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Von der «Rule of Law» zur «Rule of Suspicion»

Vorschriften gegen Diskriminierung zeitigen mitunter ge-radezu groteske Wirkungen; immer wieder beschneiden sie aber auch die Vertragsfreiheit des Bürgers in einer Art und Weise, die weit über das Ziel hinausschiesst und zuletzt die freiheitliche Grundordnung schlechthin unterläuft.

Die USA gelten als Paradies bürgerlicher und unternehmerischer Freiheiten, in mancher Hinsicht leiden sie aber an kafkaesker Regulierung politisch korrektester Art. Ein Beispiel: Brad Richman war Verwalter eines Wohnkomplexes in einem Stadtteil Philadelphias, wo überwiegend russischstämmige, orthodoxe Juden leben. Ein freiwerdendes Appartement annoncierte er im «Jewish Exponent», Philadelphias grösster jüdischer Zeitung. Er schrieb im Anzeigentext, dass die Wohnung ganz in der Nähe der örtlichen Synagoge liege – für orthodoxe Juden, die am Sabbat nicht Auto fahren, ein realer Vorteil. Richman hatte allerdings nicht mit der Antidiskriminierungspolizei und ihren Spitzeln gerechnet.

Ein Mann, der offenbar systematisch Mietanzeigen auf «diskriminierende» Formulierungen durchforstete, schickte eine Beschwerde an die Philadelphia Human Rights Commission. Der Hinweis auf die Nähe zur Synagoge verstosse gegen die «Fair Housing Act», da er ganz offensichtlich eine Präferenz für jüdische Mieter, bzw. für Weisse, ausdrücke. Richman wurde von der Behörde mit einem Verfahren wegen Diskriminierung bedroht. Das Verfahren endete mit einem faulen Vergleich: der Denunziant, selbst ohne jedes Interesse an der Wohnung, bekam eine nicht unerhebliche Summe und zog darauf seine Klage zurück.

Der Fall Richman illustriert den Irrsinn einer staatlich verordneten Antidiskriminierungsmanie, die vonden USA ausging und nun auch nach Europa schwappt. Die Geschichte liegt bereits zwei Jahrzehnte zurück. Seither treibt der regierungsamtliche Versuch, jegliche Diskriminierung aus privatem Geschäftsgebaren auszumerzen, immer skurrilere Blüten.

Man sollte meinen, ein Hausbesitzer sei frei, seine Wohnung an wen auch immer zu vermieten. Er könnte sie sogar unvermietet lassen, wenn ihm kein Interessent zusagt. Doch weit gefehlt! Im Namen einer unerbittlichen Verfolgung tatsächlicher oder angeblicher Diskriminierung wird dem Eigentümer das Verfügungsrecht über sein Eigentum zumindest in Teilen entrissen.

Mittlerweile stellen die Auswüch-se der Antidiskriminierungspolitik eine ernsthafte Bedrohung für die Grundrechte dar, argumentiert David E. Bernstein in seinem Buch «You can’t say that! The growing threat to civil liberties from antidiscrimination laws» (Cato Institute, 2003). Bernstein, Rechtsprofessor an der Rechtsfakultät der George Mason-Universität, hat Dutzende von Fällen einer Antidiskriminierungsjustiz untersucht, die nicht nur die Vertragsfreiheit der Bürger beschneidet. Letztlich sind alle Grundfreiheiten betroffen: Sprache an Hochschulen und in Betrieben wird zensiert, politische Betätigung bestraft, schliesslich gar die Freiheit der Kunst mit politisch korrekter Elle gemessen.

Prozesse wegen Diskriminierung im Arbeitsleben ziehen oft Schadensersatzforderungen in sechsstelliger Dollarhöhe nach sich. Oftmals sind Klagen rein ideo-logisch motiviert oder dienen privaten Rachegelüsten. Unternehmer müssen auf der Hut sein vor missgünstigen Angestellten, Vermieter vor abgewiesenen Interessenten, Hochschulen vor gescheiterten Studenten, Vereine und Kirchen vor politischen Gegnern. Gerade weil «Diskriminierung» eine so schwammige Kategorie darstellt, ist sie eine ideale Waffe im Kampf gegen missliebige Personen.

In Europa droht eine ähnliche Entwicklung. Die EU-Kommission, einschlägig bekannt durch ihre Richtlinie zu den Unisex-Tarifen für Versicherer, hat die Mitgliedstaaten angewiesen, privatrechtliche Antidiskriminierungsgesetze (ADG) zu erlassen. Mit neudeutscher Gründlichkeit ist die Berliner rot-grüne Koalition ans Werk gegangen und hat Ende 2004, nach mehreren gescheiterten Anläufen, auf 136 Seiten ein denkbar scharfes ADG vorgelegt, das weit über die Vorgaben aus Brüssel hinausgeht. Man strebe «keine Erziehungsdiktatur» an, versicherte der grüne Spitzenpolitiker Volker Beck, doch genau darauf laufen seine Pläne hinaus.

