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Verleger, wo seid ihr?

Wir leben in der Schweiz, einer weitverbreiteten Meinung zufolge, in der besten aller Pressewelten. Die Medienfreiheit ist nach Artikel 17 der Bundesverfassung gewährleistet, Zensur verboten. Jeder Bürger und Journalist kann seine Meinung frei äussern und verbreiten. Wenn die Bedingungen für Medien- und Meinungsfreiheit erfüllt sind, muss dies automatisch zu Meinungsvielfalt führen, da unterschiedliche Menschen unterschiedlich […]

Wir leben in der Schweiz, einer weitverbreiteten Meinung zufolge, in der besten aller Pressewelten. Die Medienfreiheit ist nach Artikel 17 der Bundesverfassung gewährleistet, Zensur verboten. Jeder Bürger und Journalist kann seine Meinung frei äussern und verbreiten. Wenn die Bedingungen für Medien- und Meinungsfreiheit erfüllt sind, muss dies automatisch zu Meinungsvielfalt führen, da unterschiedliche Menschen unterschiedlich denken. Und wird dieser Befund nicht durch die Empirie gestützt? Die Schweiz verfügt, gemessen an der Bevölkerungszahl, weltweit über eine der höchsten Dichten unterschiedlicher nationaler, regionaler und lokaler Zeitungen.

Das ist die Geschichte, die wir uns und anderen gerne erzählen. Sie ist, um einen modischen Ausdruck zu verwenden, Mainstream. Nur leider stimmt sie nicht, jedenfalls nicht ganz.

Medienfreiheit ist zweifellos eine notwendige Bedingung für Medien- und Meinungsvielfalt, aber sie ist nicht hinreichend. Dieser kleine, aber feine Unterschied wird im aktuellen Mediendiskurs zu wenig gewürdigt. Und ich stelle die ketzerische Frage: Kann man wirklich von echter Meinungsfreiheit sprechen, wenn die Meinungsvielfalt ziemlich einfältig ist?

Demokratischer Höflingsgeist

Jene Demokraten, die immer und überall bloss den Status quo verteidigen, werden sich an diesem Befund stossen, aufgeklärte Demokraten wissen es längst: In jener Staatsform, in der die Mehrheit den Ton angibt, herrscht auch eine diffuse Mehrheitsmeinung vor. Alexis de Tocqueville hat diesen Mechanismus bereits vor über 150 Jahren am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika erstaunlich präzise beschrieben. Der Bürger glaubt das, von dem er glaubt, dass die Mehrheit es glaubt. Das Paradoxe daran ist, dass dieser Mechanismus erst den Mainstream schafft, den er voraussetzt. Und so können es klug agierende Minderheiten sein, die am Ende die öffentliche Meinung bestimmen. Wer innerhalb der Grenzen der Mehrheitsmeinung denkt, ist hochwillkommen. Aber wehe, einer wagt es, auszubrechen. Demokraten neigen entgegen eigener Einschätzung zu konformistischem Verhalten. Tocqueville nennt dies den demokratischen «Höflingsgeist».

Die Anwendung dieser Einsicht auf die modernen, massenmedial animierten Demokratien ist dem Philosophen Peter Sloterdijk zu verdanken. Was ist es, das die Bürger der grossen, anonymen Gesellschaft zusammenhält? Der gemeinsame Themenstress, der von den Medien mittlerweile Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche erzeugt wird. Sich selbst verstärkende Stresswellen branden über die Gesellschaft, deren Zusammenhalt sie dadurch erst erzeugen. Zur Gesellschaft gehört, wer sich von denselben Themen und Personen stressen lässt. Innerhalb der Medienwelt formiert sich dabei analog zum demokratischen Diskurs selbst ein Themen- und Meinungsmainstream. Sloterdijk sagt es treffend: «Der Journalist ist per se ein Hybrid, Innovator und Imitator in einer Person. Manchmal kann er selbst als Erreger erfolgreich sein, wenn er als erster ein Thema lanciert, aber vom Berufsbild her ist er überwiegend Mitschwimmer in Erregungswellen.» Was die Journalisten und Medien voneinander unterscheidet, ist einzig noch der Primeur, der zeitliche Vorsprung, der in einer elektronisch vernetzten Welt sogleich wieder dahinschmilzt. Und dann wissen wiederum alle, was alle schon wissen bzw. zu wissen glauben.

