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Verhängnisvolle Selbstdeklaration
Helen Joyce, zvg.

Verhängnisvolle Selbstdeklaration

Zu den transaktivistischen Forderungen zählt, dass alle ihr Geschlecht selber festlegen dürfen. Diese Überzeugung wird der Gesellschaft aufgezwungen.

 

Es geht um eine Idee, die simpel scheint und dennoch weitreichende Konsequenzen hat. Diese Idee besagt, dass Menschen nicht gemäss ihrer Biologie, sondern gemäss ihrem Fühlen und ihrer eigenen Aussage als Männer oder als Frauen gelten sollen. Sie heisst geschlechtliche Selbstidentifikation (Gender Self-Identification) und ist der Leitgedanke eines sich rapide ausbreitenden Glaubenssystems, das davon ausgeht, dass jeder und jede über eine Geschlechtsidentität verfüge, die entweder mit dem Körper übereinstimmt, der sie beherbergt, oder nicht. Dort, wo es keine Übereinstimmung gibt, gilt eine Person als «Transgender» – kurz trans –, wobei nicht der Körper, sondern die Identität darüber ­entscheiden soll, wie alle anderen sie sehen und behandeln.

Die Anfänge dieses Glaubenssystems reichen fast ein Jahrhundert zurück, als Ärzte erstmalig den Sehnsüchten einiger ­weniger junger Menschen, die das Geschlecht wechseln wollten, Gestalt zu geben versuchten. Jahrzehntelang gab es nur vereinzelte «Transsexuelle», um die sich eine Handvoll querdenkender Mediziner kümmerte, die Hormone zur Verfügung stellten und Operationen vornahmen, um die Körper der Patientinnen und ­Patienten soweit möglich deren Begehren anzupassen. Bürokraten und Regierungen behandelten sie wie Ausnahmen, denen in der Gesellschaft in unterschiedlichem Ausmass mit Kompetenz und Mitgefühl begegnet wurde.

Seit der Jahrhundertwende ist aus der Ausnahme jedoch die Regel geworden. Nationale Gesetzgebungen, Firmenrichtlinien, Lehrpläne, ärztliche Vorschriften, akademische Forschung und Medienleitfäden werden umgeschrieben, um dem biologischen ­Geschlecht selbsterklärte Geschlechtsidentitäten vorzuziehen. Räume, die geschlechtergetrennt waren – von Toiletten und Umkleiden bis zu Unterkünften für Obdachlose und Gefängnissen –, schalten auf Geschlechtsidentität um. Indes outen sich immer mehr Menschen als trans, in der Regel ohne sich irgendeiner medizinischen Behandlung zu unterziehen. Es besteht Klärungsbedarf, warum dies geschah und warum so schnell. Entwicklungen an den Universitäten spielten eine zentrale Rolle. Einst setzten Feministinnen (manche tun dies noch immer) auf das Wort «Gender», um damit die gesellschaftliche Wahrnehmung weiblicher Menschen als minderwertig zu benennen. Vereinfacht gesagt steht Geschlecht (sex) für eine biologische Kategorie, während die Geschlechterrolle (gender) eine historische ist; sex ist der Grund, warum Frauen unterdrückt werden, gender ist die Art und Weise, wie dies geschieht.

Doch in den 1990er Jahren wurde das Wort entwendet, um damit einen Diskurs zu bezeichnen – oder, in den Worten Judith Butlers, der Doyenne der Gender Studies und der Queer Theory, «eine Imitation, für die es kein Original gibt». Und so wurde in diesen akademischen Disziplinen, die dem Einfluss des franzö­sischen Postmodernismus der 1960er Jahre auf dem amerikanischen Campus entwachsen sind, aus einem Mann und aus einer Frau jemand, der beziehungsweise die Männlichkeit und Weiblichkeit performte, die wiederum nur deshalb bedeutsame Stereotypen – Möglichkeiten zur Selbstdarstellung wie Bekleidung, Frisur und Verhaltensweisen sowie Hobbies und Karrieren – seien, weil sie immer und immer wiederholt würden. Im vergangenen Jahrzehnt ist dann die dünne Anbindung, die diese Stereotype noch zur ­objektiven Realität unterhielten, gekappt worden. In der vereinfachten Version des neuen Gelöbnisses, die sich zu einer Orthodoxie sozialer Gerechtigkeit verhärtet hat, ist «Gender» längst nichts mehr, das performt wird. Es ist angeboren und unbeschreiblich: etwas wie eine vergeschlechtlichte Seele.

