Wachs-Tum und Freiheit
Sie stickt und malt mit Wachs, baut aber auch Skulpturen aus Spiegelglas: die Ästhetik Loredana Sperinis ist trotz häufigen Material- und Medienwechsels einzigartig. Zweifel begleiteten ihren Weg, heute bringt die international erfolgreiche Künstlerin aber Schaffen, Galerie und sogar Familie unter einen Hut. Wie das?
Lange war Loredana Sperini die «Künstlerin, die stickend zeichnet», damit bist du bekannt geworden. Zwar warst du nicht die einzige Kunstschaffende, die sich dieses Mediums bedient hat, ich denke an Rosemarie Trockel oder Ghada Amer –, und du hast dich immer klar dieser Zuordnung zur Textilkunst verweigert. Vielleicht, weil sich deine Kunst auch immer wieder stark verändert hat. Wie kamst du vom Lichtbild zum Stickbild in den dreidimensionalen Raum des Skulpturalen?
Vor meinem Studium hatte ich eine Ausbildung zur Textilgestalterin absolviert. Mir war klar, dass ich meine Leidenschaft erst finden muss, also etwas, hinter das ich mich voll und ganz stellen kann. Ich war also auf der Suche…
…und hast in Luzern an der Kunsthochschule studiert, in einer Klasse, die vor allem für Medien wie Photographie und Video bekannt war, nicht?
Genau. Als ich während des Studiums mit Photographie experimentierte, war das Vorgehen klar: Ich konnte mit Schärfe und Unschärfe spielen, was mir eine Distanz zum eigentlichen Objekt ermöglichte. Gleichzeitig löste die Auseinandersetzung mit dem Medium Photographie eine enorme Sehnsucht aus. Mir fehlte schon bald das Haptische und ich hatte zunehmend den Wunsch, alles von Anfang bis zum Schluss selber umzusetzen, mit den eigenen Händen zu gestalten – also ohne optische Hilfsmittel, Schneidepult etc. zu arbeiten.
Anders gesagt: du wolltest die grösstmögliche Kontrolle über den Schaffensprozess, die «Zügel nicht aus der Hand» geben?
Ja. In jedem Moment des Entstehens da sein und steuern. Ich habe dann zuerst viel gezeichnet und schnell bemerkt, dass auch das noch nicht die richtige Form ist. Die Zeichnungen waren in einer Art «Schwebezustand», sie waren irgendwie nicht «fertiggedacht». Dann begann ich – zurück zu den Wurzeln –, die Bilder zu sticken. Durch die Stickerei habe ich das Gezeichnete nochmals überprüft und darin die Langsamkeit als Motivation entdeckt. Die Stickereien konnte ich überallhin mitnehmen: in den Zug, an die Kasse im Museum, in dem ich damals arbeitete, um Geld zu verdienen…
Ich erinnere mich aber auch an eine spätere Arbeit mit Spiegeln und Wachshänden in einer eigenen und für dich bis dahin eher untypischen Farbigkeit: Irgendwann war bei dir plötzlich alles – im Gegensatz zu den tonal ähnlich gehaltenen Stickereien schwarz auf weiss – in starke Farben getaucht: Violett und Smaragdgrün, Knallpink und Tulpenrot. Wieso plötzlich Wachs?
Der Knackpunkt war die Einladung von Gianni Jetzer in die Kunsthalle St. Gallen. Das war 2005. Er erteilte mir eine «Carte blanche». Zu dieser Zeit begann ich mich für das Reliefartige der Stickereien zu interessieren. Ich plante, ein riesiges Relief aus Bronze in der Kunstgiesserei St. Gallen herstellen zu lassen. Gianni Jetzer wusste, dass das eine absurde Idee war – aber er fand: okay, klar, mach das –, und vereinbarte einen Termin. Ich fuhr also dorthin und man erklärte mir, wie das Giessen funktioniert. Ganz ehrlich: mir war das alles viel zu viel; eine totale Überforderung. Während des Rundgangs durch die Giesserei entdeckte ich aber etwas: Bevor Bronze in die Form eingegossen wird, erstellt man einen schwarzen Wachsguss. Und ich fand die Flecken, die während dieses Vorgangs entstehen, interessant, begann also daheim, mit Wachs zu malen. Für die Ausstellung in St. Gallen entstand letztlich ein riesiges Wandbild. Aber eben eines aus Wachs. Seither liebe ich das Material.