Wesentliches Element der bundesdeutschen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz. Artikel 3 des Grundgesetzes bezieht sich aber auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat und dessen Organen – hier darf niemand bevorzugt oder benachteiligt werden. Im privaten oder geschäftlichen Umgang der Bürger galt bislang im Rahmen der guten Sitten die Vertragsfreiheit. Diese wird nun abgeschafft und durch einen Kontrahierungszwang ersetzt. Mit dem ADG massen sich Staat und Gleichstellungswächter gefährliche Kompetenzen an. Die «rule of law» verkommt zur «rule of suspicion», wenn der Staat über Handlungsmotive, nicht Handlungen, einzelner Bürger urteilt. Die Väter des Grundgesetzes hatten ganz anderes im Sinn. Nach ihrer Überzeugung waren die Grundrechte als Schutzmauer, als Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliche Übergriffe gedacht.

Diesen freiheitlichen Geist der Verfassung verbiegen die Tugendgebote der Antidiskriminierung, der Gleichmacherei und Brüderlichkeit. «Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung» will das deutsche Gesetz unterbinden. Zu diesem Zweck scheut sich Rot-Grün nicht, einen Grundpfeiler der liberalen Rechtsordnung anzusägen: die Unschuldsvermutung. Künftig soll für vermutete Diskriminierer eine Beweislastumkehr gelten (im rot-grünen Neusprech heisst es «verschobene Beweislast» und «gesteigerte Darlegungspflicht»). Schon «glaubhafte Hinweise» genügen, dann muss der Beschuldigte seine Unschuld beweisen. Weiter sollen auch Klagen von Nichtbetroffenen zugelassen sein, was zu einer wahren Prozessflut führen wird, wenn auch interessierte Dritte, selbst ohne Auftrag der angeblich Diskriminierten, vor Gericht ziehen könnten.

Wirtschaftsvertreter haben mit heftigem Widerspruch auf den rot-grünen Entwurf zum ADG reagiert: Von «Sprengstoff für die Wirtschaftsordnung» sprach Arbeitgeberpräsident Hundt, IHK-Präsident Ludwig Georg Braun warnte vor «unkalkulierbaren Risiken für den Mittelstand». Die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) beklagte ein «bürokratisches Monster». Es drohe ein «Minenfeld für Unternehmer», so der Bund Junge Unternehmer, wenn künftig Ämter und Gerichte jeden Vertrag auf Diskriminierungen durchleuchten. Auch beim Verband «Haus und Grund» schrillten die Alarmglocken, denn Vermieter wären vom ADG besonders hart betroffen. Allerdings, so grosszügig ist Rot-Grün, soll es für den «Nahbereich», etwa bei Einliegerwohnungen, Ausnahmen vom Antidiskriminierungszwang geben.

Ökonomen mögen einwenden, dass doch alles wirtschaftliche Handeln zwangsläufig «Diskriminierung» (lat.: «Unterscheidung») beinhalte. Nachfrager prüfen Waren und Dienstleistungen auf deren Qualität, Anbieter unterscheiden nach der Bonität und Verlässlichkeit potentieller Vertragspartner. Milton Friedman hat einmal mit Blick auf die Emanzipation der Juden und anderer Minderheiten im Kapitalismus argumentiert, der Markt sei «farbenblind»: Wo es freien Wettbewerb gibt, zählt nur die Leistung allein. «Niemand, der auf den Markt geht, um Brot zu kaufen, weiss oder kümmert sich darum, ob ein Jude, Katholik, Protestant, Muslim oder Atheist, ob ein Weisser oder ein Schwarzer das Getreide angebaut hat.» Wenn aber ein Müller persönlichem Vorurteile folge und daher systematisch nicht beim billigsten und besten Anbieter kaufe, dann nehme er einen Wettbewerbsnachteil in Kauf, der ihn selber schädige und langfristig gar vom Markt fegen könne. Jeder, so Friedman, könne irrationale Vorurteile haben. Der Markt selbst straft dafür.

In den USA richtet sich der Antidiskriminierungswahn zunehmend gegen diejenigen, die vermeintlich von ihm profitieren. So führt Bernstein Fälle von Einwanderern an, deren Firmen mit Verfahren überzogen wurden, weil sie hauptsächlich Mitarbeiter der eigenen ethnischen Gruppe beschäftigten. Der polnische Gartenbrunnenbauer Ted Grezeskiewicz wurde gleich wie der koreanische Hauswartvermittler Andrew Hwang aus Chicago von Schergen der Equal Employment Opportunity Commission vor den Kadi gezerrt und durch Prozesskosten und Schadensersatzpflichten ruiniert. Ihr Vergehen: beide hatten einige Dutzend Arbeiter aus der (ethnisch geprägten) Bekanntschaft geworben und nicht durch teure, «nichtdiskriminierende» Stellenanzeigen in der Zeitung rekrutiert.

Philip Plickert, geboren 1979, studierte Ökonomie an der Universität München und an der London School of Economics. Momentan doktoriert er an der Universität Tübingen.

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