Vorwärtsmachen statt stillstehen
Nach dem Scheitern der jüngsten Reform an der Urne fordern Bürgerliche einen Marschhalt bei der zweiten Säule. Linke wollen sie zu einer zweiten AHV umbauen. Beides ist falsch: Gestärkt werden muss das Fundament der zweiten Säule.
Vergangenen September hat die Schweizer Bevölkerung die Reform der beruflichen Vorsorge abgelehnt – wieder einmal. Die Fachwelt ist verunsichert. Was nun? Der Pensionskassenverband rät zu einem Marschhalt. Der Verein Innovation zweite Säule (IZS) schlägt eine kleine, später ausbaubare Reform vor. Eine Motion der Mitte verlangt Verbesserungen für Teilzeitbeschäftigte.
Die SP und die Gewerkschaften wollen derweil Solidaritätselemente aus der AHV ins BVG einführen, namentlich Erziehungsgutschriften und einen automatischen Teuerungsausgleich auf den Renten. Das ist vielleicht wünschenswert wie so vieles, aber in einem Finanzierungssystem mit Kapitaldeckung der Leistungen nicht ohne neue Umlageelemente, also Umverteilung und damit Verletzung der Grundprinzipien der beruflichen Vorsorge, denkbar. Dieser Einwand wird gerne als dogmatisch belächelt. Dennoch ist er berechtigt.
Damit würde die zweite Säule von ihren Grundlagen weg in Richtung eines Mischsystems geführt – eine nicht nur für Fachleute unerfreuliche Vorstellung. Der Zusammenhang zwischen persönlichem Altersguthaben und Rente würde weiter aufgelöst, die Administration der Pensionskassen nochmals komplizierter – und teurer.
Der Elefant im Raum
Die Minireform gemäss IZS will die wichtigsten und im Grundsatz unbestrittenen Elemente der gescheiterten BVG-21-Reform möglichst schlank und friktionslos umsetzen. Dabei steht der Mindestumwandlungssatz nicht an erster Stelle. Die Chancen für ein solches Vorgehen sind allerdings gering. Ist die parlamentarische Maschinerie einmal in Gang gesetzt, entwickeln Volksvertreter einen Ehrgeiz, der mit begrenzten Gesetzesanpassungen nicht befriedigt werden kann, schon gar nicht im medienwirksamen Bereich der Altersvorsorge.
Der Elefant im Raum ist die gesetzlich festgelegte Höhe des Mindestumwandlungssatzes, eine der schlimmsten Fehlleistungen des Parlaments. Drei Mal ist eine Senkung trotz hoher Dringlichkeit in einer Volksabstimmung gescheitert. Soll ein weiterer Anlauf genommen werden? Bei den Fachverbänden ist man mehr als skeptisch. Einen weiteren Abstimmungskampf dazu will man so bald nicht mehr führen, trotz aller Nachteile, die mit dem viel zu hohen Satz verbunden sind.
Die Branche hat gelernt, mit dem überhöhten gesetzlichen Umwandlungssatz zu leben. Die Kammer der Pensionskassen-Experten, die entschieden gegen die jüngste Reformvorlage kämpfte, hat das wiederholt betont. Unter dem überhöhten Satz leiden die Kassen mit wenig überobligatorischem Kapital. Gemäss Schätzungen sind davon aber nur rund 15 Prozent der Versicherten betroffen. Für alle anderen ist die Höhe des vorgeschriebenen Mindestsatzes praktisch irrelevant, zumindest wenn eine Senkung nur von 6,8 auf 6 Prozent gehen soll. Gemäss einer Swisscanto-Umfrage liegt der durchschnittliche Satz aktuell bei 5,3 Prozent.
Schrittweise Schwächung
Also alles halb so schlimm? «Business as usual» als Maxime für künftige Pensionskassenpolitik? Der Marschhalt, den der Pensionskassenverband empfiehlt, ist nicht die von Gewerkschaften und Linksparteien vorgesehene Strategie. Das haben die von SP-Parlamentariern kurz vor der BVG-Abstimmung eingebrachten Vorstösse im Nationalrat klargemacht.
Der Abstimmungserfolg motiviert die Linke, die AHV auf Kosten der zweiten Säule weiter auszubauen, diese in kleinen Schritten zu verändern und in ihrer Bedeutung für die Gesamtvorsorge zu reduzieren. Es droht keine «Volkspension», sondern eine schrittweise Schwächung der zweiten Säule und Aushöhlung ihres Fundaments, das auf Eigenverantwortung beruht. Es fehlt ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Themas. Geschäftsführer von Pensionskassen sind politisch meist wenig aktiv, ihre Arbeitgeber erwarten politische Zurückhaltung.
«Es droht eine schrittweise Schwächung der zweiten Säule und
Aushöhlung ihres Fundaments, das auf Eigenverantwortung beruht.»
Die zweite Säule wird unterschätzt
Die Gefahr besteht, dass die Exponenten der beruflichen Vorsorge in die Falle eines unproduktiven Abwehrkampfs sowohl gegen die anhaltende und teils perfide Kritik wie auch gegen systemfremde Umbaupläne geraten. Die vordringliche Aufgabe ist deshalb, die vielen Vorteile der Pensionskasse für die Altersvorsorge den Versicherten besser oder überhaupt bewusst zu machen.
Es ist auffallend, dass dies kaum geschieht. Das kann über die einzelne Vorsorgeeinrichtung geschehen, wo die 4 Millionen Versicherten direkt und individuell angesprochen werden können. Mit dem jährlich versandten Versicherungsausausweis ist es nicht getan. Hier besteht eine echte Herausforderung, aber auch eine Chance für die berufliche Vorsorge. Die zweite Säule ist weit besser in der Lage, den Gefahren durch die Überlagerung der Gesellschaft zu begegnen, und bietet den Versicherten mehr als bloss eine standardisierte Grundvorsorge wie die AHV. Aber das muss wohl erst noch in den Köpfen der Versicherten ankommen.