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Von Fischern, Fischen und Ködern

Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Werbetreibende an unserer kleinen Strasse wohnen. Aber es müssen viele sein. Denn nur für sie kann die Botschaft bestimmt sein, die uns von der Hausfassade der Dorfbeiz im Riesenformat herunter zuruft: «Sorry, Venus, Brands fahren auf unsere Plakate, nicht auf Kurven ab.» Wie bitte? Dem halbwegs kunstgeschichtlich Versierten […]

Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Werbetreibende an unserer kleinen Strasse wohnen. Aber es müssen viele sein. Denn nur für sie kann die Botschaft bestimmt sein, die uns von der Hausfassade der Dorfbeiz im Riesenformat herunter zuruft: «Sorry, Venus, Brands fahren auf unsere Plakate, nicht auf Kurven ab.»

Wie bitte? Dem halbwegs kunstgeschichtlich Versierten mag Botticellis «Geburt der Venus», als Hintergrund des Plakats allerdings brutal verunstaltet, ja noch bekannt sein. Aber Brands? Wo brennt’s denn bitte? Ach so: Ein Brand ist laut Wörterbuch auch eine Marke, ein Markenname oder -zeichen. Brands wollen also nicht kurvenfahren, sondern aufs Plakat. Ohne Venus. Schade.

Aber wahrscheinlich hat sich der Plakatkleber ja einfach getäuscht. Er hätte das Plakat wohl an irgendeiner Geschäftsmeile aufhängen sollen, wo es als chic gilt, sich in coolem Businessenglisch zu unterhalten. Sollten sich seine Auftraggeber aber nicht getäuscht und ganz genau gewusst haben, dass an diesem Plakat kaum je ein Mensch aus der Werbebranche vorbeikommt, dann wird’s erst richtig unheimlich. Dann wären die Urheber dieses Plakats ja davon ausgegangen, dass ihr denglisches Fachchinesisch uns allen ohne jeden Zweifel geläufig sein müsse.

Irrtum! Uns interessiert weder derlei narzisstische Nabelschau noch eine Werbung, die mit englischen Phrasen und Modewörtern überladen daherkommt. Die überdies von der Mehrheit der Betrachter nicht einmal verstanden wird. Zum Beispiel in der Autowerbung: «Move your mind», «Find new roads» (in schrecklichem Midwest-Genuschel) oder gar «Shift expectations» – Slogans, pardon: Claims, die laut einer Studie der Kölner Agentur Endmark höchstens ein Viertel der deutschsprachigen Bevölkerung versteht! «Come in and find out» wird da schnell zu «Komm rein und finde wieder raus». Vor lauter Weltläufigkeit wird also das Publikum vergessen: Typischer Fall eines Köders, der dem Fischer schmeckt. Nicht aber den Fischen.

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