Vom Hochmut
Wer unverdient Erfolg hat, wird schnell hochmütig. Er duldet niemanden unter sich. Gegen Zweifel ist er immun. Er ist sein
eigener Gott.
Verächtlich schaut er von oben herab. Er bewegt sich langsam, ja geradezu lässig, als müsse er sich zum Handeln herablassen. Nichts reicht an ihn heran. Die Welt unter ihm ist klein, nahezu bedeutungslos. Geringschätzig mustert er die Menschen ringsum: lächerliche Figuren, emsig bemüht um Lohn und Zuspruch, armselig im Geiste und ahnungslos in den höheren Dingen. Schwer lasten die Lider auf den Augen, ein kurzes Aufblitzen, ein spöttisches Lächeln in den Mundwinkeln, dann wieder der Blick der Langeweile, der längst alles gesehen hat.
Einst war der Hochmut die Mutter alles Bösen. Die Todsünde verstiess gegen die heilige Rangordnung der Welt. Direkt stellte sie sich den Göttern entgegen. Hochmut war die Sünde des Widerspruchs, der Rebellion. Der Hochmütige hasste die Gleichheit unter den Kreaturen. An Gottes Stelle wollte er die Herrschaft erlangen. Doch damit verlor er die Erkenntnis der Wahrheit. Wer sich in Überlegenheit sonnt, hat einen natürlichen Widerwillen gegen den Vorrang der Tatsachen. Die Rache war fürchterlich. Prome-theus wurde für seine Vermessenheit an den kaukasischen Felsen gefesselt, Satan in die Hölle gestürzt, Adam aus dem Paradies verjagt. In der Finsternis wurde den Hochmütigen das Rückgrat gebrochen. Oder sie schleppten schwere Lasten, den Blick auf den Boden geheftet.
Moderne Zeitgenossen können über solche Vergeltung nur lachen. Seit die Menschen Himmel und Hölle entvölkert und den Zustand der Demut verlassen haben, blicken sie aufeinander herab. Der Mensch fühlt sich als Krone eigener Schöpfung. Selbstüberschätzung ist dem Gattungswesen eigentümlich. Beweist nicht jeder Fortschritt, dass die Grenzen hinausgeschoben werden können? Viele Zeitgenossen glauben, Glück erlangte man aufgrund eigener Leistung, und das Gute sei ein Erfolg guten Willens. Nichts ist ihnen ferner als die Einsicht, dass das Gute eher eine seltene Gabe denn ein Verdienst ist.
Arroganz ist kalt, hart, manchmal finster. Niemals duldet der Hochmütige jemanden neben oder gar über sich. Er lebt ganz in sich selbst. Andere Personen beachtet er kaum. Vor aller Erfahrung ist er ganz von sich eingenommen. Er genügt sich selbst, nicht weil er etwas Geniales erfunden oder eine mutige Tat vollbracht hätte. Solche Äusserlichkeiten kümmern ihn nicht. Der Hochmütige ist sein eigener Gott. Die Grenzen seiner Welt sind die Grenzen seines Selbst. Daher ist er auch völlig immun gegen Zweifel. Einwände wischt er beiseite, nicht aus Unsicherheit, sondern aus einem eisigem Ernst, der keinen Spass versteht. Vergleiche mit anderen stellt er schon lange nicht mehr an. Der Hochmütige sucht nichts und bittet nicht, er nimmt nichts an und gewährt nichts. Streng achtet er auf Abstand, planiert ringsum eine soziale Wüste. Er vergeht sich an dem unsterblichen Gott, ohne den kein Mensch existieren kann: der Gesellschaft. Er kündigt alle Verpflichtung und führt allen vor Augen, dass er niemanden benötigt.