Die Regeln werden umgeschrieben

Als es sich bei den wenigen Menschen, die sich aus ihrem Geschlecht heraus identifizierten, um die kleine Zahl postoperativer Transsexuellen handelte, hatte dies nur wenig Einfluss auf andere. Die Geschlechtsidentität jedoch, die von der heutigen Ideologie postuliert wird, ist vollständig subjektiv, und die Zahl der Transmenschen ist weitaus grösser. Hierunter fallen nun Crossdresser sowie Personen, die sich wie typische Angehörige ihres Geschlechts präsentieren, sich aber gegenteilig definieren – oder eine gänzlich neue Identität verkünden: nichtbinär oder genderfluid etwa. Nur wenige davon haben irgendeine Genitaloperation vornehmen lassen. Was gefordert wird, ist nicht mehr Flexibilität, sondern eine Neudefinition dessen, was es für jeden und jede heisst, Mann oder Frau zu sein – ein totales Umschreiben gesellschaftlicher Regeln.

Oftmals wird geschlechtliche Selbstidentifikation als der Bürgerrechtskampf dieser Generation beschrieben. Und sie wird bisweilen von denselben Organisationen befördert, die für die Frauenemanzipation, für die Aufhebung der Rassentrennung im Süden der USA oder für die gleichgeschlechtliche Ehe gestritten haben. Zu fordern, dass geschlechtliche Selbstidentifikation dem Geschlecht übergeordnet sein solle, dient nicht – wie im Falle genuin bürgerrechtlicher Anliegen – dazu, die Privilegien, die eine vorrangige Gruppe ungerechterweise gehütet hat, auf eine randständige auszuweiten.

In keiner Gesellschaft verhielten sich Menschen – nirgends, niemals – unbeirrt zum Geschlecht derjenigen, die sich in ihrer Nähe aufhielten, und ganz besonders nicht in Situationen, die Nacktheit oder Körperkontakt einschlossen. Und in allen Gesellschaften ist die überwältigende Zahl der Gewalttaten, sexuellen Übergriffe und Drangsalierungen, die weibliche Menschen ertragen mussten – überall, immer –, von männlichen ausgegangen. Eingeschlechtliche Räume existieren aus diesem Grund, nicht um Privilegien zu stützen oder um sich gängigen Vorurteilen anzubiedern. Zudem ist es logisch unmöglich, Angehörigen des einen Geschlechts Zutritt zu Räumen zu gewähren, die für das andere bestimmt sind, und diese dennoch als eingeschlechtliche zu wahren. All dies ist so offenkundig, dass es merkwürdig ist, es überhaupt sagen zu müssen – bis geschlechtliche Selbstidentifikation vor ein paar Jahren damit begann, Schule zu machen, hatte es auch keinen Grund gegeben, das zu tun.

Den meisten Menschen ist unklar, was von Transaktivisten gefordert wird. Sie meinen, dass der Ruf nach «Transrechten» bedeute, mitfühlende Konzessionen zu machen, die es einer leidenden Minderheit ermöglichen, ein erfülltes Leben in Sicherheit und in Würde zu leben. Dahinter stehe ich genauso wie jede andere Kritikerin der Geschlechtsidentitätsideologie, mit der ich gesprochen habe. Die meisten – ich eingeschlossen – favorisieren zudem körperliche Autonomie für Erwachsene. Eine liberale, säkulare Gesellschaft kann viele unterschiedliche, subjektive Glaubens­systeme aufnehmen, auch sich gegenseitig widersprechende. Was sie jedoch niemals tun darf, ist, die Überzeugungen einer Gruppe ­allen anderen aufzuzwingen.