Im Gegensatz zu dieser Entwicklung zur «entschleunigten Kunst» hast du aber auch begonnen, deine Arbeiten einer Öffentlichkeit zu präsentieren – was deine Karriere wiederum beschleunigte. Wie kam es dazu?
Ich hatte vielleicht acht Stickereien fertig und bewarb mich mit diesen acht Bildern für einen Werkbeitrag in Luzern. Die Ausstellung fand im Kunstmuseum Luzern während zwei Monaten statt – und ich gewann tatsächlich einen Preis. Diese Ausstellung markierte den Beginn einer «Welle». Die Präsenz im Museum war mindestens so wichtig wie der Geldpreis: Viele Leute haben meine Arbeiten gesehen, und das Geld verschaffte mir Zeit und Freiraum. Plötzlich kontaktierten mich gute Galerien, und ich war zuerst überfordert. In diesem Zeitraum lernte ich glücklicherweise meinen zukünftigen Galeristen Jean-Claude Freymond-Guth kennen. Er führte damals gemeinsam mit Andrea Thal den Ausstellungsraum «Les Complices» – und manchmal ging ich abends nach dem Atelier dort vorbei, um einen Gin zu trinken.
«Les Complices» ist ein unabhängiger Kunstraum, der aus der Initiative von Kunstschaffenden heraus entstanden ist. Jean-Claude Freymond-Guth war damals noch Student an der Kunsthochschule, oder?
Ja, er verstand sich selber als Künstler, nicht als Galerist. Und die ganze Sache begann als Witz unter Bekannten. Irgendwann sagte ich zu ihm: «Hey, du wärst ein cooler Galerist. Möchtest du nicht mein Galerist sein?» Er war erstaunt und fragte mich, wie ich auf diese Idee gekommen sei. Ich erklärte ihm, dass ich mir im Moment nicht vorstellen könne, Teil des Programms einer bereits existierenden Galerie zu werden, und dass ich auf der Suche nach etwas anderem sei. Im Geheimen malten wir uns aber aus, wie wir uns eine Galerie zusammen vorstellen. Wir wollten Komplizen sein. Aber: wir wollten keinen fixen Raum mieten, weil dieser mit Kosten verbunden gewesen wäre, die wir gar nicht hätten aufbringen können. Wir wollten, man kann das so sagen, wirklich frei sein von all diesen Zwängen.
Heute befindet sich die Galerie auf dem schicken Löwenbräu-Areal in Zürich, in direkter Nachbarschaft grosser Galerien wie Hauser & Wirth oder Eva Presenhuber. Du und die anderen «Komplizen», ihr seid hier und im Ausland auf Messen präsent – eure Werke werden gut verkauft. Die eben geschilderten Ideen von Freiheit und Ungebundenheit haben sich also nur bedingt umsetzen lassen?
Das Ganze war für uns alle ziemlich surreal. Jean-Claude hatte kein Kapital, ebenso wenig ich oder die anderen Kunstschaffenden wie Elodie Pong, Philip Wiegard, Ingo Giezendanner oder Karin Suter, die zu diesem Zeitpunkt Teil des Galerienprogramms waren. Wir Künstler wollten nichts zu tun haben mit Büroarbeiten und dergleichen, also musste Jean-Claude das übernehmen, sich zudem gegen seine eigene künstlerische Arbeit und für die Galerie entscheiden. Aber es stimmt wohl: Hätte er gewusst, was auf ihn zukommt, hätte er es, glaube ich, nicht gemacht.
