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Volkswahl des Bundesrats – kein Thema mehr?

Überlegungen jenseits des parteipolitischen Opportun Die Volkswahl des Bundesrats, von der SVP vor dem 10. Dezember 2003 als Drohung präsentiert, war danach kein Thema mehr. Es gibt aber gute Gründe, weiterhin nach tauglichen Alternativen zum jetzigen Wahlmodus zu suchen.

Die «Konkordanz»-Diskussion des Wahljahrs 2003 beschränkte sich bei den Bundesratsparteien auf die Frage der proportionalen Teilhabe an der Macht in «Bern», und in den Medien auf ein eher steriles Kleben von Links-Rechts-Etiketten. Das Programmatische – «Mitte» und «lösungsorientierte Politik» sind keine politischen Programme! – wurde dabei weitgehend verdrängt.

So begreiflich es auch ist, dass das Thema mit der Wahl zweier SVP-Bundesräte ab sofort auch die SVP nicht mehr interessiert, so wenig kann ausgeschlossen werden, dass die Volkswahl der Landesregierung in der künftigen vertieften Diskussion über Konkordanz oder Alternanz unseres Regierungssystems wieder auf den Tisch kommt. Die bisherigen Versuche, die Volkswahl einzuführen, waren durch zwei Motive geprägt. Entweder ging es einzelnen Parteien ganz einfach darum, proportional zu ihrer Wählerstärke an der Regierungsmacht beteiligt zu sein, oder es ging einzelnen politischen Bewegungen darum, die vermeintliche Kluft zwischen Bundesrat und Volk in ihrem Sinne zu beseitigen. Letzteres gab in den dreissiger Jahren für Frontisten und Anfang der siebziger Jahre für James Schwarzenbach nach der relativ knappen Niederlage seiner Überfremdungsinitiative den Ausschlag, die Volkswahl zu fordern, ohne dass es zu entsprechenden Volksinitiativen gereicht hätte. Die Sozialdemokraten hingegen hatten mit ihren 1899 und 1939 eingereichten Volkswahl-Initiativen, wie die SVP seit 1998 mit ihrer geplanten Initiative, den proportionalen Anteil an der eidgenössischen Regierungsmacht zum Ziel – in der Meinung, das Wahlvolk werde ihnen zu den Bundesratssitzen verhelfen, die ihnen eine Mehrheit des Parlaments verweigerte.

Die SP-Initiativen wurden 1900 und 1942 vom Stimmvolk klar abgelehnt, die SVP-Initiative bis heute nicht lanciert. Alle drei Initiativ-Texte basieren auf einem die ganze Schweiz umfassenden Wahlkreis und enthalten eine institutionelle Sicherung der Sitz-Ansprüche der «romanischen Schweiz», die SP-Initiativen zudem die Erhöhung der Zahl der Bundesräte von sieben auf neun. Das Unbehagen, dass eine Volkswahl in dieser Form jene von der Mehrheit des Volkes gewünschte Ausgewogenheit und Qualität der Landesregierung nicht bringt, war stärker als der Wunsch, getreu dem Grundsatz, wonach die oberste Staatsgewalt vom Volk ausgeht, auch den Bundesrat durch das Volk wählen zu lassen. Dieses Unbehagen dürfte, obwohl im überschaubaren Raum der Kantone die «Regierer» vom Volk direkt gewählt werden, seither eher gewachsen sein – nicht zuletzt auch angesichts der Boulevardisierung des Politischen in der Medienwelt. Auch die geplante, wenig innovative SVP-Initiative hätte deshalb in einer Volksabstimmung kaum Erfolgs-chancen.

Blockwahl – das «Niehans-Modell»

Dennoch dürfte das Thema Volkswahl gerade im Zusammenhang mit der Fragestellung «Konkordanz oder Alternanz» wieder an Bedeutung gewinnen. Im Wahljahr 2003 hat sich in der Wählerschaft so viel bewegt, dass sich daraus – nicht von heute auf morgen, sondern in einem längeren Prozess – allmählich eine Neustrukturierung der schweizerischen Parteien-Landschaft ergeben könnte. In diesem Kontext ist an den Vorschlag einer «globalen Volkswahl des Bundesrats» zu erinnern, den der emeritierte Ökonomieprofessor Jürg Niehans in den «Schweizer Monatsheften» (3/1999) zur Diskussion gestellt hat.

