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Von der Untertänigkeit

Wer sich zu tief vor andern verneigt, beschämt sie – und damit letztlich sich selbst. Die Unterwürfigkeit lauert auch in Zeiten der Gleichheit überall. Eine Analyse des Kampfes um Anerkennung mit dem Mittel der Selbstabwertung.

Sie neigen das Haupt, krümmen den Rücken, werfen sich zu Boden. Der Stolz des aufrechten Gangs ist ihnen fremd, dem direkten Blick weichen sie aus. Einige ziehen sich in sich selbst zurück, als wollten sie sich selbst verkleinern. Andere falten die Hände, buhlen um Gunst oder bitten um Gnade. Sie umschmeicheln ihr Idol und hängen begierig an seinen Lippen, damit ihnen kein Wort entgehe. Dritte wiederum huschen verschreckt durch die heiligen Hallen, um vor dem Götzenthron auf die Knie zu fallen. Sie scheinen auf der Flucht, und haben sich doch längst ihrem Schicksal ergeben.

Es gibt Menschen, die erstarren förmlich in Gegenwart ihres Herrn. Der Körper streckt sich in die Länge, unhörbar schlagen die Hacken zusammen, die Hände pressen sich an die Hosennaht. Regungslos empfangen sie den Befehl und führen ihn prompt aus, in der Hoffnung auf ein lobendes Wort. Unterwürfigkeit durchdringt den Körper, formt Haltungen und Gebärden. Wie einer geht und spricht, wie er sich dreht und windet, wie er sich räuspert und wie er spuckt, am Ausdruck des Körpers ist die innere Verfassung des Untertanen unschwer zu erkennen.

Keineswegs ist Unterwürfigkeit ein historisches Relikt. Auch in Zeiten der Gleichheit ist der Ungeist des Domestiken nicht ausgestorben. Man findet die Duckmäuser und Speichellecker in Kasernen und Kliniken, in Kirchen und Moscheen, in literarischen Zirkeln, politischen Parteien, Firmen, Behörden und Universitäten, auf allen Etagen gleichermassen. Wo immer Menschen vor einem Ranghöheren gehorsamst buckeln, ihn um Gunstbeweise anbetteln, prompt Befehle ausführen, die gar nicht erteilt wurden, sich innerlich verbeugen oder wegducken, da regieren Servilität und Selbstverachtung.

Auch aus den Stätten der Arbeit ist die Untertänigkeit keineswegs verschwunden. Untergebene kuschen vor ihren Vorgesetzten, Hilfskräfte verhalten sich wie Diener ihres Herrn. Mit Bücklingen suchen Verkäufer den König des Massenkonsums zu umgarnen. Nicht wenige Chefs erwarten persönliche Treue von Assistenten und Sekretären. Häufig wird die Zuarbeit von einer Geste der Subalternität begleitet. Die Erledigung der Aufgabe gilt zugleich als Dienst an der Hierarchie.

Gehorsam zeigt der Unterwürfige weniger gegenüber dem Gesetz als gegenüber einer Person. Anders als der Pedant, der sich allein an den Buchstaben der Vorschrift hält, anders auch als der Konformist, der sich umgehend die herrschende Meinung zu eigen macht, lugt der Kriecher zu einem Individuum empor. Die Autorität geniesst höchste Achtung, sei es aufgrund ihres Amtes, ihrer seltenen Fähigkeiten, ihrer Mission oder Machtfülle, ihrer wilden Entschlossenheit oder ihres verhexenden Charismas. Manchmal ist es auch nur schiere Grausamkeit, die den Unterstellten auf die Knie zwingt. Doch wird seine Angst oft überlagert von Faszination, vom innigen Wunsch nach Teilhabe. Im Bösen wie im Guten ist es die souveräne Willkür der Person, die den Untertan beeindruckt, die Unwägbarkeit eines höheren Willens, der sich sein eigenes Gesetz zu geben scheint. Von ihr ersehnt er Obhut, Anerkennung, Gnade.

Ob das Idol real ist oder fiktiv, immer scheint es der Normalität ein Stück weit entrückt. Unnahbar steht es über dem Unterworfenen. Es ist, als gehörte es einer anderen Seinsregion an, und manchmal ist es so weit entfernt, dass es weder hörbar noch sichtbar ist. Aber das Schweigen beweist nur seine Allgegenwart. In der Vorstellung erstrahlt seine Aura umso heller. Es ist die Einbildungskraft, die das innere Götzenbild errichtet. Sie nährt die Phantasie von übermenschlicher Potenz. Würde man dem Halbgott nur einmal direkt ins Gesicht sehen und ihn als Wesen aus Fleisch und Blut erkennen, würde das Phantasma sofort zerplatzen.