Und trotzdem seid ihr euren Weg vom unabhängigen Kunstraum zur Galerie gegangen. Ich erinnere mich an die Anekdote zu eurem ersten Auftritt an der Liste Basel: Für die Miete allein müssen ja mehrere tausend Franken investiert werden, ganz zu schweigen von den Kosten für die Gestaltung des Standes, Transporte und den Aufenthalt vor Ort. Wie konntet ihr euch diese teure Präsenz als neue Galerie finanzieren?
Wir verkauften ein paar meiner Zeichnungen: Damit konnten wir zumindest die Standmiete finanzieren, unseren ersten Auftritt an der Liste. Alles andere lernten wir mit der Zeit: Jean-Claude war weder Galerist mit viel Geld im Rücken noch hatte er Ahnung vom Handel mit Kunst. Wir hatten zwischendurch extreme Stresssituationen – auch aufgrund des Geldes – zu bewältigen. Mehr als einmal wollten wir alles hinschmeissen. Aber Jean-Claude ist ein Kämpfer, der sehr gut vernetzt ist und der trotz enormem Druck, Werke zu verkaufen, dabei nie die Künstler dahinter vergisst. Durch sein engagiertes Auftreten wurde er bald schweizweit bekannt. Da muss man sich keine Illusionen machen – eine Galerie funktioniert über den Galeristen. Und ein guter Galerist verkauft dann auch gut.
Die Soziologin und Autorin von «Seven Days in the Art World», Sarah Thornton, erwähnte in einem Interview, dass sie in New York mehr Namen von Galeristinnen und Galeristen als von Kunstschaffenden kenne: David Zwirner, Barbara Gladstone, James Fuentes… Wie ordnest du für dich und deine Arbeit die Rolle des Galeristen ein?
Die Kunstschaffenden sind für die Arbeiten zentral, aber der Galerist ist das Aushängeschild für beides. Was ich von Anfang an als extreme Stärke wahrgenommen habe, ist Jean-Claudes Art und Weise, wie er über unsere Arbeiten gesprochen hat. Wenn er das tat, war es so, als ob er über seine eigenen Arbeiten sprechen würde. Ich kann ihm bis heute eine Arbeit übergeben und er behandelt alles, was damit zusammenhängt, mit Sorgfalt. Zuerst verband uns eine Freundschaft – und jetzt ist es auch eine Geschäfts-Partnerschaft. Es gibt Streit und harmonische Momente, beides gehört dazu.
Eines der grossen vorherrschenden Missverständnisse im Umgang mit dem Kunstbetrieb besteht noch immer in der Gleichsetzung der Kunstwelt mit dem Kunstmarkt. Denn: nicht jeder Kunstschaffende produziert handelbare «Ware» und nicht alle Kunstschaffenden, die in grossen oder wichtigen Ausstellungen vertreten sind, können von ihrer Kunst leben. Dazu kommt, dass es schwierig ist, Publikum oder Sammler zu einer Auseinandersetzung mit einem Werk zu bewegen, das sich dynamisch verändert, weiterentwickelt. Wie deines. Du hast dich oft neu erfunden – wie geht das Publikum damit um?
Es gibt viele Situationen, in denen jemand die Galerie oder den Ausstellungsraum verlässt, und ich bleibe im Wissen zurück, dass er oder sie nur eine Arbeit gut fand und alle anderen nicht. Ich empfinde das als positiv. Der Betrachter hat etwas gefunden, das ihn berührt.
Er hat aber offenbar auch noch mehr gefunden, das ihn nicht berührt…?
Auch gut. Denn im Gegensatz zu früher, als über die Qualität der gestickten Zeichnungen im Kunstkuchen eher Konsens herrschte, erhalte ich heute auch mehr Kritiken. Positive wie negative. Und diese Rückmeldungen sind für mich sehr wertvoll.
Wieso?
Erst wenn man durch diese Rückmeldungen spürt, dass die eigene Arbeit eine Selbstverständlichkeit hat, kann doch auch eine durchgehende Handschrift in allem erkannt werden. Jean-Claude sagt bis heute: Du könntest sticken und damit viel Geld verdienen, aber du möchtest es dir lieber ein bisschen schwieriger machen. Und er hat recht: Ich brauche diese Herausforderung und ich habe gelernt, mit dem Druck der Erwartungshaltung im Kunstbetrieb besser umzugehen. Meine Arbeit hat sich verändert, ich bin mir treu geblieben.
