Vertrauensaufbau statt Steuerabzug
In Politik und Gesellschaft mangelt es am grundsätzlichen Verständnis über die Funktionsweise und die Leistungsfähigkeit des Stiftungssektors. Es gibt Anzeichen, dass sich das ändert – im Hinblick auf politische Strategiefindung, mehr Transparenz, bessere Regulierung und faire Berichterstattung ist aber noch viel zu tun.
Wenn von Philanthropie die Rede ist, dann stehen meist Spender, Stiftungen oder Unternehmen mit ihrem gemeinnützigen Engagement im Fokus. Philanthropie ist eine von persönlichen Motiven getriebene und individuelle Handlung, die jedoch nicht dem persönlichen Vorteil, sondern dem Gemeinwohl dienen soll. Dabei wird häufig übersehen, dass es neben der persönlichen Ebene auch eine staatliche Ebene der Philanthropie gibt. Denn in einer demokratischen Gesellschaft ist das Gemeinwohl eine Staatsaufgabe und privates Engagement für Gemeinwohl dieser nachgelagert. Deshalb setzt der Staat die Rahmenbedingungen für philanthropisches Handeln der Bürger.
«Wachsende regulatorische Anforderungen hemmen gemeinnützige Organisationen immer wieder in ihrer Zweckerfüllung.»
Diese Rahmenbedingungen können sehr unterschiedlich ausfallen: In den USA bietet der Staat sehr weitreichende Konzessionen in Form von Steuervorteilen und liberalen Gesetzen zur Regelung der gemeinnützigen Organisationen. In Deutschland wurden die steuerlichen Anreize für Stiftungsgründungen seit 2002 derart erhöht, dass es inzwischen attraktiver ist, eine Stiftung zu gründen, als an eine bestehende Organisation zu spenden. Gleichzeitig ist die Bürokratisierung der Gemeinnützigkeit allerorten unübersehbar: Wachsende regulatorische Anforderungen hemmen gemeinnützige Organisationen immer wieder in ihrer Zweckerfüllung. Die Schweiz hat einen pragmatischen Mittelweg gewählt, insbesondere beim Steuerabzug, wo alle Zwecke, alle Spendenformen und alle Spender im Grundsatz gleichbehandelt werden.
Das schwierige Verhältnis des Staates zur Philanthropie
Blickt man auf die letzten zwanzig Jahre zurück, lässt sich feststellen, dass in fast allen europäischen Ländern die steuerlichen Anreize für philanthropische Aktivitäten erhöht worden sind. In der Schweiz beispielsweise wurde der Steuerabzug bei Bundessteuern 2006 von 10 Prozent auf 20 Prozent erhöht. Die Reformen gingen sowohl von linken wie konservativen Regierungen aus, und im Fokus standen oft weniger die Philanthropen selbst als vielmehr die staatliche Absicht, mehr private Gelder für Aufgaben zu gewinnen, die eigentlich der Staat erfüllen müsste.1 Der Höhepunkt dieser Entwicklung war das Konzept der «Big Society» in Grossbritannien unter David Cameron: Was auf dem Papier als vereinigende, Sozialkapital freisetzende Initiative präsentiert wurde, entpuppte sich in der Praxis als wenig aktivierend und förderlich. Wie es scheint, sind dem Staat also Grenzen gesetzt, was die Einflussmöglichkeiten auf das philanthropische Engagement betrifft.
«In der Schweiz hat insbesondere der Kanton Genf in den letzten Jahren das Verhältnis zu Philanthropie und Stiftungen grundlegend verändert.»