Kriecherei speist sich weniger aus Furcht als aus Sehnsucht. Wer sich nur ängstigt, der geht dem Herrn aus dem Weg und umschmeichelt ihn nicht. Die waffenlose Macht des Idols indes beruht auf dem Wunsch, beachtet, umhegt, gelobt, begünstigt zu werden. Der Unterwürfige hebt die Autorität in den Himmel, um von ihr überall gesehen zu werden. Er will von demjenigen, den er besonders achtet, besonders geachtet werden. Die kleinste Missbilligung stürzt ihn in tiefe Verzweiflung. Er leidet an jedem Augenblick, da er nicht beachtet wird, und er frohlockt schon bei einem gütigen Kopfnicken oder einer winzigen Belobigung, die lediglich in seiner Einbildung existiert und doch für ihn die ganze Welt bedeutet.

Unterwürfigkeit ist eine Machtquelle eigener Art. Der Untertan legt seinen Nacken selbst unter das Joch. Das Gefühl eigener Nichtigkeit treibt ihn geradewegs in die Fänge der Macht. Herrschaft beruht häufig auf nichts anderem als auf der Sehnsucht nach Zuneigung. Viele Herren haben keine andere Gewalt als die, die man ihnen gibt. Nichts haben sie in der Hand als den Glauben devoter Knechte. Nicht durch Kraft und Visionen betören sie ihre Anhänger und Gefolgsleute. Jene sind verhext vom leeren Versprechen der Fürsorge, Geltung und Geborgenheit. Als armselige Tröpfe fühlen sie sich ohne die Gunst ihres Herrn. Er allein verleiht ihrem Leben Richtung und Sinn. Auf die Knute kann er fast ganz verzichten. Dass einer Sklave ist, liegt daher nicht selten an seinem eigenen Willen. Hörigkeit ist nicht nur das Unrecht der Herren, welche Menschen zu Sklaven machen, sondern auch das Unrecht der Unterjochten an sich selbst. Feigheit, Trägheit und Torheit locken sie in die freiwillige Knechtschaft.

Tief ist die innere Verstrickung des Unterwürfigen in das Verhältnis zur Macht. Er tut nicht nur, was ihm aufgetragen wird, er schmiegt seine Einstellung den Werten an, die das Idol zu verkörpern scheint. Er sieht sich mit dessen Augen, unterstellt sich dessen Urteil, übernimmt dessen Massstäbe. Er entschlägt sich seiner eigenen Urteilskraft und seines eigenen Willens. Nur der Herr kann ihn aufrichten und ihm Selbstbewusstsein verschaffen. Nur das Urteil der Autorität kann ihn erhöhen oder erniedrigen. Vor die Wahl gestellt, frei oder untertan zu sein, lässt er die Freiheit und befolgt den Befehl. Nicht weil er das Gesetz achtet oder die Bajonette fürchtet, unterwirft er sich, sondern aus Anerkennungssucht und feiger Gewöhnung.

Gegenüber dem Idol wertet sich der Unterwürfige radikal ab. Er fühlt sich klein, unfähig, schwach, hässlich, nichtswürdig. Keinesfalls will er sich selbst gehören. Er demütigt sich, und er verachtet sich dafür. Immer weiter treibt es ihn die Spirale der Selbstverachtung hinab. Grenzenlos scheint die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu erniedrigen und sich für leere Illusionen und nichtige Vorteile quälen zu lassen. Rasch sind die Knie wund von der elenden Kriecherei, und dennoch will er weiter abhängig sein, um beschützt zu werden. Er will gehorchen bis zur Selbstauslöschung.

Die Selbstentwertung ist nicht das Ergebnis eines sozialen Vergleichs. Es ist nicht so, dass der Unterwürfige sich zuerst an dem anderen misst, um sich sodann einen minderen Rang zuzuerkennen. Es verhält sich vielmehr umgekehrt. Weil er sich unfähig und unwürdig fühlt, sucht er sich ein Idol der Anbetung und erfindet den Thron, auf den er seinen Götzen setzt. Nie und nimmer käme er auf den Gedanken, sich mit dem Herrn zu messen. Schon der Vergleich käme ihm als pure Anmassung vor.

