Vom Demokraten
zum Renegaten
Die Massnahmen während der Coronapandemie haben mich vom Rechtsstaat entfremdet. Jetzt befreie ich mich aus seinem Korsett.
Früher hätte ich mich selbst als Demokraten bezeichnet. Ich war auch sonst ein unverdächtiger Typ; als verheirateter Familienvater leitete ich als Mitinhaber eine Reedereiagentur mit elf Mitarbeitern. Ich ging abstimmen, und alle vier Jahre legte ich einen Wahlzettel für die FDP in die Urne. Darüber hinaus interessierte ich mich nicht für Politik. Ich bezahlte meine Rechnungen pünktlich, achtete darauf, die Gesetze einzuhalten, kam nie mit den Behörden in Konflikt und kannte Demonstrationen nur aus dem Fernsehen. Das war vor drei Jahren.
Heute sind drei Verfahren wegen Verstössen gegen die Covid-19-Verordnung gegen mich hängig. Ich bin ein Abtrünniger des illusionären Rechtsstaats, ein Häretiker vor dem Götzen der Demokratie, ein Dissident der vermeintlichen Gewaltentrennung, kurz: ein Renegat der heutigen Gesellschaft. Davon, womit ich mich vor drei Jahren identifizierte, sind meine Familie, meine Firma und meine Freunde übriggeblieben. Vom Demokraten zum Renegaten innert drei Jahren: Wie konnte es so weit kommen?
«Davon, womit ich mich vor drei Jahren identifizierte, sind meine Familie, meine Firma und meine Freunde übriggeblieben.»
Die Regierungsmassnahmen während der Covidkrise sind der grösste Bruch in meiner Biografie. Als ich am 20. April 2020 mit vielleicht zwei Dutzend anderen Menschen an der ersten Demonstration gegen die Covidmassnahmen auf dem Bundesplatz stand, hatte ich höchst aufreibende Wochen hinter mir. Ich fand mich plötzlich in einer fremdbestimmten Situation und kam von den Behörden unter Druck, Dinge zu tun, die ich für falsch und gefährlich hielt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich mich von der Gesellschaft entfernte, es war umgekehrt; die allermeisten Menschen schienen sich von mir zu entfernen. Ich empfand mich als unverändert, meinen Werten treu, und mein Blick auf die Realität schien mir unverstellt.
Der prägendste Eindruck jener Zeit war, dem wirtschaftlichen Untergang eines sehr engen Freundes tatenlos zuschauen zu müssen. Viele gemeinsame Abende verbrachten wir in Fassungslosigkeit darüber, wie die Regierung das Lebenswerk des Freundes nonchalant auf dem Altar des Covidnarrativs opferte. Schon als Gesichtsmasken für seine Kunden obligatorisch erklärt wurden, leerte sich sein Fitnessstudio; einige Kunden erneuerten aufgrund der medial verbreiteten Angst ihre Jahresabos nicht. Als das Zertifikat eingeführt wurde, entschied sich mein Freund dazu, das Studio zum Spottpreis zu verkaufen. Er liess sich nicht länger zum Durchsetzungsorgan einer verrückten Politik machen.
Obwohl ich mich intensiv mit den Zahlen und Fakten zu Covid auseinandersetzte, konnte ich die Sinnhaftigkeit der Massnahmen nicht erkennen. Im Gegenteil: Je mehr ich von den Vorgängen verstand, um so absurder erschien mir das Handeln der Regierung, aber auch das Verhalten des überwiegenden Teils meiner Mitmenschen.
Verfassungstreue einfordern
Ich war nie der Typ Mensch, der sich lange über etwas beschwert. Wenn mir etwas nicht gefiel, dann änderte ich es. Wenn ich es nicht ändern konnte, ging ich eben weg. Und mit dieser Einstellung ging ich auch an diese Herausforderung heran. Ich war überzeugt: Wir werden diese Entwicklung stoppen und umkehren können.
«Ich war nie der Typ Mensch, der sich lange über etwas beschwert. Wenn mir etwas nicht gefiel, dann änderte ich es. Wenn ich es nicht ändern konnte, ging ich eben weg.»
Wir, das war eine recht skurrile Gruppe – Menschen, mit denen ich mich im bisherigen Leben nicht umgeben hatte; eine grün angehauchte Lehrerin, der Verleger einer alternativen Zeitschrift, ein Weltverbesserer, eine kettenrauchende Pensionärin, eine Esoterikerin. Zwei Dutzend Menschen, die den Verein der «Freunde der Verfassung» gründeten mit dem Ziel, der Regierung Einhalt zu gebieten.
