Vom glücklichen Umgang mit philanthropischen Tücken
Stiften ist im besten Fall soziales Unternehmertum, unternehmerisches Handeln im Dienste der Allgemeinheit. Eine Würdigung – und eine Diskussion häufig geäusserter Kritikpunkte wie auch möglicher Fallstricke.
Ein Loblied den Stifterinnen und Stiftern! Mit vielen hundert Millionen Franken jährlich unterstützen gemeinnützige Stiftungen mit Sitz in der Schweiz ungezählte Projekte im In- und Ausland. Ohne ihre Beiträge kommt hierzulande kaum ein Konzert zustande, kaum eine Ausstellung, eine Theateraufführung, kaum ein innovatives Jugend- oder Altersprojekt oder ein neues Projekt im Sozial-bereich. Im Vergleich mit den grossen Töpfen der staatlichen Kassen leisten die privaten Förderstiftungen zwar nur einen kleinen, in der Regel aber gut plazierten Beitrag zu einer breiten Palette an Vorhaben in den Bereichen Kultur, Bildung, Soziales und Umwelt, indem sie oft das Zünglein an der Waage spielen. Stiftungen schieben neue Initiativen an, realisieren Ideen fernab des Massengeschmacks oder bewahren aus dem Zeitgeist Verbanntes.
Eine Stiftung zu gründen oder lebendig zu erhalten, ist ein Unterfangen, das sich für alle Beteiligten lohnt. Die Gesellschaft profitiert vom gemeinnützigen Engagement; die für die Stiftung verantwortlichen Personen erfahren in ihrer gestaltenden und sinnstiftenden Fördertätigkeit eine grosse Befriedigung. Allerdings ist «stiften» gar nicht so einfach.
Die Tausenden von Stiftungen in der Schweiz stellen eine disparate Branche dar. Sie verhalten sich alles andere als einheitlich, und ihre Förderkräfte wirken deshalb in die unterschiedlichsten Richtungen. Manche Stiftungen erscheinen anachronistisch, konservativ und risikofeindlich, andere wiederum werden als proaktiv, innovativ und risikotolerant wahrgenommen. In der Stiftungslandschaft Schweiz ist die Biodiversität maximal.
Anstoss an der inkohärenten Förderpolitik der Stiftungsbranche nehmen insbesondere Vertreter der staatswirtschaftlichen Fördersysteme. Ist nicht der Staat für die Definition und Finanzierung dessen zuständig, was der Allgemeinheit zuträglich ist? Sind es nicht die öffentlichen Bildungs-, Sozial-, Kultur-, Musik-, Ausländer-, Integrations- und anderen Konzepte, die in allen gesellschaftlichen Entwicklungsfeldern die exklusive Deutungsmacht für sich beanspruchen? Sind es nicht die im Dienste der öffentlichen Verwaltung stehenden Experten, die allein darüber zu entscheiden wissen, was förderungswürdig ist? Sollten Stiftungen nicht einfach nur da einspringen (müssen), wo das öffentliche Geld zu knapp ist?
Die Widersprüchlichkeit in der Wertorientierung von Stiftungen und ihre Reibungsflächen zu den jeweils aktuellen staatlichen Fördercredos lassen sie vielleicht auf den ersten Blick durchaus als chaotisch, unwirksam oder störend erscheinen. Gerade aber die innere Sperrigkeit der Stiftungsbranche stellt eine für die Gesellschaft unentbehrliche Qualität dar: Stiftungen ermöglichen, regen an und regen auf, stellen sich quer. Sie marschieren nicht immer mit, sondern eilen oft voraus. Sie benennen Mängel und Lücken, erkennen Chancen und Potentiale, zuweilen widersprechen sie oder halten an Bewährtem fest. In ihrer konzeptuellen Heterogenität ergänzen sie die zunehmend durchregulierten öffentlichen Fördersysteme – man denke etwa an den Bereich der Volksschulbildung, wo eine relative Notwendigkeit zur Harmonisierung den Anlass zur Verfestigung von allerhand Ideologischem bietet. Im grossen Garten der Förderung sind Stiftungen die kleinen Gewächse; sie blühen bunt und besiedeln leere Nischen. Wenn auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stiftungsbranche bescheiden ist, so bedeutet ihre Vielfalt einen grossen Reichtum. Wie langweilig und arm wäre eine – wenn auch mit noch so reichen Mitteln ausgestattete – öffentlich-rechtliche Monokultur der Förderung.
