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Verteidigung der Freiheit

Zu den Betrachtungen von Niall Ferguson und Judith Butler

Der britische Historiker Niall Ferguson konstatiert: Europäische Staaten drohen fundamentale Aufgaben nicht mehr erfüllen zu können. Wohlstand und Frieden der jüngeren Vergangenheit haben das Vertrauen der Bürger in sich und ihre Institutionen schwinden lassen. Die Staatsgrenzen sind nur mehr dürftig geschützt; es besteht aufgrund der teilweise unkontrollierten Zuwanderung in die europäischen Staaten eine allgemeine Ungewissheit über Lage und Identität der neuen Bewohner. Für Ferguson ist dies das Resultat eines langen Erschlaffungsprozesses europäischer Bürgerlichkeit. Seine Konklusion: Selbstzufriedenheit führt in den Abgrund – oder wir rappeln uns auf!

Die amerikanische Philosophin Judith Butler sieht die grösste Gefahr nach den Terroranschlägen in Paris genau hier: in der möglichen Überreaktion eines vielleicht geschwächten, aber stets latent militanten Überwachungsstaates. Was, wenn sich der Rechtsstaat – eine der grossen zivilisatorischen Errungenschaften des Westens – im Zuge der Bekämpfung des Terrorismus in einen Polizeistaat verwandelt, der die eigenen, völlig verängstigten und deshalb alles und jedes abnickenden Bürger ins Visier nimmt? Ihre Konklusion: drei Schritte zurück, dann einen vor – bis dahin ist höchste Wachsamkeit und Selbstbefragung gefordert!

Die Positionen der beiden Intellektuellen sind wichtige Warnrufe in unübersichtlichen Zeiten. Sie formulieren Warnungen vor der fortschreitenden Erosion der Errungenschaften jüngerer europäischer Kultur zur richtigen Zeit. Auch wir fragen uns: Wo lauert de facto die grössere Gefahr – im aktuellen IS-Terrorismus, den der europäische Westen erschrocken und verzagt hinnimmt, oder im latenten Staatsmilitarismus, der die Freiheitsrechte beschränkt, indem er sie zu schützen vorgibt? Es ist die alte Debatte über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, die das liberale Lager immer wieder zu spalten bzw. zu zerreissen droht.

Klar ist: die Ghetto-Bildungen in grösseren europäischen Städten haben sich längst verfestigt. Über die Szene potentieller Islamo-Terroristen besteht in der Öffentlichkeit im besten Falle gut kaschierte Vagheit.

Ebenso klar ist indes: gerade Frankreich kennt besonders weitgehende Überwachungsgesetze – und dennoch vermochten die Geheimdienste und Sicherheitskräfte die jüngsten Anschläge nicht zu verhindern. Mehr Sicherheitskräfte bedeutet nicht zwangsläufig mehr Sicherheit – allerdings ist es auch keine Option, mit dem Verweis auf die vielen Verkehrs- und Grippetoten, deren Zahl jene der Terrorismusopfer übersteigt, einfach zum business as usual überzugehen. Dies wäre moralischer Selbstmord.

Wir haben uns darum entschieden, die Lagebeurteilung kontradiktorisch abzuhandeln. Keine Frage: der Terrorismus wird uns weiter
beschäftigen, ebenso wie der Kampf gegen ihn und die Bewahrung der Freiheit. Wir gehören nicht zu denen, die resignieren. Aber wir wissen auch: Die Verteidigung der Freiheit ist ein Mehrfrontenkampf.

Der ist nie einfach. Und er hört nie auf.

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Der Untergang Roms als Warnung an den Westen

Ich wiederhole nicht, was Sie bereits gelesen und gehört haben. Ich werde nicht behaupten, dass die Geschehnisse vom Freitagabend in Paris eine neue Stufe des Schreckens waren – sie waren es nicht. Ich sage nicht, dass die Welt an Frankreichs Seite steht, denn das ist eine hohle Phrase. Ebenso wenig werde ich François Hollandes Ankündigung erbarmungsloser Vergeltung Applaus spenden, denn ich glaube ihm nicht. Stattdessen sage ich Ihnen, was ich denke: So gehen Zivilisationen zugrunde.

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