Der Rest ist ein kleines Stück Schweizer Politikgeschichte. Aus 24 Menschen wurden zuerst hunderte Vereinsmitglieder, dann tausende, bis wir auf dem Höhepunkt der Vereinsgeschichte über 26 000 Verfassungsfreunde zählten. Zuerst wurden wir totgeschwiegen, dann belächelt, und nach dem Zustandekommen des Referendums gegen das Covid-19-Gesetz wurden wir sogar ein wenig gefürchtet. Zweifelsfrei wäre die etablierte Politik lieber ohne Referendum zur Tagesordnung übergegangen.
Je erfolgreicher wir unseren Kampf führten, desto gehässiger wurden die Reaktionen in den Medien, auf der Strasse, im Bekanntenkreis. Menschen wählten kreative Wege, um mir Hassmails und Briefe mit Todeswünschen zukommen zu lassen, einer Mitstreiterin wurde per Post sogar Kot zugestellt. Am Anfang hatte ich mit diesen Angriffen zu kämpfen, zweifelte. Zu Hause sprachen wir darüber, ob meine Frau mit den Kindern besser für eine Weile wegfahren sollte. Der Tiefpunkt war erreicht, als der «Blick» erst auf Androhung rechtlicher Schritte einen Tweet löschte, der mich als Antisemiten bezeichnete, während die «Basler Zeitung» mich mit Foto und Namen als «Menschenverächter» titulierte.
Ich lebe und arbeite in der Region Basel, hier verdient mein Unternehmen den Lebensunterhalt von elf Familien. Wenn in der «Basler Zeitung» steht, dass ich Menschen hasse, dann muss das Auswirkungen auf mein Leben haben. Dachte ich. Doch passiert ist nach diesen Schlagzeilen nicht viel. Im geschäftlichen Kontext gab es erfolglose Angriffe auf eines meiner Vorstandsmandate und vereinzelte Kunden beschwerten sich bei meinem Geschäftspartner über mein Engagement. Im privaten Umfeld kam es zu eher skurrilen Begebenheiten wie jener, als mich an meinem Wohnort ein älterer Herr erkannte und sich in einen jener damals häufigen Dispute über meine Maskenverweigerung einmischte, den ich mit einer Postangestellten führte. Oft wurde ich auf der Strasse auch von Menschen erkannt, die sich für mein Engagement bedankten. Dass ich den Menschen Kraft und Hoffnung schenkte, habe ich in dieser Zeit viel öfter gehört als Kritik.
Von den Mitmenschen abgelehnt zu werden, ist eine der grössten Ängste der Menschen. In jener Zeit verlor ich diese Angst für immer. Seither kümmert es mich nicht mehr, ob ich von der Masse geschätzt oder verachtet werde. Dafür empfinde ich tiefe Dankbarkeit, und diese Freiheit prägte meine weitere Entwicklung.
Vor der ersten Abstimmung gegen das Covidgesetz vom 13. Juni 2021 fanden wir uns einem Bollwerk gegenüber, das alles ins Feld warf, was das Establishment aufzubieten hat; der Bundesrat ging auf Dauerwerbesendung, die etablierten Medien, die dank dem Gesetz Millionenzahlungen vom Bund erhielten, demonstrierten eine geradezu gespenstische Einigkeit, die grossen Parteien stellten sich wie ein Mann hinter das Gesetz, nur die SVP rettete sich in die Stimmfreigabe, und die Wirtschaftsverbände hofften auf die rettende Giesskanne aus Steuergeldern, statt auf das Ende der Massnahmen zu setzen. An der Urne lehnten dann vier von zehn Stimmenden das Covidgesetz ab.
Implosion der Verfassungsfreunde
Bald nach der Abstimmung endete mein Engagement für die Verfassungsfreunde. Nicht nur wegen der internen Querelen, die in der Implosion des Vereins kulminierten und an denen ich meinen Teil der Verantwortung trage, sondern auch deshalb, weil ich kein Freund der Verfassung und kein Demokrat mehr bin. Bin ich ein schlechter Verlierer? Vielleicht. Aber nicht nur. Ich spürte, dass sich meine Ablehnung des Abstimmungsresultats aus einer inneren Kraft speist, die im eigentlichen Sinn des Wortes unabhängig ist, und ich begann, mich für die Basis des Rechts zu interessieren.