Keineswegs ist der Hochmut nur eine Steigerung von Stolz oder Dünkel. Stolz ist man immer auf etwas, auf eine wirkliche oder eingebildete Leistung, Fähigkeit oder Eigenschaft. Hochmütig indes ist man niemals wegen etwas. Der Stolze mag seine Bedeutung für die Welt übertreiben, der Hochmütige kennt nur sich selbst. Stolz kann verletzen, Hochmut will vernichten. Der Stolze weiss, was er sich schuldig ist, der Hochmütige ist niemandem etwas schuldig. Der Stolze hält auf sich, weil er etwas vorzuweisen hat. Der Hochmütige indes befiehlt Unterwerfung. Er verachtet die anderen, degradiert sie zu Dienern seines Grössenwahns. Ihre eigene Minderwertigkeit sollen sie spüren.
In Gesellschaft ist der Hochmütige demütigend und destruktiv. Fast hat es den Anschein, als sei er weniger darauf aus, Achtung für sich zu erwecken als die Selbstachtung der anderen zu erschüttern. Er hebt das Gesetz wechselseitiger Anerkennung auf. Zuletzt will er gar nicht den höchsten Platz in der sozialen Hierarchie der Anerkennung erklimmen, er fügt sich gar keiner Ordnung ein.
Der fruchtbarste Nährboden der Arroganz ist der Besitz von Macht. Von dem römischen Kaiser Konstantin ist überliefert, er habe es in der Öffentlichkeit stets vermieden, jemandem direkt ins Gesicht zu sehen. Starr hielt er den Kopf nach vorn, ohne ihn jemals hier- oder dorthin zu wenden, und sei es nur, um die grüssenden Untertanen eines Blickes zu würdigen. Sein Körper blieb unbeweglich und folgte nicht einmal den schwingenden Bewegungen der Kutsche. Ungerührt bewegte er sich durch die Menge. Sein Hochmut verbot ihm jeden Blickwechsel.
Der Besitz von Macht befreit von den Unbilden des Alltags. Sind alle Widerstände beseitigt, entfällt auch der Zwang, sich den Forderungen des Tages zu widmen. Nach und nach zieht der Despot sich aus der Welt zurück, schaut zufrieden von höherer Warte hinab auf die Ebenen seines Reichs. Verwaltung und Repression überlässt er seinen Schergen und Gehilfen. Mit den Tagesgeschäften wird er nicht mehr behelligt. Aschfahl ist seine Selbstliebe. Er geniesst die Macht, und er erlaubt alles für ihren Erhalt. Sie stützt seinen Hochmut, und der Hochmut bestimmt den Willen zur Macht. So kann er in einer fernen, einsamen Sphäre leben, bis zu dem Tag, da die Wirklichkeit ihn einholt.
Moderne Gesellschaften haben zahlreiche Positionen hervorgebracht, die zu Hochmut verleiten. Was die Verteilung der Macht angeht, neigen sie zur Vielgötterei. Jedes soziale Feld hat seine eigene Elite. Die profanen Götter der Gesellschaft – das sind die Subjekte am Zenit des Erfolgs, die Eliten der Macht, des Geldes, der Kultur. Verwöhnt von Erfolg und Anerkennung, bedarf es auf den höheren Rängen einer beträchtlichen Widerstandskraft, um nicht von Hochmut befallen zu werden. Das Bewusstsein der Eliten bleibt anfällig für die Gelüste der Arroganz.
Da sind Sieger im politischen oder ökonomischen Wettstreit, die hochdekorierten Würdenträger mit ihren grandiosen Verdiensten und Verantwortungen, daneben die selbstherrlichen Lenker der Geldströme, Kredite und Schuldzuweisungen, von deren Gunst und Geschäft unzählige abhängig sind. Da sind ferner die Heroen des Geistes, die den Unbedarften die Welt erklären, die Fürsten des Meinens und Glaubens, die vorgeben, über die Tatsachen zu wachen und den Bedürftigen Hoffnung, Sitte und Demut zu lehren. Da sind die hohen Richter, die das letzte Urteil verhängen, die hohen Priester, die Einlass zur letzten Pforte gewähren. Da sind die Stars der populären Kultur, die Götzen und Idole, von der Menge jubelnd auf den Händen getragen. Und da sind die Grazien der Schönheit, die alle überstrahlen und in den Schatten hässlicher Durchschnittlichkeit verbannen.