Die grosse Einfalt

Publizistischer Mainstream ist die Tendenz aller Medien, dieselben Quellen zu verwenden (Agenturen, Fernsehkanäle), dieselben Informationen zu verarbeiten (Herdentrieb aus Angst, etwas zu verpassen), ist der unkritische gegenseitige Austausch der Informationen ohne eigene Recherchearbeit, das gegenseitige Übernehmen von Fernsehthemen durch die Zeitungen und von den Sonntagszeitungen durch das Fernsehen. Alles wird immer schneller und schriller und gleichzeitig gleicher und einfältiger. Die grösste Einfalt haben mittlerweile die sogenannten Forumszeitungen oder politischen Diskussionssendungen erreicht, die ja gerade eine Pluralität von Meinungen abbilden sollten. Die Differenzen unter den Autoren und Gästen sind nur noch für Medientheoretiker überhaupt ersichtlich.

In einer solchen Welt hat es schwer, wer wirklich abweichende Meinungen vertritt. Vor 1989 war der Meinungsmainstream in der Schweiz freisinnig-korporatistisch-konservativer Art, heute ist es der sich selbst Linksliberalismus nennende Sozialdemokratismus, der den Ton angibt. Hätte sich die Mehrheit der Bürger nicht längst an das sanfte Rieseln des etatistisch-egalitaristisch-ökologistisch-keynesianischen Mainstreams gewöhnt, sie würde die meisten Zeitungskommentare, Radiomoderationen, Talksendungen nur schwer ertragen.

Ich habe eingangs die Frage gestellt, ob von Meinungsfreiheit gesprochen werden kann, wo Meinungseinfalt herrscht. Meine Antwort ist klar: nein. Wo Vielfalt der Meinungen nicht gegeben ist, ist die Meinungsfreiheit de facto eingeschränkt. Meinungsvielfalt ist nicht nur Ausdruck von Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit kann nur dort blühen, wo Meinungsvielfalt de facto herrscht. Womit sich die entscheidende Frage stellt: Wie lässt sich Meinungsvielfalt sicherstellen?

Eine eigene Meinung muss man sich, wie die linke Wochenzeitung (WOZ) schön formuliert, leisten können. Unabhängigkeit ist die Bedingung für eine eigene Meinung, für den Bürger ebenso wie für den Redaktor, geistige, persönliche und finanzielle Unabhängigkeit. Die immer populärere Idee, dem Staat aufzutragen, die Meinungsvielfalt durch Subventionen an die Medien zu ermöglichen, ist deshalb grundfalsch. Dadurch werden bloss neue Abhängigkeiten geschaffen. Aus staatlicher Sicht kann es sich durchaus lohnen, wenn der Staat sich gefügige Medien schafft, aus Sicht der Bürger und Medienkonsumenten wäre dies fatal. Es wäre aber immerhin konsequent: die Perfektion des etatistischen Mainstreams, staatlich approbiert.

Bedingungen für Vielfalt

Was also braucht es, damit sich Meinungsvielfalt einstellt? Es braucht zuerst einmal

– zahlreiche verschiedene Medien und Presseerzeugnisse (I),

– zahlreiche Trägerschaften von Medien (II).

