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Vernunft und Leidenschaft

Ein Davis-Hume-Brevier

Als Zentralfigur der Schottischen Aufklärung gehört Hume (1711-1776) zu den Hausgöttern der Institutionen-Ökonomik. Das von Detmar Doering herausgegebene Brevier sammelt strategische Textpassagen, die Humes Erkenntnistheorie, seine Moral-, Rechts- und Staatsphilosophie, seine Wirtschaftspolitik, seine Kultur- und Religionsphilosophie beleuchten. Hume bietet uns eine solide erkenntnistheoretische Basis: Ein Satz ist wahr, dann und nur dann, wenn er eine zutreffende Darstellung ist. Nur beschreibende Sätze können wahr oder falsch sein; Normen und Werturteile haben keinen Wahrheitswert (S. 22). Hume begründete 1748 die subjektive Werttheorie: der subjektive Nutzen als Grundlage wirtschaftlichen Wertes. Diese Theorie gilt heute als Markenzeichen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. (Dass sie im deutschsprachigen Bereich um 1807 von G. Hufeland im Ansatz vorweg genommen wurde, ist weitgehend vergessen.) Sie war – wegen der Unfähigkeit der Planwirtschaft zur ökonomischen Kalkulation – eine Voraussetzung für die These von der «Unmöglichkeit des Sozialismus».

Hume betont, dass aus «Sein» kein «Sollen» ableitbar ist (Kap. 2). Aus Prämissen, die kein Werturteil enthalten, ist kein Werturteil und keine Norm («Soll-Satz») ableitbar. Denn in der Konklusion kann nur sein, was in den Prämissen, zumindest implizit, vorhanden ist. Das ist eigentlich selbstverständlich. Dennoch bemühen sich heute deutsche Philosophen, aus den Bedingungen des «herrschaftsfreien Diskurses» der idealen Kommunikationsgemeinschaft eine Ethik hervorzuzaubern, ernten damit Beifall und werden sogar zu Staatsphilosophen. Auch in diesem Bereich ist Humes Gedankenwelt ein aktuelles Antidot.

Das Kapitel «Moralphilosophie» ist Humes realistischem Menschenbild gewidmet. Für die Kleingruppe, die Gruppe, in der man sich berühren und daher rühren kann, gilt ein anderes Moralsystem als in Grossgesellschaften. Diese Einsicht wird später zum Ausgangspunkt von F. v. Hayeks Unterscheidung zwischen der Moral der Kleingruppe und der abstrakten Moral der Grossgesellschaft. Hume hat John Lockes Begriff der «self-ownership» übernommen: «Mein Leben gehört mir» (S. 47), so wie auch mein Körper, meine Fähigkeiten und das, was ich mit deren Hilfe erwerben konnte, mir gehören.

«Eigentum» ist für Hume das Set aller Entitäten, denn «Eigentum schafft Freiheit». Als Vordenker der Spieltheorie betont Hume, dass wir im Geschäftsleben wie im Alltag iterierte «Spiele» spielen, und dass somit die Reputation ein Aktivum ist, das kaum überschätzt werden kann: «Der gesellschaftliche Ruf schützt das Eigentum: Nichts berührt uns näher als unser Ruf.» Die Grossgesellschaft ist also nicht eine «anonyme Gesellschaft». Der Staat (Kap. 6) ist «nicht immer notwendig für die Gesellschaft». Humes These lässt sich leicht untermauern: Eine Gesellschaft kann auch ohne Staat entweder die Eigentumsrechte sichern, das heisst die Ausschliessungskosten (exclusion costs) aufbringen, oder sie kann es nicht. Wenn sie es kann, dann braucht sie keinen Staat. Wenn sie es nicht kann, dann hat sie gar nicht die sozioökonomische Struktur, die notwendig wäre, um einen Staat zu etablieren und zu tragen. Der Staat ist also entweder überflüssig oder unmöglich. Der Vorteil kleinerer, überschaubarer politischer Einheiten wird erkannt: «Freiheit belebt vor allem in kleinen Staaten von Natur aus den Gemeinsinn.» (S. 52). Humes Auffassung über die Entstehung des Staates ist ebenso realistisch wie sein Menschenbild. Der Ursprung des Staates ist Gewalt: Machtergreifung oder Eroberung (hier greift Hume auf Hobbes zurück). Die Theorie des Gesellschaftsvertrags ist für die Erklärung der Entstehung des Staates und für seine Legitimation unbrauchbar, und Hume liefert hervorragende Argumente gegen die von John Rawls vertretene Theorie der Gerechtigkeit, die auch unter Ökonomen ein Ansehen geniesst, das mit ihrer Begründung und mit ihrer Plausibilität im Widerspruch steht.

