Von der Forschung zur Wertschöpfung
Will die Schweiz als Wirtschaftsstandort attraktiv bleiben, muss sie noch bessere Bedingungen für die Forschung und Innovation schaffen – und insbesondere den Zugang zu hochqualifizierten Mitarbeitern sicherstellen. Darin liegt unsere einzige Chance für die Zukunft.
Noch ist die Schweiz ganz vorne mit dabei. Regelmässig belegt sie einen Spitzenplatz in den Ranglisten zu exzellenten Forschungspublikationen, der Dichte an Patentanmeldungen, der geschaffenen Wertschöpfung. Das kleine Land im Herzen Europas ist ein Schwergewicht im internationalen Innovationswettkampf.
Doch das Spiel wird härter. Schon immer kämpfte die Schweiz mit den USA, den Niederlanden oder den skandinavischen Staaten um die besten Forscher und die innovativsten Unternehmen verschiedener Branchen. Inzwischen sind Südkorea und Israel, Indien und China hinzugekommen. Wir leben in einer Zeit der Hyperinternationalisierung, der Spezialisierung und der kreativen Zerstörung. Wird die Schweiz es schaffen, auch in zehn Jahren noch zu den innovativsten Ländern der Welt zu gehören?
Unsere Untersuchungen am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen zeigen, dass die Schweiz intakte Chancen hat. Allerdings nur, wenn sie es versteht, attraktiv zu bleiben für die Forschungsstandorte der internationalen Innovationschampions wie Google, IBM, Nestlé und ABB. Diese stellen dem Innovationsstandort Schweiz nach unseren Befragungen insgesamt gute Noten aus. Sie orten aber auch Verbesserungspotential, insbesondere beim Zugang zu hochqualifizierten Mitarbeitern. Der Reihe nach.
Bedingungen der Hyperinternationalisierung
Entscheidend für die Innovationsleistung eines Landes ist nicht nur die Qualität der akademischen Forschung. Der wichtigste Treiber der Innovation waren in der Schweiz stets die privatwirtschaftlichen Unternehmen. Sie zeichnen für mehr als 70 Prozent der Forschung und Entwicklung (F&E) im Land verantwortlich, und sie sind es, welche die Früchte der Forschungsarbeit letztlich in tatsächliche Wertschöpfung umsetzen und attraktive Arbeitsplätze anbieten. Für die Innovationsleistung der Schweiz ist es entsprechend essenziell, dass sich die Forschungsabteilungen privatwirtschaftlicher Unternehmen hier niederlassen. Sie davon zu überzeugen, ist derzeit anspruchsvoller als je zuvor.
Unternehmen bewegen sich heute in einem stark globalisierten Umfeld. Sie siedeln ihre verschiedenen Forschungsteams über die ganze Welt verteilt jeweils an den Orten an, wo sie die für ihre spezifische Forschung besten Bedingungen für die kreativen Talente vorfinden. Hierzu gehören gute Lebensqualität, exzellente Infrastruktur und wissenschaftliche Leuchttürme. Wissen, Kapital und letztlich Wertschöpfung konzentrieren sich zunehmend an einigen wenigen sogenannten Hotspots der Innovation. Diese Clusterbildung ist kein neuer Trend. Er hat sich aber in den letzten Jahren akzentuiert. Das zeigt sich etwa daran, dass in den wichtigsten EU-Staaten inzwischen 38 Prozent der F&E auf das Konto ausländischer multinationaler Unternehmen gehen – 1994 lag dieser Wert erst bei 24 Prozent. (vgl. Abbildung 2)
Für die verschiedenen Standorte bedeutet das: Mittelmass reicht nicht mehr. In Zeiten der Hyperinternationalisierung gewinnt nur, wer es schafft, in einem hochspezialisierten Bereich die besten Rahmenbedingungen der Welt zu bieten. Die Schweiz schafft das beispielsweise in der pharmazeutisch-chemischen Industrie, in der Medizinaltechnik oder bei hochpräzisen Messinstrumenten. Um die gute Ausgangslage für die Zukunft nutzen zu können, darf sich die Schweiz jedoch nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen.
Multinationale Unternehmen als Biotope
Wir haben die F&E-Aktivitäten von multinationalen Unternehmen (MNU) in der Schweiz untersucht und nachgefragt, wo sie am Standort Schweiz Verbesserungsbedarf sehen. Der Fokus auf multinationale Unternehmen ist deshalb sinnvoll, weil sie für die Innovationsleistung eines Landes und für die Bildung von Hotspots eine entscheidende Rolle spielen. Ohne MNU geht es nicht.
Dies zunächst aus ganz direkten Gründen. Wegen ihrer grossen Ressourcen sind es tendenziell MNU, die radikale Innovationen entwickeln und diese über die ganze Wertschöpfungskette hinweg ausrollen. KMU – entgegen ihrem Image als Hauptinnovateure – fehlen auf sich alleine gestellt oft die Kapazitäten, um Innovationen durchzuziehen. In der Schweiz sind MNU für rund 36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts direkt verantwortlich. Alleine die zwanzig forschungsintensivsten Schweizer MNU erwirtschaften laut Bak Basel knapp 5 Prozent der Wertschöpfung des Landes.
