnittliche Ergebnis fragwürdig. Die Literatur hat kein robustes Mittel gefunden, das Null-Korrelations-Ergebnis zurückzuweisen.

Um die Implikationen der Widerwilligkeitshypothese nachzuvollziehen, kann man sich vor Augen führen, welchen Weg die meisten Modelle nehmen, die Hilfe positiv einschätzen. Wird ein neues solches Modell gefunden, lässt es sich problemlos veröffentlichen. Es wird viel zitiert und so bekannt gemacht. Die Entwicklungshilfebranche nimmt es mit Freuden auf: Endlich wird gezeigt, dass Hilfe funktioniert! Der Entdecker des Modells macht Karriere etc. Doch dann, drei Jahre später, tauchen neue Daten auf und bringen das Modell zum Einsturz. Schliesslich verschwindet es in der Schublade, wie all die anderen vor ihm.

Aus alledem müssen wir schliessen: Die Nullkorrelation resultiert daraus, dass beide Effekte gegen null gehen. Das wirft zwei Fragen auf. Die erste lautet: Gibt es womöglich Effekte, die von den angewendeten Methoden nicht erfasst werden? So könnten etwa Hilfszahlungen bessere und mehr Lehrer hervorbringen. Die Schüler solcher Lehrer wären besser ausgebildet und würden später im Berufsleben bessere Leistung erbringen. Bis dahin mögen wohl 15 Jahre vergehen, doch dann hält sich der Effekt über die nächsten drei bis vier Jahrzehnte! Solche Effekte sind notorisch schwer per Wachstumsregression zu erfassen. Der Bau eines Staudamms mag 10 Jahre dauern, schliesslich aber kann Strom erzeugt werden, der im Laufe der nächsten paar Jahre verbraucht wird. Der Effekt ist hier etwas leichter zu erfassen, doch müssen immer noch lange Zeiträume berücksichtigt werden. Es ist also möglich, dass uns die Wirkung von Entwicklungshilfe teils entgeht.

Die zweite Frage lautet: Warum hat Entwicklungshilfe eine so geringe Wirkung? Ich habe drei Antworten gefunden: Erstens könnte die Austauschbarkeit von Projekten eine Rolle spielen: Entwicklungshilfe finanziert oft Projekte, die ohnehin durchgeführt worden wären. So können sich die Länder andere Projekte leisten, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von gleicher Qualität sind. Zweitens könnte die sogenannte «holländische Krankheit» die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe drücken: Durch Hilfszahlungen fliesst ausländische Währung ins Land und wird dadurch billiger. Einheimische Produkte verteuern sich in der Folge. Das wiederum untergräbt den Aufbau einer Exportindustrie. Drittens könnte eine Rolle spielen, dass Hilfsprojekte ­einen gewaltigen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Sie binden dadurch die im Land vorhandenen und womöglich knappen Ressourcen, worunter dann andere Projekte leiden.

Die Entwicklungshilfebranche

Wie erwähnt setzt die Entwicklungshilfebranche inzwischen jährlich 160 Milliarden Dollar um. Die Branche besteht aus einem vielschichtigen Geflecht öffentlicher und privater Akteure mit zahlreichen Verbindungen zu Forschung und Medien. Nur wenige in einschlägigen Bereichen tätige Forscher sind nicht in irgendeiner Weise mit der Entwicklungshilfebranche verbandelt. Entsprechend sind wir alle am Fortbestehen der Branche interessiert. Dazu kommt noch das Engelsapriori.

Diskussionen über Entwicklungshilfe bieten eine faszinierende Erfahrung, da besagte Interessen hier unweigerlich mit­mischen. Eines der gebräuchlichsten Argumente lautet, dass man nicht so sehr auf Fakten abstellen solle, da es den Fluss von Hilfsgeldern gefährden könnte, wenn die Fakten breiter bekannt würden. Dieses Argument wird auch von Forschern vorgebracht. Offenbar fühlen sich diese verpflichtet, durch ihre Untersuchungen so viel wie möglich zur Aufrechterhaltung von Entwicklungshilfe beizutragen. ­Daher rührt der Widerwilligkeitsbias der einschlägigen Literatur.

Wissenschaftliche Forschung wird heute meist von Sponsoren finanziert. Wie jeder universitär Tätige schätze auch ich Sponsoren. Sponsoren haben Interessen – das gilt auch für öffentliche Sponsoren. Genau deshalb werden ethische Standards für Forscher immer wichtiger. Solche Standards erlegen Forschern etwa die Pflicht auf, eigene wirtschaftliche Interessen in Bereichen ­offenzulegen, zu denen sie publizieren. Ich habe 100 Artikel zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe sowie deren Autoren unter die Lupe genommen. Viele der Autoren geben nur ihre akademische Zugehörigkeit an.3 Wenn man jedoch auf ihren Websites nachschaut oder ihre Namen googelt, zeigt es sich, dass ein erstaunlich hoher Prozentsatz der Autoren nebenbei in der Entwicklungshilfebranche tätig ist. Einige hielten sogar spezielle von Entwicklungshilfebudgets finanzierte Forschungspositionen, erwähnten aber diese bedeutsame Information in ihren Artikeln zum Thema Wirksamkeit von Entwicklungshilfe nicht.

Der Grund für die Nullkorrelation ist also trivial: Die beiden Kausalverbindungen zwischen Entwicklungshilfe und Entwicklung gehen in ihrer Effektgrösse gegen null. Trotz guter Datenlage und breiter Forschungstätigkeit ist nicht nachgewiesen, dass Entwicklungshilfe eine nennenswerte Wirkung auf Entwicklung hat.

Das heisst nicht, dass Hilfen ganz und gar wirkungslos sind. Vielleicht bewirken sie Gutes auf gesellschaftlicher Ebene, wiewohl das nicht auf die nationale Ebene durchzuschlagen scheint. Ausserdem ist bekannt, dass Hilfen bei Notlagen helfen können: Nahrungshilfen können Hungernde sättigen, Militärhilfe kann helfen, Bösewichte zu besiegen etc. Wirtschaftliche Entwicklung ist aber etwas anderes. Sie lässt sich nicht leicht erzeugen und ausländische Akteure haben fast keinen Hebel, sie anzukurbeln.

  1. Barros und Sala-i-Martins massgebliches Buch zum Thema Wachstum und Entwicklung enthält etwa 100 Seiten zur Frage, welche Faktoren Wachstum bewirken. Entwicklungshilfe wird nicht einmal erwähnt (siehe Robert J. Barro and Xavier Sala-i-Martin: Economic Growth. Cambridge: MIT Press, 2004). Dasselbe gilt für die vier umfangreichen Bände des Handbook of Growth (siehe Philippe Aghion und Steven N. Durlauf: Handbook of Economic Growth. Amsterdam: North-Holland, 2014). Selbst in den vier schweren Bänden des Handbook of Development (Jere Behrman und T.N. Srinivasan: Handbook of Development Economics. Amsterdam: North-Holland, 1995) spielt Entwicklungshilfe nur eine kleine Rolle.

  2. Robert Cassen: Does Aid Work? Oxford UP, Oxford UK (1986, 1994).

  3. Hier möchte ich erwähnen, dass ich für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen gearbeitet habe. Auch habe ich die Weltbank beraten sowie die ­Interamerikanische Entwicklungsbank, wenn das auch bereits 12 Jahre her ist.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!