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Vermisst: Eine offensive urbane Verkehrspolitik der Bürgerlichen
Leroy Bächtold, zvg.

Vermisst: Eine offensive urbane Verkehrspolitik der Bürgerlichen

Nur Parkplätze verteidigen reicht nicht: Die bürgerlichen Parteien müssen in der städtischen Verkehrspolitik auf Innovationen setzen – zum Beispiel Park&Ride-Angebote oder Private-Public-Partnerships bei Grossprojekten.

 

Bürgerliche Parteien tun sich in den urbanen Zentren schon länger schwer damit, die Politik zu prägen, weil ihnen zum einen die Mehrheiten und zum ­anderen die Visionen zu städtischen Themen fehlen. Das Thema Mobilität bildet dabei leider keine Ausnahme. Mit ihrem langjährigen Kampf gegen den Abbau von Parkplätzen stehen sie in einem Rückzugsgefecht. Sie vertreten dabei zwar ein Anliegen der bürgerlichen Kernwähler; über sie hinaus lässt sich jedoch kaum ein Städter für das Parkplatzproblem begeistern. Tatsache ist, dass seit kurzem die Mehrheit der Haushalte in der Stadt Zürich autofrei ist.1 Eine erfolgreiche Mobilitätspolitik kann daher nicht nur aus Sicht des Autofahrers gemacht werden, denn Mobilität wird auch von Städtern ohne Auto als ein wichtiges Thema angesehen. Auf die Frage nach den aktuell grössten Problemen in der Stadt Zürich haben die Bewohner am häufigsten den Verkehr genannt (48 Prozent), namentlich Verkehrsbehinderungen und den Mangel an Velowegen.2

Statt mit innovativen Ansätzen sind die Bürgerlichen bisher mit unausgegorenen Vorstössen aufgefallen. Doch Ideen wie eine Autobahnbrücke über das beliebteste Stadtzürcher Flussbad oder höhere Bussen für Velofahrer konnten nicht aufzeigen, wie sie die Mobilitätsproblematik mit einem Mehrwert lösen wollen.

Linkes Versagen

Die Stadt Zürich wird seit 1990, als die Linke im Gemeinderat und im Stadtrat die absolute Mehrheit errang, links-grün regiert. 32 Jahre später ist die Unzufriedenheit mit der Verkehrssituation riesig, und das, obwohl Verkehr respektive Velopolitik links-grüne Kernthemen sind. Was Linke bei anderen Gelegenheiten den Bürgerlichen gerne immer wieder vorwerfen, scheint hier in der Tat zuzutreffen: Die Probleme werden bewirtschaftet statt gelöst.

Die Liste fragwürdiger linker Mobilitätsprojekte ist lang, sehr lang. Die wohl radikalste Forderung kam von den Jungsozialisten und zeigt die eigentliche Ideologie von links sehr schön auf. Der motorisierte Individualverkehr soll aus dem Stadtbild verschwinden, ersatzlos. Bedenken um Wohlstand, Privateigentum, Entscheidungsfreiheit – alles zweitrangig. Wichtig ist die eigene Idee einer Stadt mit heimeliger Ballenberg-Dorfromantik.

Doch auch mit weniger radikalen Projekten soll die Stadt Stück für Stück vom motorisierten Individualverkehr befreit werden. So unternahm die Stadt zusammen mit der Schweizer Post grosse Anstrengungen für ein eigenes Velosharing-Angebot, das Anfang 2022 nach enormen Verlusten verkauft wurde. Von 2011 bis 2019 häufte Publibike ein Defizit von 11 Millionen Franken an; es dürfte bis zum Verkauf wohl nochmals deutlich höher ausgefallen sein. Das Bedenklichste daran ist, dass es Private gibt, die Velosharing anbieten. Statt diese zu fördern, werden sie mit hohen Gebühren drangsaliert, die der städtische Anbieter nicht entrichten musste.3 Ein an sich funktionierender freier Markt wurde so torpediert.

Das neue Herzensprojekt des Stadtrats heisst «generell Tempo 30». Nachdem der Aufschrei gross war, ist der Stadtrat teilweise zurückgerudert und spricht nun von Tempo 30 in dicht besiedelten oder stark von Lärm geplagten Gebieten. Zwar sollen in diesem Beitrag innovative ­Lösungen im Vordergrund stehen, doch ist es auch essenziell, dass man sich dem Feldzug gegen den motorisierten Verkehr widersetzt. FDP und SVP zielen hier mit der kantonalen «ÖV-Initiative», die sich gegen Behinderungen des öffentlichen Verkehrs richtet, auf kreative Weise in die richtige Richtung.

Es ist schon beinahe ironisch: Nachdem die Linke die Verkehrsproblematik seit 1990 nicht lösen konnte, hofiert man mit der «Critical Mass» einer unbewilligten, monatlich stattfindenden Demonstration, die ebendieses Versagen als Raison d’être pflegt – und selber regelmässig massgeblich zum Verkehrschaos beiträgt.