Du hast hart gearbeitet und Glück gehabt, eine unabdingbare Kombination für ein Leben als Künstlerin. Du lebst heute von deiner Kunst, das war nicht immer so. Und du bist eine der wenigen Künstlerinnen, die ich kenne, die sich zudem für eine Familie entschieden haben.
Stimmt, ich hatte selten in meinem Leben ein regelmässiges Einkommen, das Unstete bin ich gewohnt. Als ich noch keine Familie hatte, lebte ich von der Hand in den Mund. Durch die zwei Kinder entstand dann auch zunächst existentielle Panik. Ich habe aber das Glück, mir die Betreuung mit meinem Partner, der als Architekt selbständig ist, teilen zu können. Wir schätzen an dieser Situation, dass wir viele Freiheiten haben. Manchmal haben wir viel Geld und manchmal haben wir fast kein Geld. Ich habe Respekt vor seiner Arbeit und er vor meiner; und das Wichtigste ist, dass er nicht gleich zittrig wird, wenn die Kasse einmal leer ist. Es würde uns beiden auch «kein Zacken aus der Krone brechen», wenn wir neben unserer eigenen Arbeit irgendwo zusätzliches Geld verdienen müssten.
Bis vor ein paar Jahren war ich überzeugt, dass die Arbeitsteilung, die Organisation der Familie zwischen Arbeits- und Küchentisch, eine Selbstverständlichkeit ist. Leider sind wir aber oft noch weit davon entfernt: Gerade Künstlerinnen stellen ihre Arbeit in den Hintergrund, wenn Kinder da sind. Zu Beginn steht die Idee, sich alles zu teilen: die Betreuung, den Haushalt, die finanziellen Pflichten. Trotzdem herrscht das alte Rollenbild, das sicher auch für Sicherheit und Beständigkeit steht. Ist es einfacher für Künstler, Väter zu werden, als für Künstlerinnen, Mütter?
Ja, das ist es bestimmt. Es hängt zudem von den Prioritäten ab: Was ist wichtiger? Zeit im Atelier oder der Besitz eines Autos? Ich empfinde es als Bereicherung, dass wir zu viert sind und jeder seinen eigenen Alltag hat. Abends trifft man sich und tauscht sich aus. Ich kann es mir nicht anders vorstellen!
Gibt es etwas, was du in den nächsten paar Jahren – vielleicht auch mit deiner Familie zusammen – machen möchtest?
Ganz ehrlich: ich würde gerne mit der Familie für eine längere Zeit ins Ausland gehen. Ich habe Lust, einmal länger mit dem Auto in Amerika herumzureisen; das würde auch den Kindern Spass machen. Und: vielleicht gewinne ich irgendwann einen Kunst-am-Bau-Wettbewerb. Wir träumen am Küchentisch so vor uns hin: Die Kinder wünschen sich während des Essens die unglaublichsten Dinge. Es ist ja nicht so, dass man nicht weiterleben kann, falls diese Träume nicht in Erfüllung gehen. Sie sind ein Extra, wie die Kirsche auf dem Kuchen.
Loredana Sperini ist Künstlerin und lebt mit ihrer Familie in Zürich. Ihre Werke waren in Ausstellungen in der Kunsthalle São Paulo, im Kunsthaus Zürich, der Kunsthalle St. Gallen sowie im migros-museum für gegenwartskunst zu sehen. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem zweimal mit dem Swiss Art Award, Werkbeiträgen der Stadt Zürich sowie einem Atelierstipendium der Landis-und-Gyr-Stiftung.
Nadine Wietlisbach ist Ausstellungsmacherin und freie Mitarbeiterin dieser Zeitschrift. Sie ist Kuratorin am Nidwaldner Museum in Stans und betreibt den unabhängigen Kunstraum sic! in Luzern.