Das hängt auch damit zusammen, dass es am grundsätzlichen Verständnis über die Funktionsweise und die Leistungsfähigkeit der Philanthropie fehlt. Dieses mangelhafte Wissen macht sich sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch im politischen Diskurs bemerkbar: Schnell wird Philanthropie auf wenige Grossspender reduziert oder die Tätigkeit von Stiftungen nur in Kunst und Forschung öffentlich diskutiert. Aber es gibt auch Beispiele, die zeigen, dass das Verhältnis von Staat und Philanthropie anders gestaltet werden kann. Auf europäischer Ebene hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in einer aktuellen Stellungnahme von den EU-Mitgliedstaaten gefordert, das philanthropische Engagement in seiner ganzen Breite zu unterstützen und zu fördern. In der Schweiz hat insbesondere der Kanton Genf in den letzten Jahren das Verhältnis zu Philanthropie und Stiftungen grundlegend verändert.2 Insbesondere wurde begonnen, ein partnerschaftliches Verhältnis aufzubauen, das über reine finanzielle Zusagen hinaus auch Diskussionen über Konzepte, Projekte und Initiativen zulässt. In den Kantonen Aargau und Bern wird aktuell im Auftrag der Kulturämter untersucht, wie das philanthropische Engagement in der Kultur seitens des Staates gefördert werden kann und wer die passenden Partner sind.
Wo sind politische Reformen angezeigt?
All diese Beispiele weisen darauf hin, dass Philanthropie in einem demokratischen Staat vor allem dann volle Wirkung entfalten kann, wenn die staatlichen Rahmenbedingungen nicht allein durch mehr oder weniger Steuerbelastung oder mehr oder weniger liberale Haltung gegenüber Non-Profit-Organisationen bestimmt werden, sondern auf eine partnerschaftliche Orientierung an den Inhalten ausgerichtet sind. Um dies in der öffentlichen Wahrnehmung wie im politischen Diskurs noch besser zu verankern, sollten folgende Massnahmen umgesetzt oder diskutiert werden.
1. Eine staatliche Strategie zur Philanthropie
In der Schweiz wie auch in vielen anderen Ländern fehlt eine grundsätzliche Strategie zum philanthropischen Engagement von Bürgern und Unternehmen. Entweder wird letzteres als Selbstverständlichkeit gesehen – oder vollständig übersehen! Auch in staatlichen Überlegungen zu Bereichen, in denen Philanthropie eine Rolle spielen kann (etwa im Sozial- und Gesundheitswesen), wird es nicht berücksichtigt. Die Folge? Staatliche Rahmenbedingungen für Philanthropie sind oft nur Stückwerk und widersprechen sich sogar im einzelnen. So war beispielsweise das neue Rechnungslegungsrecht 2013 nicht mit dem bestehenden Standard für NPO Swiss GAAP FER 21 vereinbar. In der aktuellen Diskussion um die Ausweitung der AIA-Berichterstattung auf gemeinnützige Stiftungen würden jene ausgenommen, die ihr Vermögen selbst verwalten, was nach geltenden Governance-Grundsätzen zu vermeiden ist. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Gesetze – etwa zum Datenschutz – sind gemeinnützige Organisationen nicht selten von solchen und anderen Kollateralschäden betroffen. Gerade die Schweiz als Land mit vielen Stiftungen und hohem Spendenaufkommen, viel freiwilligem Engagement und einem breit verankerten Milizwesen sollte eine nationale Strategie zur Philanthropie entwickeln. Eckpunkte darin wären Aussagen zum Verhältnis des Staates zum philanthropischen Sektor, insbesondere hinsichtlich Besteuerung, Organisation oder Aufsicht. Eine solche Strategie könnte darüber hinaus helfen, neue Organisationstypen zu entwickeln und zu fördern, die gesellschaftliche Missstände verringern (z.B. Benefit Corporations).