Hume ist auch ein Antidot gegen den weitverbreiteten Etatismus (zu dem auch der Ordoliberalismus zu zählen ist). Der Markt hat logische, und daher auch historische Priorität vor dem Staat. Die These vom Primat der Politik ist unzutreffend. Ein Rechtsrahmen erleichtert das Funktionieren des Marktes, aber er ist für dieses Funktionieren keine notwendige Bedingung. Tausch und Markt kann bereits im Rinnstein beginnen. Der Markt, «Sicherheit des Besitzes, sein Übertrag durch Zustimmung und das Halten von Versprechungen … Diese gehen demnach der Regierung voran.» (S. 74). (Der Ausdruck «Regierung» ist eine Wörterbuchübersetzung, die dem Kontext nicht gerecht wird. «Government» und «state» werden im Englischen oft als Synonyme verwendet; hier wäre «Staat» die richtige Übersetzung gewesen.)

Die Quelle der Macht erkennt Hume realistisch in der Meinung: Die Macht stützt sich auf die Meinung. Das gilt sowohl für politische Macht als auch für die Verfassung. Im Geiste Humes wäre es etwa so zu formulieren: Etwas wird so lange von den meisten respektiert, wie die meisten glauben, dass es von den meisten respektiert wird. Bei ungedecktem Papiergeld ist das besonders deutlich: Es hat Wert so lange, aber nur so lange, wie die meisten meinen, dass die meisten zu den Papierscheinen Vertrauen haben. Das Geld ist streng genommen kein Zahlungsmittel, sondern ein Tauschvermittler. Es gibt keine optimale Geldmenge, «da die Preise der Waren sich immer nach der Geldmenge richten…»

Unseren «Spitzenpolitikern» würde Hume die Leviten lesen: Er geisselt die verantwortungslose Haushaltspolitik, die «darauf vertraut, dass die Nachwelt die Schuldenlast ihrer Vorfahren abtragen werde». (S. 95). Hume war ein scharfer Beobachter der Volkswirtschaft und ein Kritiker der Umverteilungsideologie. Solange ein Finanzausgleich praktiziert wird, gibt es nach Humes realistischem Menschenbild keine vernünftige Haushaltspolitik. Verteilungsgleichheit führt zur allgemeinen Verarmung. Hemmt man die Entfaltung solcher Tugenden wie «Geschicklichkeit, Sorgfalt und Arbeitsamkeit» – Tugenden, die die Frankfurter Schule abwertend «Sekundärtugenden» nennt – «so drückt man die Gesellschaft auf das Niveau äusserster Dürftigkeit herab, und anstatt der Not und Armut bei wenigen zu steuern, macht man sie für die Gesamtheit unabwendbar». (S. 100).

Ein Argument, das auch Gerd Habermann, der die gesamte Brevier-Reihe betreut, treffend ins Feld zu führen pflegt. Hume ist also auch für die Sozialpolitik («Bürgerversicherung» etc.) der rot-grünen Koalition der BRD hochaktuell. Im konträren Gegensatz zu Hume sagt Kant: «Denn wenn keiner die Güter des Lebens mehr an sich ziehen möchte als der andere, so wären keine Reichen, aber auch keine Armen.» (Eine Vorlesung Kants über Ethik, hg. von Paul Menzer, Berlin, 1924, S. 246.).

Hardy Bouillon hat dazu bemerkt: Der erste Halbsatz ist wahr, der zweite ist falsch – es gäbe nur Arme. Dem lässt sich folgendes hinzufügen: Auf die Dauer wären wohl beide Halbsätze wahr, aber in einem anderen Sinn, als Kant sich gedacht hat: Letzten Endes gäbe es weder Reiche noch Arme – denn die Menschheit würde nicht überleben. Anstelle des kategorischen Imperativs, könnte ein Hume-Schüler den «kategorischen Komparativ» vorschlagen.

Und das Jenseits? Gemäss seinem realistischen Menschenbild schreibt Hume 1752 (postum veröffentlicht 1779): «Meine erste Bemerkung lautet, dass der Aberglaube vorteilhaft für die Priester ist […] Je stärker aber die Beimischung des Aberglaubens ist, desto grösser ist das Ansehen der Priesterschaft.» (S. 122). Es ist zu bedauern, dass für Humes Schriften im Brevier nirgends das Jahr der Erstveröffentlichung angegeben ist (weshalb der Rezensent dies ergänzt hat), dass es keinen Index gibt, und dass das Buch schlecht gebunden ist. Insgesamt verdient das Brevier jedoch höchstes Lob. Es sollte zum Vademecum werden für Ökonomen, Politiker und für alle an Wirtschaft und Politik Interessierten.

Gerard Radnitzky ist emeritierter Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Trier.

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