MNU sind aber auch darum von essenzieller Bedeutung, weil sie eine Sogwirkung für die gesamte Region entwickeln. Sie ziehen innovative KMU an, die sich zu Zulieferern hochspezialisierter Komponenten entwickeln und über die Wertschöpfungskette der Grossen weltweit Märkte erobern können. Viele Schweizer KMU haben sich in den letzten Jahrzehnten über solche Kooperationen zu sogenannten Hidden Champions entwickelt – zu stillen und hochanerkannten Marktführern in einer Nische der Weltwirtschaft.
Nicht zuletzt schaffen MNU über ihr Netzwerk einen Nährboden für die für Innovation so essenzielle Wissensdiffusion. Sie bilden Kooperationen mit Hochschulen, Instituten und Spin-offs, aber auch mit Kleinunternehmen, Lieferanten und anderen MNU. So sorgen sie für einen intensiven Austausch zwischen verschiedenen regionalen, nationalen und globalen Innovationssystemen. Die Präsenz von Forschungsabteilungen multinationaler Unternehmen ist für einen starken Standort unverzichtbar. Entsprechend wichtig ist ein Verständnis dafür, welche Standortfaktoren für MNU wichtig sind.
Was Labore in die Schweiz zieht
Aus ökonomischer Perspektive gibt es zweierlei Motive für Unternehmen, ihre F&E-Aktivitäten an einem Standort anzusiedeln: einerseits inputbezogene, andererseits absatzseitige Motive. Wichtige inputbezogene Motive sind etwa die vorhandenen Kooperationsmöglichkeiten mit Hochschulen oder die Qualität des lokalen Arbeitsmarktes – kurz, die wissenschaftliche Infrastruktur einschliesslich der kreativen Köpfe. Zu den absatzseitigen Motiven gehört beispielsweise die Nähe zu einem wichtigen Absatzmarkt, aber auch zu lokalen Produktionsstätten. (vgl. Abbildung 3)
Ausländische MNU geben an, ihre Labore vor allem wegen dem Zugang zu Markt und Kunden sowie der vorhandenen wissenschaftlichen Infrastruktur in der Schweiz angesiedelt zu haben. Für Schweizer MNU ist ebenfalls die Infrastruktur ausschlaggebend, ausserdem die Nähe zu lokalen Produktionsstätten. Die mit Abstand meistgenannten Faktoren für ausländische wie inländische MNU: der Zugang zu qualifizierten Mitarbeitern und die Nähe zu führender Forschung.
Die Erkenntnisse aus unseren Untersuchungen zeigen, dass die Schweizer Hochschulen, insbesondere die ETH Zürich und die EPF Lausanne, für die Unternehmen wesentliche Standortstärken sind. Aber auch die Universität St. Gallen hat mit Labs von Audi, Bosch, SAP und Hilti internationale Innovatoren angezogen. Ohne internationale Leuchttürme lassen sich keine F&E-Labore gewinnen. Aber auch das allgemein gute Bildungsniveau in der Schweiz und ihre hohe Attraktivität als Wohnort für hochqualifizierte Mitarbeitende spielen eine wichtige Rolle. All diese Faktoren haben dafür gesorgt, dass Google, Disney, IBM oder Bosch Forschungslabore in die Schweiz verlegt haben und dass Schweizer MNU wie Bühler, Roche, Novartis, Syngenta oder ABB weiter hier forschen.
Was die Schweiz besser machen kann
In bezug auf die tatsächliche Standortwahl gab es in den letzten Jahren aber auch kritische Anzeichen hinsichtlich der Attraktivität des Standortes Schweiz. So liegt der Hauptsitz des Novartis Institutes for Biomedical Research heute bei Boston, um nah an den dortigen Spitzenhochschulen zu sein. ABB hat sein Center of Excellence für Robotik nach Shanghai verlagert, um die schnell wachsende Produktionsindustrie Chinas besser unterstützen zu können.
Tatsächlich sehen multinationale Unternehmen in der Schweiz bezüglich verschiedener Faktoren Verbesserungsbedarf. Dies insbesondere beim Zugang zu internationalen Fachkräften, den sie durch politische Entscheide der letzten Jahre gefährdet sehen, aber auch bei steuerlichen Anreizen als Ausgleich für die in der Schweiz vergleichsweise hohen Kosten. (vgl. Abbildung 5)
Insgesamt gilt die Schweiz nach wie vor als hochattraktiver Standort. Sie wird diesen Status nur halten können, wenn sie weiter in die Bildung und Forschung investiert, die Offenheit gegenüber internationalen Fachkräften bewahrt und ganz grundsätzlich die grosse Bedeutung von Forschungsaktivitäten im Land anerkennt. Gelingt dies, verstärkt sich der Denkplatz Schweiz und wird der Werkplatz Schweiz mit hoher Wertschöpfung erhalten und entwickelt werden. Die Schweiz hat alle Faktoren, um den Spitzenplatz in Innovation zu halten und auszubauen. Wir müssen es nur tun.
Oliver Gassmann
ist Professor für Innovationsmanagement und Direktor des Instituts für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen. Er ist Beirats- und Verwaltungsratsmitglied mehrerer Institute und Unternehmen, unter anderen der Zühlke Group.