Von Sparwut und Steuergeschenken
In der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Debatte lässt sich ein beunruhigender Trend feststellen: Begriffe werden sinnentleert, suggestiv verwendet oder bezüglich ihres wahren Inhalts umgedeutet. Eine kohärente, wachstumsfreundliche Wirtschaftspolitik kann es jedoch nur bei begrifflicher Klarheit geben. «Unklare Begriffe gehören zu den Torheiten der Zeit», sagte vor mehr als 50 Jahren Wilhelm Röpke, einer der wichtigsten Freiheitsdenker des 20. Jahrhunderts. Sie schaden nicht nur der politischen Auseinandersetzung, sondern auch der Problemlösung. Dies gilt auch heute noch, man denke an Beispiele wie Service Public, Sparwut, Steuergeschenke, Überregulierung oder Rentenklau. Lassen Sie mich an dieser Stelle wenigstens zwei dieser populären Begriffe einer kritischen Prüfung unterziehen.
In der finanzpolitischen Debatte ist namentlich die «Sparwut» ein gängiges und beliebtes Schlagwort. Der Begriff suggeriert, der Staat werde durch Sparmassnahmen finanziell ausgehöhlt. Die Fakten zeigen allerdings ein anderes Bild. Von einer Aushöhlung des Staates kann keine Rede sein, zumindest nicht hierzulande. Die Schweiz hatte zwischen 1990 und 2002 von allen OECD-Ländern die Entwicklung ihrer Staatsausgaben gemessen am Bruttoinlandprodukt am schlechtesten im Griff. Ihre öffentlichen Ausgaben sind in dieser Zeit von 105 auf 168 Mrd. Franken angestiegen, also um 60 Prozent. An der These eines «Staatsabbaus» kann bei einer ernsthaften Untersuchung der Haushaltsentwicklung nicht festgehalten werden. Im Gegenteil: die Schweiz hat die schlechte Gewohnheit angenommen, über ihre Verhältnisse zu leben. Dies hat zu einer noch nie dagewesenen Aufblähung der Staatsverschuldung beigetragen, die zwischen 1990 und 2002 von 98 auf 235 Mrd. Franken angestiegen ist. Praktisch kein anderes Land der OECD hat eine solche Zunahme erlebt. Gleichzeitig verzeichnete die Schweiz einen rekordhohen Anstieg der Fiskalquote.
Private sparen, wenn sie verfügbare Mittel nicht ausgeben. Politik und Verwaltung haben demgegenüber eine etwas andere Auffassung vom Sparen: Einsparungen sind etwa für die Eidgenössische Finanzverwaltung jene Massnahmen, die «geeignet sind, die Ausgaben unter die Werte des Finanzplans zu drücken».
Damit die Schweiz aus der Negativspirale wieder herausfindet, in die sie geraten ist, braucht es kollektive Anstrengungen, um eine substantielle Entlastung des Budgets und eine Stärkung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu ermöglichen. Die vom Volk mit grosser Mehrheit angenommene Schuldenbremse zwingt zu einem mittelfristig ausgeglichenen Staatshaushalt. Mit dem gegenwärtigen Entlastungsprogramm scheint die Schweiz auf dem richtigen Weg. Einsparungen sind notwendig. Aber nicht kopflos, wieder Begriff der Sparwut suggeriert, sondern angemessen und dort, wo volkswirtschaftlich vertretbar. Dies bedeutet, dass der Rotstift primär bei Subventionen und anderen konsumseitigen Ausgaben und nicht bei Investitionen, etwa im Bildungsbereich, angesetzt werden sollte.
Nur, wer heute für eine Beseitigung der wirtschaftlichen Doppelbelastung im Bereich der Unternehmenssteuer oder generell für steuerliche Entlastungen einsteht, wird umgehend beschuldigt, «Steuergeschenke an Reiche» verteilen zu wollen. Dass der Begriff des Steuergeschenks von linker Seite immer wiede r instrumentalisiert wird, ist eines. Befremdend mutet aber an, wenn selbst liberale Politiker diesen Begriff unbedacht übernehmen. Wer steuerliche Entlastungen als Geschenke bezeichnet, impliziert, dass der Staat ein unbeschränktes Recht auf das Eigentum seiner Bürger habe. In diesem Fall wäre es um den – an sich verfassungsrechtlich geschützten – Eigentumsbegriff schlecht bestellt.
Um es auf den Punkt zu bringen: schenken kann man nur, was einem gehört. Doch die Steuern «gehören» dem Staat nicht. Vielmehr ist es so, dass der Bürger dem Staat einen Teil seiner Einkünfte überlässt, damit dieser im gemeinsamen Interesse öffentliche Aufgaben wahrnehmen kann. Folglich wird dem Individuum nichts geschenkt, wenn der Staat auf Steuerforderungen verzichtet. Der Staat hat das Privateigentum seiner Bürger als fundamentale Einrichtung seiner Rechtsordnung zu schützen. Gemäss liberalem Verständnis heisst das nichts anderes, als dass der Staat darauf zu achten hat, die Steuern tief zu halten und die ihm zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effi-zient einzusetzen. Wer also eine Senkung der Fiskalquote als Steuergeschenk auffasst, hat wahrlich eine seltsame Auffassung vom freiheitlichen Staatswesen.