Vom TV-Star zur Verfolgten
Karin Wenger: Verbotene Lieder. Eine afghanische Sängerin verliert ihre Heimat.
Abwechslungsweise lässt Wenger Mina erzählen und schildert ihre eigenen Eindrücke aus Afghanistan. Sie bereiste das Land mehrmals, und ihre Beobachtungen machen deutlich, wie viel Mut und Kraft dazu nötig waren. Präzis und nüchtern berichtet sie über Korruption, Regierungsversagen, die Verzweiflung der Bevölkerung und die Parallelwelt der Amerikaner in Shopping Malls und Militärbasen, in denen die Soldaten abgeschottet von der afghanischen Gesellschaft leben.ls im August vergangenen Jahres die Amerikaner aus Afghanistan abzogen und die Taliban an die Macht zurückkehrten, löste das im Westen ein Strohfeuer von Bestürzung, Empörung und Kritik aus, dann wandte sich die öffentliche Aufmerksamkeit wieder anderem zu. Was aber heisst es wirklich, unter den Taliban zu leben? Die SRF-Südostasienkorrespondentin Karin Wenger erzählt es anhand der Geschichte von Mina, die nach dem Einmarsch der Nato-Truppen 2001 als Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin Karriere machte. Doch mit ihrem Erfolg wuchs der Argwohn in der konservativen Gesellschaft, erst recht, als die Taliban in ihrer Heimatstadt Herat die Kontrolle übernahmen. Geistliche hetzten in ihren Predigten gegen die junge Frau, auf der Strasse wurde sie beschimpft, ihr wurde mit dem Tod gedroht. «Frauen, die ausbrechen wollen, ereilt in Afghanistan immer das gleiche Schicksal», sagt sie.
Mina flieht, einmal, zweimal, kommt bis in die Türkei, muss zurück in den Iran, gibt ihr ganzes Erspartes, das sie als Fernsehstar in Afghanistan verdient hat, für Schlepper aus. Heute lebt sie mit ihrer Tochter illegal in Istanbul. Sie kann weder zurück nach Afghanistan noch weiter nach Europa, wo inzwischen fast ihre ganze Familie lebt. Minas Geschichte ist auch eine Geschichte über den Zynismus der internationalen Migrationsindustrie, die sich das dysfunktionale europäische Asylsystem zunutze macht. Mit ihrem einfühlsamen Porträt gelingt es Karin Wenger, der Fragilität von Freiheit und der Hoffnungslosigkeit eines von Fundamentalismus und Korruption beherrschten Landes ein Gesicht zu geben.