Die gemeinnützige Stiftung ist eine irritierende Institution zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Ausgehend vom steuerprivilegierten Vermögensverzicht einer Privatperson, orientiert sich eine Stiftung als steuerbefreite Organisation an gemeinnützigen Interessen und greift mit ihren Förderaktivitäten in die Dynamik der Zivilgesellschaft ein. Eine Stiftung ist deshalb zugleich eine private und eine quasiöffentliche Institution. Die Konsequenzen dieser Verzahnung öffentlicher mit privaten Interessen werden oft weder von den Stiftungsverantwortlichen selbst gelebt noch von den Stiftungskritikern verstanden.
Aus dem öffentlichen Anspruch einer Stiftung leitet sich etwa die Verpflichtung ab, der Öffentlichkeit über die Politik, die Strategie und die Förderaktivitäten in geeigneter Form Rechenschaft abzulegen – auch wenn kein Gesetz dies verlangt. Stiftungsverantwortliche, und dies sind in erster Linie die Mitglieder des Stiftungsrates, sollten deshalb in ihrer Tätigkeit eine weitestgehende Transparenz pflegen. Diese schützt sie auch vor dem Generalverdacht, still und heimlich allerhand Projekte zu unterstützen, die ihnen selbst indirekt nützen (selfdealing). Transparenz ist geradezu der Motor einer guten Stiftungsentwicklung; sie bewahrt die Stiftung vor einer schrittweisen selbstgefälligen Erlahmung.
Das private Wesen der Stiftung rechtfertigt nicht nur, sondern verlangt geradezu eine pragmatische Entscheidungsfreudigkeit des Stiftungsrates, eine im unternehmerischen Sinne willkürlich geprägte Handlungsfähigkeit. Stiftungsräte sollten ihr Amt mutig und risikotolerant ausüben, sich gleichzeitig aber der möglichen Folgen ihrer Entscheidungen bewusst sein und die Verantwortung dafür tragen können.
Der verwirrende öffentlich-private Charakter der Förderstiftungen provoziert manche negativen Reaktionen. Stifter und Stiftungen haben viele Neider, selbst wenn sich auch bei diesen selbst immer wieder Begehrlichkeiten regen – wer hat nicht schon einmal eine Stiftung um Unterstützung für ein Projekt angefragt?
Stiftungen, so hört man noch heute in klassenkämpferischer Rhetorik, seien ein mit gemeinnützigem Firlefanz getarntes Herrschaftsinstrument und hätten als irreführende Ausprägung von Menschenliebe (Philanthropie) viel mit Selbstliebe zu tun. Weil sogenannte gemeinnützige Stiftungen steuerbefreit seien, gelinge es der besitzenden Klasse, mit diesem Steuersparvehikel ihre persönlichen Anliegen auf Kosten der Allgemeinheit zu pflegen und ihre Hobbies mit dem Fiskus entgangenen Geldern zu finanzieren. Die Stiftung sei geradezu eine philanthropische Perversion, indem sie unter dem Dehnbegriff des Gemeinnutzens einen Vermögensverzicht heuchle, in Wirklichkeit aber zu Lasten der Allgemeinheit den Eigennutzen bediene. Während sich die Verteilung von Steuergeldern den demokratischen Prozessen stellen müsse, so sei jene von Stiftungsgeldern einer wirksamen öffentlichen Kontrolle entzogen. Stiftungen sollten deshalb eigentlich abgeschafft und die Stiftungsvermögen dem Fiskus erschlossen werden.