Die anderen Glaubenssysteme, die moderne Gesellschaften integrieren, werden im grossen und ganzen privat ausgelebt. Man kann sich allein oder gemeinsam mit anderen Gläubigen der Lehre von der Reinkarnation oder von der Wiederauferstehung zuwenden. Geschlechtliche Selbstidentifikation ist jedoch eine Forderung nach Bestätigung durch andere. Das Etikett ist eine Fehl­bezeichnung. Es geht dabei tatsächlich darum, dass andere einen als demjenigen Geschlecht zugehörig identifizieren, das man selbst proklamiert. Da die Evolution Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet hat, das Geschlecht anderer Menschen nahezu auf Anhieb und mit herausragender Genauigkeit festzustellen, gehen nur wenige Transmenschen als ihr Wunschgeschlecht durch. Und um sie als solches zu sehen, müssen alle anderen ignorieren, was ihnen ihre Sinne sagen.

Meinen Einwänden gegen geschlechtliche Selbstidentifikation liegt ein wissenschaftlicher Fakt zugrunde: Geschlecht verfügt über eine objektive Grundlage, die anderen sozial auffälligen Kategorien wie «Rasse» oder Nationalität fehlt. Sexualdimorphismus – in den beiden Geschlechtern männlich und weiblich – tauchte auf der Erde vor 1,2 Milliarden Jahren erstmalig auf. ­Säuger – Tiere, die ihren Nachwuchs wie der Mensch in sich ausbilden, statt Eier zu legen – datieren 210 Millionen Jahre zurück. In dieser Zeit hat nie ein Säugetier das Geschlecht gewechselt (was andere Tiere, die keine Säuger sind, können, Krokodile und Clownfische beispielsweise). Männer und Frauen haben sich ­deshalb über lange Zeit und unter divergierenden Auslesezwängen entwickelt, die männliche und weibliche Körper und Psychen auf Weisen geformt haben, die von profunder Wichtigkeit für ­Gesundheit und Glück sind. Für das Social Engineering wird sich die Geschlechterdifferenz als nicht sonderlich biegsam erweisen, egal, wie sehr sich manche das auch wünschen.

Manipulierte Kinder

Ich habe einige der ergreifendsten Opfer der Geschlechtsidentitätsideologie getroffen. Es handelt sich um Detransitioner: Menschen, die hormonelle und manchmal operative Schritte in Richtung Transition unternommen haben, nur um festzustellen, dass sie einen katastrophalen Fehler gemacht haben. Als ich ihre Geschichten hörte, wusste ich, dass ich sie vervielfältigen musste.

Manche, mit denen ich gesprochen habe, sind junge Lesben, die zum Schluss gekommen waren, dass ihre geschlechtliche Nonkonformität bedeute, dass sie eigentlich Männer seien. Bei anderen handelte es sich um junge schwule Männer, deren Eltern es vorgezogen hatten, in ihren kleinen Buben «in Jungenkörpern gefangene Mädchen» zu sehen, statt vermutlich zukünftige Homosexuelle. Die Übereinstimmung mit Merkmalen, die auf Autismus-Spektrums-­Störungen hinweisen, ist viel höher als im Rest der Bevölkerung. Hierunter fallen Gefühle der Dissoziation, die als Geschlechterdysphorie gedeutet werden können, sowie rigides Denken, was manche dazu verleiten kann, dass das Abweichen von Geschlechterstereotypen jemanden trans mache. Junge Frauen mit Essstörungen sind überproportional vertreten. Und nicht wenige davon waren schlichtweg Teenager, denen es schlecht ging und die nach einer Gemeinschaft und nach Bestätigung suchten.

Ideen haben Konsequenzen, und eine Konsequenz geschlechtlicher Selbstidentifikation ist, dass Kinder manipuliert werden und Schäden erleiden. Wenn man das einmal erkannt hat, ist es schwierig, wegzuschauen.


Der vorliegende Text ist ein Auszug aus der Einleitung von Helen Joyces Buch «Trans. When Ideology Meets Reality», das im Juli 2021 erscheint. Wir bedanken uns bei One World Publishing für die freundliche Erlaubnis zum Vorabdruck.

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