Niehans sieht das Schweizervolk vor dem Dilemma, entweder auf die Volkswahl, «die mehr der demokratischen Idee und der Gewaltentrennung entspräche» (Zaccaria Giacometti) oder auf die Garantie der Ausgewogenheit der Exekutive verzichten zu müssen. Wie kann dieses Dilemma vermieden werden? Die Ausgewogenheit scheint für Niehans nur dann zum Problem zu werden, wenn jedes Mitglied des Bundesrats in einer Volkswahl einzeln gewählt wird. Der Ausweg ist die «Blockwahl», die «globale Volkswahl» der Landesregierung, bei der die Wahlvorschläge nicht auf die einzelnen Bundesräte, sondern auf Listen von sieben Bundesräten lauten.

Das entsprechende Wahlverfahren beschreibt Niehans folgendermassen: «Die Wähler legen eine der Listen A, B, C… in die Urne. Auf jeder Liste sind sieben Namen von Kandidierenden vorgedruckt. Listen mit weniger als sieben Namen sind ungültig. Der gleiche Name kann sehr wohl auf mehreren Listen erscheinen. Gewählt sind alle Kandidierenden jener Liste, die das absolute Mehr erreicht. Wird dieses von keiner Liste erreicht, findet in kurzem Abstand ein zweiter Wahlgang statt, in dem nur die beiden Listen mit den höchsten Stimmenzahlen zur Wahl stehen. Im Unterschied vom vertrauten Proporzsystem wird also die Sitzverteilung nicht von den Stimmenanteilen der Kandidierenden und Parteien bestimmt, und es kann zwischen den Kandidierenden der gleichen Liste keine Unterschiede in den Stimmenzahlen geben. Entweder sind alle Kandidierenden einer Liste gewählt oder gar keiner. Streichen, Kumulieren und Panaschieren sind ausgeschlossen.»

Der Gesamtbundesrat wäre alle vier Jahre zu wählen, aber nicht gleichzeitig mit dem Parlament, damit der politische Apparat nicht überbeansprucht wird. Die Qualität der Wahlvorschläge bestimmt den Erfolg oder Misserfolg in der globalen Volkswahl. Die Parteien müssten nach Niehans eigene Vorwahlverfahren – «die wichtigste und politisch lebendigste Phase des ganzen Wahlgangs» entwickeln, die starke Impulse für das Parteileben ergeben könnten. Im Unterschied zur üblichen Proporzwahl der Legislative würde jede Partei durch den politischen Wettbewerb gezwungen, «ihre» Liste zum zugkräftigen, gemischten «Ticket» zu machen, indem sie auch Persönlichkeiten anderer Parteien berücksichtigt. Niehans verspricht sich so auch vermehrt Kandidierende, die nicht aus einer Parteikarriere hervorgegangen sind, sowie Listen, die meist die Parteigrenzen sprengen und: «Statt das Trennende werden die Parteien (im Rahmen ihrer Liste) das Verbindende in den Vordergrund rücken.» Dies würde die Bildung politischer Koalitionen begünstigen. Das Programmatische, die politischen Inhalte bekämen so mehr Gewicht. Die Zeiten der faden, meist durch eine Fortschreibungs-Mentalität gekennzeichneten Regierungsrichtlinien der Bundesratsparteien-Konkordanz wären vorbei.

Niehans: «Die globale Volkswahl gibt der Regierung ein (politisch) verbindliches Programm auf den Weg mit. Die Kandidierenden einer Liste müssen ja die Wählerschaft überzeugen, dass sie eine (aus der Sicht der Mehrheit) erfolgreiche Politik zu führen vermögen. Zu einer zugkräftigen Liste gehört ein überzeugendes Programm.» Damit wären offensichtlich auch die Voraussetzungen gegeben für ein innovatives Alternanz-System schweizerischer Prägung, das die überlebte Vier-Bundesratsparteien-Konkordanz zum Wohl des Landes ablösen und zu einer neuen Gruppierung der politischen Kräfte führen könnte. Die (globale) Volkswahl des Bundesrats – ab sofort (wieder) ein Thema?

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«Seid einig – einig – einig –»

Es ist kein Zufall, dass die politische Konkordanz, als «Übereinstimmung der Herzen», zum eigentlichen Staatsmythos der Schweiz geworden ist und über alle Schwierigkeiten der Konsensbildung hinwegtrösten soll. Der sterbende Adlige Attinghausen beschwört in Schillers «Tell» die Einigkeit, jene Ressource, die immer dann am knappsten ist, wenn das Alte gestürzt wird und ein neuer Anfang bevorsteht, […]

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