Die weiche Macht lenkt die Wünsche und Phantasien, die Träume, Gefühle, Gedanken und Hoffnungen. Was kann mehr zu Hochmut verlocken als der Besitz jener unaufdringlichen Potenz, die nur ein paar Worte und Gesten benötigt, um die Köpfe und Herzen zu erobern und die anderen ihre Unterlegenheit spüren zu lassen? Die Sparsamkeit der Machtmittel steigert nur die Selbstüberschätzung. Ein Wink, eine hochgezogene Augenbraue, ein paar hingeworfene Wörter, und schon verfallen alle in stumme Andacht. Arroganz beruht weniger auf der Erfahrung grosser Leistung als auf dem Bewusstsein, mit minimalen Mitteln andere hinter sich zu lassen.
Eliten konstituieren sich in der Verachtung der Mehrheit. Standesdünkel oder Klassenbewusstsein kommt nie ganz ohne Hochmut aus. Das Selbstbild der Auserkorenen ergibt sich aus der strikten Abgrenzung gegenüber dem Durchschnitt. Das Leben der Gemeinen scheint bestimmt von Trägheit und Wankelmut, Triebhaftigkeit und Verantwortungslosigkeit. Dumm, undiszipliniert, unbelehrbar sei der Massenmensch, moralisch defekt und geistig bescheiden. Er lebe allein nach seinem Sinne, ohne Ordnung, Ziel und Gesetz. Um ein Vielfaches glauben die Auserlesenen diesen Durchschnitt zu überragen.
Ob sich die Arroganz in Clans oder Clubs, Kasten oder Klassen, Parteien oder Bünden organisiert, stets schirmt sich die Elite ab vom Rest der Gesellschaft. Mit lächelnder Verachtung schaut man auf die anderen herab. Die Bildungselite ist pikiert über die Vulgarität der populären Kultur, die Geldelite erachtet alle Geschäfte für wertlos, die ein gewisses Volumen nicht überschreiten. Die politische Avantgarde fühlt sich als Elite des Fortschritts, und die intellektuelle Elite pflegt einen Snobismus, der alles missachtet, was von vielen geschätzt wird. Die Geschmackselite wird von Ekel befallen, sobald sie der Ess-, Trink- oder Bekleidungsgebräuche der Mehrzahl auch nur ansichtig wird.
Historische Triebkraft erlangt der Hochmut, sobald er die Kollektive erfasst. Die überhebliche Gemeinschaft strahlt auf den einzelnen ab. Er gehört zu den Besten, den Auserwählten, den Einzigwerten. Trifft er auf einen Gegner, gibt ihm der Hochmut seiner Gruppe Rückhalt. Häufig suchen gerade diejenigen, die sich persönlich zurückgesetzt fühlen, Anschluss an eine Gruppe, die vor Hochmut strotzt. Indem man gemeinsam Dritte herabwürdigt, beleidigt, drangsaliert, erhöht jeder sich selbst.
Ethnischer, nationaler oder religiöser Hochmut sieht das eigene Terrain umzingelt von Fremden minderen Werts. Die Barbaren und Wilden, die Heiden und Ungläubigen, die «Unmenschen» und «Untermenschen», das sind die anderen, die man verlachen, verfolgen, versklaven, vernichten darf. Seit je begleitet Hochmut die Geschichte der Sieger und Eroberer. Zwischen «Wir» und «Ihr» ist der Gegensatz unüberbrückbar. Die Unterworfenen haben keinen Anteil an der Kultur, am Glauben, an der Moral der Auserwählten. Im Extremfall werden sie ganz aus dem Kreis der Menschheit ausgeschlossen. Gegen die Aussenseiter ist alles erlaubt. Am Ende stellt Hochmut der Barbarei einen Freibrief aus.
WOLFGANG SOFSKY, geboren 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. In seiner letzten Kolumne (Ausgabe 959) hat er sich mit der Untertänigkeit befasst.