Nur eine grosse Zahl von Medien schafft das Umfeld, das der Meinungsvielfalt förderlich ist, doch reicht die Zahl allein nicht aus. Es braucht auch eine Vielzahl Trägerschaften, die voneinander unabhängig sind. Medienkonzerne brüsten sich oft mit der Vielfalt der aus ihrer Hand angebotenen Erzeugnisse. Doch sind Medienkonzerne zumeist nur Feigenblätter der Vielfalt. Allzu viele Inhalte, Berichte, Kommentare, Interviews werden gemeinsam und mehrfach verwendet – und bedauerlicherweise findet in der Schweiz gerade die grosse Umrüstung statt, die solches Produzieren begünstigt. Ringier hat den Newsroom längst etabliert, Tamedia zieht nach, und die NZZ hat jüngst ebenfalls ihre Konvergenzstrategie bekanntgegeben: Zentrales Element ist das zentrale Content Management System. Inhalte aller Art erscheinen in den einzelnen Konzernmedien nur noch in unterschiedlicher Verpackung, die einzelnen Erzeugnisse und Medien sind gleichgeschaltet. Wegen der visuellen Differenzierung ist der Konzerneintopf allerdings schwer zu diagnostizieren, und wiederum sind es bloss die Medienexperten, die die feinen Unterschiede überhaupt noch wahrzunehmen vermögen.

Meinungsvielfalt ist in manchem grossen Medienkonzern aber auch noch aus einem andern Grund bloss graue Theorie. Die Fixierung auf stets wachsende Gewinne in Konzernen, die anonymen Eigentümern gehören, die sich bloss als Investoren verstehen, führt zu einem anpasserischen redaktionellen Kurs: möglichst viele Leser, Zuschauer und Zuhörer, um möglichst viel Werbefläche zu verkaufen bzw. möglichst viele Klicks zu generieren. Die Medien stehen im Dienste der Werbung – und nicht umgekehrt, wie es einmal gedacht war. Es ist nicht das an sich wichtige und richtige Gewinnstreben, das den publizistischen Mainstream begünstigt, sondern vielmehr eine falsche, bloss auf Quantität setzende Ausrichtung am Leser. Dieses Geschäftsgebaren verträgt sich nicht mit klaren Stellungnahmen, Gegensichten, angriffigen Meinungen.

Unabhängige Verleger

Deshalb braucht es – und das ist der dritte und entscheidende Punkt (III) – wieder unabhängige Verleger, profilierte Persönlichkeiten, die Prinzipien haben und den Mut haben, auch unbequeme Kommentare zu veröffentlichen, Journalisten nach politischen Überzeugungen auszuwählen, profilierte Entscheide zu treffen, inhaltlich wie personell. Und das selbst dann, wenn dabei Sympathien in der Öffentlichkeit strapaziert werden und Gewinne aufs Spiel gesetzt werden. Der Verleger ist bereit, für seine Überzeugungen auch Aufmerksamkeitsverluste in Kauf zu nehmen, solange eine solide unternehmerische Basis gegeben ist. Er hat eine doppelte Mission: für Werte zu stehen und Gewinn zu erwirtschaften. Die «Weltwoche» ist hierfür ein gutes Beispiel; sie schaut als einziges Medium der Finma und der Nationalbank auf die Finger, sie hat die kriminellen Machenschaften osteuropäischer Roma erstaunlich sachlich thematisiert. Auch die WOZ zeigt, wie es geht, wenn in ihrem Fall der Verleger auch ein Kollektiv ist, das Kollektiv der Redaktoren – sie fährt einen prononciert sozialistischen Diskurs ohne Rücksicht auf Verluste, wartet in der Frage der Atomenergie und der Entwicklungshilfe immer wieder mit kritischen, lesenswerten Beiträgen auf.

Nie hat es mutige, unabhängige Verleger mehr gebraucht als heute. Sie leisten einen wichtigen und richtigen Beitrag zu echter Meinungsvielfalt – und damit zu unserer Meinungsfreiheit. Sie haben die Anerkennung der Demokraten, Bürger und Medienkonsumenten verdient. Es ist zu wünschen, dass jene von ihnen, die noch schlummern, endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen.

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