Die Problematik ist schnell skizziert und spiegelt sich auch in der Bevölkerungsbefragung wider. Neben den indirekten Problemen wie Umweltverschmutzung und Lärm­belastung der Bevölkerung gibt es auch ganz direkte: Der limitierte Platz in der Stadt führt zu Verkehrsüberlastung und der Frage, ob man den wertvollen Stadtboden mit Strassen zupflastern will. Im Mischverkehr entstehen gefährliche Situationen, und generell Tempo 30 führt zu ­einer Aufgabe der Strassenhierarchie und dadurch zu Umgehungsverkehr auf Quartierstrassen.

 

«Ein gewisser ­motorisierter Verkehr gehört zum
Stadtbild und ist speziell für das Gewerbe zentral.»

 

Vor diesem Hintergrund dürfte im Grundsatz ein breiter Konsens bestehen, dass man aus stadtplanerischer Sicht den motorisierten Individualverkehr möglichst auf ein Minimum reduziert und insbesondere Freizeit- und Durchgangsverkehr vermeidet. Klar ist aber auch, dass ein gewisser motorisierter Verkehr zum Stadtbild gehört und speziell für das Gewerbe zentral ist.

Parkhäuser an den Bahnhöfen Uster und Dietikon

Wie erreicht man als Stadtplaner diese Ziele? Der öffent­liche Verkehr hat in der Stadt Zürich einen Kosten­deckungsgrad von 65 Prozent.4 Mein Stadtzürcher Jahresabo zum Preis von 782 Franken wird also vom Steuerzahler mit 421 Franken subventioniert. Dies dürfte aber vor allem ­einen positiven Effekt auf bereits in der Stadt Zürich wohnhafte Personen haben.

Wer hingegen aus der Agglomeration mit dem Auto in die Stadt gefahren ist, wird für die letzte Meile nicht mehr auf den öV umsteigen. Gegensteuer ­geben könnte man mit umfangreichen Parkhäusern und Park&­­Ride-Angeboten an den Einfallsachsen. Ergänzt man die Bahnhöfe Uster, Dietlikon, Dietikon und Affoltern a.A. mit Parkhäusern und bietet attraktive Preismodelle für die Weiterfahrt mit dem Zug an, lässt sich ein Grossteil des Verkehrs aus der Agglo abfangen – was die Strassen in der City entlastet.

Ein weiteres Vorhaben, das einen Anreiz schaffen soll, nicht mit dem Auto quer durch die Stadt zu fahren, wurde schon mehrmals angegangen und immer wieder verworfen: der Seetunnel. Die grösste Problematik sind die hohen Kosten. Wieso hier nicht eine Private-Public-Partnership lancieren? Private könnten die Kosten für das Projekt übernehmen und mit einer zeitlich begrenzten Maut refinanzieren. Das Risiko läge bei Privaten, das Verkehrssystem könnte entlastet werden, und wer gerne mit dem Auto die Stadt unterqueren möchte, und das ohne Stau auf der Quaibrücke, würde dies mitfinanzieren.

Deutlich unbeliebter ist das Abwälzen von (negativen) Externalitäten. Im Verkehr kann man diverse Effekte als Externalitäten definieren; die prominentesten sind wohl die Umweltverschmutzung, die Lärmbelastung und der Platzverbrauch – wobei städtischer Raum besonders begehrt, also wertvoll ist. Will man diese Externalitäten einpreisen, landet man schnell bei einem Mobility-Pricing-System, ähnlich der Maut für einen Seetunnel. Beim Mobility Pricing würde man jedoch nicht nur das Befahren des Tunnels bepreisen, sondern grossflächig Gebühren erheben. Aus städtischer Sicht ergäbe es wohl Sinn, Kosten beim Befahren der Einfallsachsen zu erheben, wenn man vorzugsweise Verkehr aus der Agglomeration fernhalten und nicht Stadtzürcher mit höheren Autogebühren diskriminieren möchte. Stockholm hat ein solches System mit grossem Erfolg eingeführt. Die Autokennzeichen werden bei den Einfallsachsen gescannt, und Ende des Monats erhält man eine Rechnung. Um das Gewerbe zu entlasten, gäbe es die Möglichkeit von Rabatten oder Ausnahmen für Gewerbetreibende.

Will man den ganz grossen Wurf wagen, müsste man aber national denken. Mit einer weiteren Verschiebung weg vom Verbrenner hin zum Elektromotor wird die Strassenfinanzierung durch die Mineralölsteuer zwangsläufig auslaufen. Nun kann man entweder die Fahrzeugsteuern erhöhen oder auf ein Mobility Pricing umschwenken, das den Vorteil hat, dass die Kosten auf den effektiven Gebrauch anfallen. Würde am Monatsende eine Abrechnung mit den zurückgelegten Kilometern auf Nationalstrassen, Kantonsstrassen und dem Befahren von Stadtzentren versendet, hätte der Autofahrer einen guten Indikator dafür, was er an öffentlichen Strassen beansprucht hat. Eine umfassende Lösung bezöge dort auch gleich den öV ein und würde damit die externen Kosten vollständiger einpreisen. Dies gäbe der Bevölkerung ein echtes Gefühl für die effektiv verursachten Kosten.

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