Diese fundamentalistische Stiftungskritik ist sozusagen die Anwendung der Kapitalismuskritik im Philanthropiesektor. Sie greift zu kurz. Mit den Steuerbehörden und der Stiftungsaufsicht existieren zwei in rechtlicher Hinsicht ganz unterschiedlich gepolte, (mindestens potentiell) ausreichend starke staatliche Instrumente, die missbräuchliche Formen von Stiftungsaktivitäten weitgehend zu verhindern vermögen. In der Regel funktioniert der good deal in der Balance von Steuerbefreiung und Gemeinnutzen denn auch ausgezeichnet.
Des weiteren erscheint eine grundsätzlich stiftungsfeindliche Haltung im 21. Jahrhundert als anachronistisch. Längst ist das Wissen Teil unseres kollektiven demokratischen Bewusstseins, dass in einer pluralistischen und fragmentierten Zivilgesellschaft die Mehrheitsfähigkeit noch lange nicht die absolute und einzige Richtigkeit bedeutet.
Nicht jeder Mensch erhält in seinem Leben die Chance, Stifter zu werden; nicht jeder Mensch verfügt dazu über die notwendigen Vermögenswerte und die innere Reife. Stifterpersönlichkeiten zählen zu den glücklicheren Menschen, weil sie mehrfach privilegiert sind. Nicht nur sind sie bereit, einen freiwilligen Vermögensverzicht zugunsten der Allgemeinheit zu leisten – sie können sich diesen auch leisten. Zudem besitzen sie ein den Niederungen des Konsumismus wenigstens teilweise entrücktes Bewusstsein, das ihnen die Auseinandersetzung mit Sinnsuche und Wertgebung als erstrebenswerter erscheinen lässt als den Erwerb ein paar zusätzlicher Liegenschaften oder den angstvollen täglichen Blick auf die Aktienkurse. Schliesslich und vor allem steht dem materiellen Verzicht ein immaterieller Gewinn gegenüber, der allfällige Steueranreize unwichtig erscheinen lässt.* Eine Stiftung schenkt Reputation, Lebenssinn und bedeutet oft eine Form persönlichen Vermächtnisses.
Eine Stiftung zu gründen, ist geradezu eine Anleitung zum Glücklichsein. Wer es sich materiell leisten kann, sollte Stifter werden, sollte sich und der Allgemeinheit diese öffentliche Form privaten unternehmerischen Engagements leisten. Tatsächlich setzt eine Stiftungsgründung persönliche Energien frei und kann eine bedeutende gesellschaftliche Wirkung entfalten.
Hat man früher von Vergabestiftungen gesprochen und damit das blosse Wegschicken von Geld in den Vordergrund gestellt, so ist der neuere Begriff der Förderstiftung geradezu Programm. Im Zentrum des Bemühens steht der Gedanke, Projekte von öffentlichem Interesse zu ermöglichen und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. Ein Förderbeitrag wird so zur Investition in die Gesellschaft und stellt notwendigerweise die Fragen nach der gesellschaftlichen Rendite und nach der Wirkung.
Ist es wirklich sinnvoll, wenn Stiftungsgelder nach der Strategie we too oder more of the same eingesetzt werden? Anders ausgedrückt: ist es gerade ein Nachweis für die Qualität eines Projektes, wenn schon viele andere Geldgeber beteiligt sind? Sollten die knappen privaten Mittel von Stiftungen ausschliesslich bestehende Lücken füllen, so gut das geht? Oder müssen Stiftungen privates Risikokapital für Experimente und Innovationen bereitstellen, die jenseits der Mehrheitsfähigkeit staatlicher Budgets stehen? Oder sollte gerade wegen der vergleichsweise geringen Mittel auf Nummer Sicher gesetzt werden? Sind Stiftungen Laboratorien für Zukunftsfähigkeit oder Kuratorien von Museen der Gemeinnützigkeit? Sind Fördergelder zielgerichtet einzusetzen, um in engem Rahmen Wirkung zu erzeugen, die dann auch messbar ist? Oder ist es umgekehrt nicht gerade die Aufgabe einer Stiftung, eine grosszügige, unbürokratische und spontane Giesskannenförderung zu betreiben, damit sich ihre Förderwirkung an vielen Orten entfalten kann?