Wenn es Gesetze gibt, die nicht rechtens sind – so wie es in der Menschheitsgeschichte schon oft der Fall war –, dann muss es einen Unterschied zwischen Recht und Gesetz geben. So erfuhr ich vom Naturrecht und vom Rechtspositivismus. Der Positivist setzt Recht mit Gesetz gleich; er muss also – unter vielen anderen Gesetzen – auch das «Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre» anerkennen, welches am 15. September 1935 im Deutschen Reich Rechtsgültigkeit erlangte.
Dem Rechtspositivismus entgegen steht das Naturrecht, welches nur Recht anerkennt, das allgemeingültig und unveränderbar ist. Das war für mich die entscheidende Weggabelung. Wer wie ich den Positivismus als absurd und historisch widerlegt erkennt und sich für das Naturrecht entscheidet, in dessen Weltbild fallen die positivistischen Dominosteine, einer nach dem anderen, und zuletzt bleiben unter all den Steinchen drei Monolithen stehen. Erstens: Alle Menschen haben die exakt gleichen Rechte. Zweitens: Kein Mensch darf einem anderen Schaden zufügen. Drittens: Verträge entstehen nur durch Zustimmung.
Auf das Covidgesetz angewendet, müsste also die Behauptung, dass von einem Menschen ohne «Covidimpfung» eine höhere Gefahr für andere ausgehe als von einem «Geimpften», durch Beweise gestützt werden. Zu einem solchen Beweis wird heute nicht einmal mehr der Versuch unternommen. Wenn der «Ungeimpfte» also keine aussergewöhnliche Gefahr darstellt, dann darf er nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. Hier zeigt sich der Bruch des Covidgesetzes mit dem Naturrecht.
Doch mein Geist sprang weiter und wendet seither die naturrechtliche Prüfung auf alle Gesetze an, auch jene, die ich vor drei Jahren noch nicht hinterfragte. Ich zahlte Steuern, ohne darüber nachzudenken, doch plötzlich fragte ich mich, mit welchem Recht mich der Staat um die Früchte meiner Arbeit bringt, zumal ich keinen Vertrag mit der Regierung eingegangen bin. Der angebliche «Gesellschaftsvertrag» ist rasch entzaubert; es ist schlicht falsch, von einem Gesellschaftsvertrag zu sprechen, da die übereinstimmende Willenserklärung das Wesen eines Vertrags ist, der aus freien Stücken eingegangen wird. Dass ich mich an die Verfassung halten muss, hat also nicht mit Recht, sondern nur mit Macht zu tun.
Somit waren Steuern für mich kein Naturgesetz mehr, sondern eine Zahlung, die eine mächtige Organisation unter der Androhung von Gewalt von mir verlangt. Dafür gibt es ein Wort: Schutzgelderpressung. Ohne diese Schutzgelderpressung kann es keinen Staat geben, da er sich nicht selbst finanzieren kann. Doch ein Staat, der Schutzgeld erpresst, verletzt das Recht. Mir wurde klar: Es kann den Rechtsstaat also gar nicht geben. Ich fühlte mich wie Alice im Wunderland, und während ich weiter in den Kaninchenbau vordrang, setzte sich dieser spannende Prozess fort, bei dem meinen Überlegungen oft die überraschende (und beruhigende!) Entdeckung folgte, dass grosse Denker – Ludwig von Mises, Ayn Rand, Murray Rothbard – solide intellektuelle Fundamente dafür legten, was ich viele Jahre später «nach-dachte».
Wunsch nach Freiwilligkeit und Schutz des Eigentums
Und damit bin ich beim Wunsch angelangt, in einer Gesellschaft zu leben, die sich auf Basis der Freiwilligkeit organisiert und Eigentumsrechte unbedingt respektiert. Die Einführung eines solchen Rechts – und damit die Abschaffung der Verfassung, aller Gesetze und Verordnungen – würde in einer Volksabstimmung wohl aber mit 99 Prozent aller Stimmen abgelehnt.
«Ich bin beim Wunsch angelangt, in einer Gesellschaft zu leben, die sich auf Basis der Freiwilligkeit organisiert und Eigentumsrechte unbedingt respektiert.»
Ich habe mich noch weiter von der Mehrheit entfernt als zu Beginn der Covidkrise. Manche Experten nennen das «Radikalisierung», ich sehe es als Bewusstseinsentwicklung. Der Begriff Demozid, eingeführt von US-Politikwissenschafter Rudolph Joseph Rummel, definiert sich als vorsätzliche Massentötung bestimmter Menschengruppen durch eine Regierung – so seien in den letzten hundert Jahren über 300 Millionen unbewaffnete Menschen getötet worden. Tatsächlich hat das ideologische Konstrukt des Staates und dessen konkrete Struktur die meisten Opfer gefordert. Wie viel Tote dagegen hat der freie Handel verursacht? Dennoch suchen die allermeisten Menschen staatliche Organisationen als Garant für Sicherheit.