Die Selbstverachtung hat eine eigene Geschichte. Anfangs erniedrigt sich der Untertan, um erhört und erhöht zu werden. Er betet und dient, um aufgenommen zu werden in den Kreis der Auserwählten. Er schuftet sich ab, will etwas zählen, etwas gelten. Damit vom Ruhm des Herrn etwas für ihn abfällt, sucht er dessen Nähe, zuerst unauffällig, dann drängelt er sich immer dreister nach vorn, wirbt zumindest um die Gunst der Günstlinge, wenn die Wege zum Thron versperrt sind. Doch dann die Katastrophe: eine unwirsche Geste, eine abfällige Handbewegung stösst ihn ins Nichts zurück. Die Mühsal von Monaten war vergebens. Er versucht es erneut, doch je mehr er sich anstrengt, desto mehr verfestigt sich die Unterwürfigkeit zu einem physischen Habitus. Misserfolge potenzieren seine Bemühungen, bis endlich aller Stolz dahin ist. Unmöglich kann er von der Hoffnung lassen, irgendwann, in ferner Zukunft, einmal erhört oder zumindest wahrgenommen zu werden.

Hat sich die Unterwürfigkeit zum Charakter kristallisiert, löst sie sich von ihrem ursprünglichen Anlass. Die Bindung an eine einzelne Person wird übertragen auf eine Institution, welche die Respektsperson repräsentiert: die Kirche, den Staat, das Militär, die Behörde. Nach und nach übernimmt die Gewohnheit das Kommando. Die Gesten der Kriecherei verselbständigen sich, Muskeln und Nerven agieren wie von selbst. Kaum betritt er die soziale Bühne, schlägt sich der Blick nieder, neigt sich der Rumpf. Der Untertan lächelt freundlich, um sich keine Blösse zu geben, pflichtet sofort jeder Meinung bei. Vor jedem Staatsbeamten kuscht er, jedem Würdenträger leckt er schweifwedelnd die Hand, vor jedem Uniformierten zeigt er tiefe Ehrerbietung. Einen Fremden begrüsst er mit Bücklingen, und wenn er auf einen anderen Kriecher trifft, suchen sie sich gegenseitig im Respekt zu übertreffen. Einander in höherer Stellung vermutend, katzbuckeln sie voreinander, bis das Ballett der Selbstverleugnung sie gänzlich erschöpft hat.

Von Demut ist die Kriecherei deutlich abgegrenzt. Der Unterwürfige verachtet sich selbst und stellt andere über sich. Er verkennt, was er ist, während der Demütige anerkennt, was er alles nicht ist. Demut ist das Bewusstsein eigener Grenzen. Es ist die Tugend des Menschen, der weiss, dass er kein Gott ist. Demut widersteht der Eitelkeit und Geltungsgier, sie gehorcht dem Selbstzweifel, aber sie betreibt keine Selbsterniedrigung. Demut lehrt, dass man sich mit sich selbst nicht zufrieden geben soll. Die Selbstverachtung des Unterwürfigen hingegen spiegelt vor, man sei mit weniger als sich selbst zufrieden. Der Demütige weiss um die Kreatürlichkeit des Menschen, weiss, dass er nicht aus eigenem Willen erschaffen wurde, dass allenfalls sein Tod in seiner Macht liegt. Er muss sich nicht unterwerfen, die Kutte ablegen und sich mit dem Strick um den Hals vor das Volk führen lassen. Abgeklärte Demut glaubt nicht an sich, aber ebensowenig glaubt sie an andere, am wenigsten an die gute Natur des Gattungswesens. Elend, schwach, gewalttätig ist der Mensch. Wie nur kann man auf den Gedanken verfallen, ein Gott habe dies wollen können? An den Menschen als Ebenbild eines göttlichen Kreators zu glauben ist, bei Lichte besehen, nichts als Hochmut. So führt die Demut, die aus der Religion kommt, geradewegs zum Atheismus.

Unterwürfigkeit scheint eine Torheit der Selbstlosigkeit zu sein, eine Unsitte, die niemandem schadet, sondern nur das Idealbild der Standhaftigkeit befleckt. Doch ganz so harmlos ist diese Haltung nicht. Der Unterwürfige verletzt die Pflicht gegen sich selbst. Er verschleudert seine Freiheit und missachtet sich als Subjekt eigenen Willens, Handelns und Denkens. Nicht aus Ironie, Zweifel oder Einsicht setzt er sich hinter seinen Wert zurück, sondern aus der Sehnsucht nach Beachtung und Bedeutung. Er pflegt seine hündische Existenz, nicht weil er den Unbilden des Schicksals zu entgehen oder fremder Übermacht auszuweichen sucht, sondern weil er von ihr erhöht werden möchte. Das Winseln und Schmeicheln, das Hinknien und Hinwerfen zur Erde, die blinde Verehrung irdischer oder himmlischer Bilder, Figuren und Ideen ist der Menschenwürde zuwider. In solchen Gesten regiert nicht der Geist über den Körper, sondern der Impuls zur Erniedrigung. Längst hält der Affekt das Amt des Willens besetzt.