Wer heute eine Stiftung gründen will, steht vor vielen Fragen. Mit dem Besuch beim Vertrauensanwalt zwecks Stiftungsgründung ist es nicht mehr getan; auch ist der Stiftungswillige gut beraten, wenn er sich die eher neue Frage der Unabhängigkeit einer künftigen Stiftung von seinem Bankinstitut sorgfältig überlegt. Damit ein robust formulierter Stiftungszweck wirkungsmächtig umgesetzt werden kann, sind mancherlei Vorbereitungen zu treffen. Dazu können sich aber heute potentielle Stifter ein mittlerweile gutentwickeltes, branchenspezifisches Wissen nutzbar machen, das ihnen ihre selbstgesetzte Aufgabe erleichtert.
In den letzten zehn Jahren ist viel Bewegung in die Stiftungslandschaft Schweiz gekommen. Eine eingehende Orientierung für gemeinnützige Stiftungstätigkeit stellt der «Swiss Foundation Code 2009» dar, indem er den Gestaltungsraum zu den Themen Stiftungsgründung, Führung, Förderung und Finanzen mit ausführlich kommentierten Empfehlungen ausleuchtet. Das im Jahr 2008 gegründete Centre for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel stellt als Kompetenzzentrum für Philanthropie in einem breiteren Sinn aktuelle Forschungsresultate, Weiterbildung und Beratung zur Verfügung. SwissFoundations schliesslich, der 2001 gegründete Verband der Förderstiftungen in der Schweiz, bietet seinen Mitgliedern – unabhängig von ihrer Grösse – einen bunten Strauss von Dienstleistungen an und besteht vor allem aus einem qualifizierten Netzwerk von Praktikern aus Geschäftsleitungen und Stiftungsräten.
Im Zuge des selbstregulativen Aufbruchs des liberalen Stiftungsstandorts Schweiz haben auch manche Dienstleister Blut geleckt. Wo sich Geld in kleineren oder grösseren Haufen sammelt, da stellt sich alsbald ein Beratungswind ein, der seine sanfte, erodierende Wirkung ausübt. Mittlerweile wird von einer ganzen Reihe einschlägiger Agenturen mehr oder weniger guter Rat für teures Geld angeboten.
Ein zukünftiger Stifter ist gut beraten, in die Vorbereitung seiner Stiftung viel eigene Zeit und etwas Geld für Recherche zu investieren. Dabei mag er entdecken, dass er aus Kosten-, Effizienz- und Nachhaltigkeitsgründen gar keine selbständige Stiftung gründen will; zielführender kann ihm etwa eine Zustiftung zu einer bestehenden Stiftung erscheinen. Insbesondere für kleinere und mittlere Stiftungsvermögen bietet sich auch die Realisierung der Stifteridee in Form einer unselbständigen Stiftung an. Diese wird in eine professionell und, dank ihrer Poolingstruktur, kosteneffizient geführte Dachstiftung eingebracht und bewahrt als Namenfonds ihre Identität, als «Stiftung in der Stiftung».
Attraktiv ist nicht zuletzt die zeitgemässe Form der Verbrauchsstiftung, die es auch kleineren Stiftungsvermögen erlaubt, eine grosse Förderwirkung zu entfalten – wenn auch für eine befristete Zeit. So kann ein Stifter zu einer aktuellen Frage einen wesentlichen Impuls geben und diesen zu Lebzeiten mitgestalten. Er riskiert nicht, dass seine von ihm ins Leben gerufene Stiftung mit jeder neuen Generation von Stiftungsräten zunehmend erlahmt und schliesslich als Fossil der Gemeinnützigkeit ein trauriges Dasein fristet.
* Abgeleitet vom angeb-lichen Zusammenhang zwischen Steuerbe-freiung und Gründungs-motivation, wird immer wieder die Erhöhung der Steuerabzugs-fähigkeit als probates Mittel zur Förderung der Institution Stiftung propagiert. Das Beispiel des Kantons Basel-Landschaft zeigt, dass der Steueranreiz kaum Wirkung zeigt. Obwohl hier Zuwendungen an gemeinnützige Stiftun-gen zu 100 Prozent vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden können, ist der Kanton keineswegs ein Stiftungs-paradies geworden.