Dass der Mensch zu erschreckender Gefährlichkeit neigt und zu unsagbarer Gewalt fähig ist, kann aktuell im sich stetig ausweitenden Konflikt in der Ukraine beobachtet werden. Die Organisation eines Miteinanders ohne Institutionen mit Gewaltmonopol muss dies einbeziehen. Denker der Privatrechtsgesellschaft sehen die Lösung für dieses Problem in Versicherungen. Wenn niemand dem anderen Schaden zufügen darf, dann löst eine Aggression ein Selbstverteidigungsrecht aus. Wer einen Angriff nicht selbst abwehren kann oder will, der wird sich in der Privatrechtsgesellschaft eine Versicherung suchen, die ihn gegen Risiken der Verletzung des Eigentums versichert. Ein solcher Versicherungsmarkt würde in einer privatrechtlichen Gesellschaft nicht deshalb entstehen, weil kluge Denker das so vorgezeichnet haben, sondern weil es automatisch – eben natürlich – passiert. So wie wir heute schon für Risiken, die wir nicht selbst abdecken können, Versicherungsschutz suchen.
Dieser Schutz wäre natürlich nicht perfekt, es würde auch in einer Privatrechtsgesellschaft zu Aggression, Diebstahl, Vergewaltigung und Mord kommen, so wie es auch heute der Fall ist. Jedoch entfällt die Potenzierung menschlicher Gewalt durch die Staatsstruktur. Auch weitere wichtige Fragen, wie jene nach dem Schutz der Kinder, dem Lebenserwerb der Schwachen, der Verteidigung, Einwanderung, Aggression von aussen, werden in Privatrechtsgesellschaften auf logische und nachvollziehbare Weise beantwortet.
So sehr ich mir wünschen würde, in einer Privatrechtsgesellschaft leben zu dürfen – den Wechsel dorthin werden wir nicht von einem Tag auf den anderen mit einer Volksabstimmung erreichen, und eine gewalttätige Revolution widerspricht dem libertären Gedanken diametral. Der Weg zur Freiheit muss also einer der vielen kleinen Schritte sein.
Kleine Schritte zur Freiheit
Der Agorismus, wie ihn Samuel Edward Konkin III vertritt, ist einer dieser kleinen Schritte; die Teilnahme am freien Markt als «Gegenökonomie» unter Ausblendung des Staates und seiner Ansprüche auf Limitierung und Besteuerung. Klingt kompliziert und gefährlich? Nicht zwangsläufig – wahrscheinlich betreiben alle irgendwann im Leben Agorismus; wer auf einem Flohmarkt oder online gebrauchte Sachen verkauft, wer Gemüse mit Bargeld direkt auf dem Hof kauft und es so dem Bauern überlässt, wie viel vom Einkommen er dem Fiskus melden möchte. Beispiele gibt es unzählige; ich achte darauf, nach Möglichkeit bar zu bezahlen, in der Hoffnung, dass der Empfänger des Geldes die staatliche Anmassung untergräbt und die Früchte seiner Arbeit ganz einfach vollumfänglich für sich behält. Und dann gibt es da noch etwas, das für den Staat noch gefährlicher ist als Bargeld.
Wer Bitcoin erwirbt, verfügt über Zugang zu dezentral organisiertem Geld, das höchstwahrscheinlich nicht von staatsnahen Institutionen ausgegeben wurde. Der Staat hat keine Möglichkeit zu erfahren, dass man überhaupt Bitcoin hat, vorausgesetzt, der Kauf wurde clever getätigt – zum Beispiel an einem Bitcoin-Automaten. In diesem Fall hat der Staat keine Chance, den Kontostand zu prüfen (respektive diesen mit dem Eigentümer in Verbindung zu bringen), und der Eigentümer entscheidet selbst, ob er seine Bitcoins den Steuerbehörden melden möchte. Bei langfristiger Planung kann auf diese Weise mit Bitcoin auch die Erbschaftssteuer weiträumig umfahren werden.
Das sind nur einige Beispiele für die vielen kleinen Schritte in Richtung Freiheit. Sie manifestieren die Verweigerung der Gefolgschaft, die sich in der grossen Kraft des mächtigsten Wortes der Welt manifestiert: Nein. Je mehr die staatliche Repression zunimmt, je enger die Freiräume werden, desto mehr Menschen machen sich auf diesen Weg.