2. Mehr Transparenz im Sektor
Aktuell kann in der Schweiz niemand genaue Angaben zur Anzahl der gemeinnützigen Organisationen, geschweige denn zu ihren Aktivitäten machen. Diese Wissenslücke befördert Klischees und Vorurteile, die in Kommentaren und sogar politischen Eingaben kolportiert werden. Die derzeit im Parlament behandelte parlamentarische Initiative Luginbühl fordert deshalb die Schaffung eines Registers der gemeinnützigen Organisationen. Bis anhin gibt es nur kantonale Verzeichnisse unterschiedlicher Art und Aktualität, die jedoch anderen Regeln unterliegen und daher wenig hilfreich sind, um die Transparenz des Sektors zu erhöhen. Klar ist: Ohne eine verbesserte Transparenz können sich weder Politik noch Öffentlichkeit ein realistisches Bild über die Leistungskraft der Philanthropie machen – und treffen aufgrund dieses Umstands dann mitunter Entscheide, die letzterer zum Nachteil gereichen.
«Oftmals ist die Notwendigkeit für Regulierung bei gemeinnützigen Stiftungen gar nicht gegeben.»
3. Angemessene Regulierung
Gerade bei Stiftungen haben die Regulierungsdichte und der damit verbundene Aufwand in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Einerseits sind gerade Förderstiftungen, die auf Erträge aus dem Stiftungsvermögen angewiesen sind, von vielen Regulierungen des Finanzmarktes betroffen, die im Nachgang zur Finanzkrise eingeführt wurden. Andererseits wünschen Steuerverwaltung und Stiftungsaufsicht wie auch das Handelsregister immer detailliertere Belege für das Stiftungshandeln, was gerade bei kleinen, ehrenamtlich geführten Stiftungen das Mass übersteigt. Oftmals ist die Notwendigkeit für Regulierung bei gemeinnützigen Stiftungen gar nicht gegeben. Bei der aktuell geplanten Einführung der AIA-Berichterstattung wird die Rechtsform Stiftung mit der angloamerikanischen Rechtsform des Trusts gleichgesetzt. Dass hier ein Missverständnis vorliegt, war auch schon Ursache von Skandalen mit Kryptostiftungen wie Tezos. Denn bei einem Trust haben die Trustees (entspricht dem Stiftungsrat) viel weitreichendere Kompetenzen, die bis zur Änderung des Zwecks reichen.
4. Ausgewogene Berichterstattung
Die vierte Massnahme ist mehr als gesellschaftliche denn als staatliche Rahmenbedingung zu verstehen. Es ist eine Tatsache, dass Medien generell dazu tendieren, mehr über Skandale, Misswirtschaft oder Kurioses zu berichten. Von all dem findet man bei 90 000 Organisationen und Millionen von engagierten Menschen genug im Philanthropiesektor. Aber die Realität ist auch, dass die überwältigende Mehrheit grossartige Leistungen erbringt und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Die Aufforderung geht daher vor allem an den philanthropischen Sektor selbst, mehr und offener zu kommunizieren, die Nähe zu Medien zu suchen und neue Möglichkeiten wie soziale Medien zur eigenen Wissensvermittlung zu nutzen. Gleichzeitig müssen mehr Gelegenheiten geschaffen werden, um Menschen direkten Einblick in philanthropisches Engagement gewinnen zu lassen – und damit auch zu eigenem Engagement motiviert werden. Initiativen wie Stiftungstage, der «Tag der guten Tat» oder der «Europäische Tag der Stiftungen» am 1. Oktober sind nur einige Beispiele dafür.
Denn letztlich beeinflusst kaum etwas die Entwicklung der staatlichen Rahmenbedingungen mehr als die Erwartungen und Rückmeldungen aus der Gesellschaft an die Politik. Je mehr Rückhalt die Philanthropie in der Gesellschaft hat, desto eher werden Politiker auch an einem guten Verhältnis zwischen Philanthropie und Staat interessiert sein.
In Deutschland wurde nach der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht etwa der Bundesfreiwilligendienst ins Leben gerufen, um den Ausfall tausender Zivildienstleistender im Sozialwesen zu kompensieren. ↩
Siehe dazu auch den Beitrag von Anja Wyden Guelpa dieser Ausgabe. ↩