Dem Unterwürfigen fehlt jede Glaubwürdigkeit. Auf der Suche nach Gunsterweisen sind ihm viele Mittel recht. Er preist seinen Herrn mit Lobreden, überschüttet ihn mit Beifall, wiederholt getreulich jedes Wort, nicht ohne Seitenblick, ob jener dies auch bemerkt. Diese Huldigung ist ein Widerspruch in sich. Sie ist eine Anmassung, die dem Kriecher gar nicht zukommt. Welchen Wert hat das Lob aus dem Munde des Knechts, der durch devote Gebärden fortwährend bekundet, dass er nichts zählt? Will er den Herrn insgeheim dazu verführen, ihn aufzuwerten, damit seine Lobhudelei überhaupt Wert gewinnt? Nur zu gern möchte sich der Herr in Lob und Glorie sonnen. Doch dürfen die Lobhudeleien keinesfalls von einem Heuchler oder devoten Nichtsnutz stammen. Nur dem Eitlen schmeichelt das leere Kompliment. Der beflissene Laudator indes hat es darauf abgesehen, sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Er lobt, um selbst gelobt zu werden. Und er gibt sich besonders bescheiden, um nochmals belobigt zu werden.

Uneigennützig ist die Servilität ohnehin nicht. Wer um Anerkennung buhlt, erstrebt Gunst vor Dritten. Er will nicht nur respektiert, er will bevorzugt werden. Alle anderen sollen auf die Ränge verbannt werden. Der Unterwürfige will einen Logenplatz an der Seite der Macht, an der Tafel der Götter und Könige. Liegt der Kriecherei nicht eine heimliche Rivalität zugrunde, eine Konkurrenz des Zweiten gegen Dritte um die Liebe des Ersten?

Unterwürfigkeit ist die Fortsetzung des Kampfs um Anerkennung mit dem Mittel der Selbstabwertung. Mit Geltungssucht ist dies ebenso vereinbar wie mit der Aggressivität der Konkurrenz. Nicht umsonst grassiert unter den Untertanen ein Hass gegen Günstlinge. Er entspringt der Sehnsucht nach eigener Begünstigung. Die Enttäuschung über versagte Beachtung tröstet sich durch die Verachtung derer, die Anerkennung erlangt haben. Der Untertan verweigert seinem Rivalen den Respekt, weil er ihm nicht nehmen kann, was ihm den Respekt aller übrigen verschafft hat. Er beneidet und verwünscht ihn. Wut packt ihn, wenn er den anderen an sich vorüberziehen sieht. Noch die kleinste Niederlage verstärkt die Geringschätzung, mit der er sich selbst herabwürdigt. Ein tiefer Stachel sitzt dem Untertan im Fleisch. Er stammt von all den Befehlen, die er auszuführen hatte, von den enttäuschten Hoffnungen, vom Glück der Günstlinge. Auch wenn er heimlich über seinen Herrn lästert, sich über dessen Eigenheiten mokiert und ihn nachäfft, niemals würde er seine Wut direkt gegen die Macht richten. Keinesfalls würde er aufzubegehren wagen, vor seinem Gott den Blick heben, seinem Herrn frech ins Gesicht lachen. Dafür hält er sich durch Angriffe auf Schwache und Wehrlose schadlos. Der Missmut über seine subalterne Stellung, die Enttäuschung über die eigenen Misserfolge, der Groll über die Bevorzugung anderer, sie machen sich Luft in Schadenfreude und übler Nachrede. Der unterwürfige Charakter freut sich, wenn es anderen noch übler ergeht als ihm selbst. Fremde Niederlagen erzählt er sofort weiter. Von den Rivalen weiss er nur Schlechtes zu berichten. Mit dem scheelen Blick des Ressentiments sieht er die Welt und ist bass erstaunt, dass niemand ihn bemerkt. Der Wurm krümmt sich, um sich klein zu machen. Aber wer sich freiwillig zum Wurm macht, kann nicht darüber klagen, wenn er mit Füssen getreten wird.

WOLFGANG SOFSKY, geboren 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. 2007 erschien von ihm bei Beck «Verteidigung des Privaten».

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