
Vergänglichkeit im Wandel
Die Art und Weise, wie heute gestorben wird, unterscheidet sich erheblich von früher. Neu sind der Trend zur Kremation oder Wünsche nach einem digitalen Nachleben.
Wir alle werden sterben. Der Tod, so hört man oft, sei die einzige Gewissheit, die Menschen über kulturelle, geografische und soziale Grenzen hinweg teilten. Während es sich hierbei um eine biologische Tatsache handelt, ist der Umgang mit dieser kulturell geprägt und wird gesellschaftlich immer wieder neu verhandelt. Wie soll das Lebensende aussehen? Wie werden wir bestattet? Was kann Trost spenden? Das Vögele-Kultur-Zentrum in Pfäffikon SZ hat dieses Jahr eben solchen Fragen die Ausstellung «Der Tod, radikal normal» gewidmet. Der Tod: radikal, gewiss – aber ein Tabu, wie man oft hört? Das greift zu kurz. Das Bedürfnis, über den Tod zu sprechen, sich auszutauschen und Erfahrungen zu teilen, ist gross. Immer mehr Menschen machen von den Möglichkeiten hierzu auch ausserhalb des kirchlichen Kontextes Gebrauch, sei es in Trauercafés, in Internetforen oder in politischen Diskussionen.
Dabei sind wir bei immer mehr Fragen angehalten, Stellung zu beziehen und uns zu entscheiden. «Selbstbestimmung» ist hier das grosse Schlagwort. Neben Fragen um Patientenverfügung, Organspende und Sterbehilfe treten auch Fragen von Pietät und von Richtig und Falsch im Zwischenmenschlichen. Welches Verhalten ist im Trauerfall angebracht? Kann ich es mit mir selbst vereinbaren, wenn ich mich über den Tod einer Person freue? Darf ich mein Beileid per SMS ausdrücken? Mit solchen Fragen wurden unsere Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung konfrontiert und durften auch selbst Position beziehen. Aus den Rückmeldungen wurde rasch klar: Es fiel einigen alles andere als einfach, dies zu beantworten.

Erfolgsgeschichte Kremation
Hin und wieder hört man, Menschen fürchteten sich nicht vor dem Tod, sondern vor dem Sterben. Das verwundert nicht, denn der Tod ist entweder sehr abstrakt oder tritt – wie der Sensenmann – als Personifikation mit einem festen Platz in der Popkultur auf. Andererseits, während im «Tatort» wie im Kino filmreif gestorben wird, herrscht um das reale Sterben immer noch viel Halbwissen. Dadurch, dass es in spezialisierten Institutionen wie Pflegeheimen und Spitälern stattfindet, ergeben sich im Alltag wenig Berührungspunkte. In der Schweiz sterben jeden Tag im Durchschnitt etwa 200 Menschen. Von den allermeisten dieser Tode bekommt man nichts mit. Umso wichtiger war es für uns, dem Wie, Wo, Wann und Warum des Sterbens in der Ausstellung genügend Raum zu geben. Oft sind es die «kleinen» Dinge, welche die Realität des Sterbens sichtbar machen. Die Zürcher Designerin Bitten Stetter entwirft für das Projekt «Final Studio» Objekte für den letzten Lebensabschnitt und denkt sie neu. Manchmal braucht es gar nicht viele Änderungen: Wenn ein Trinkbecher selbst gestaltet werden kann oder wenn die Bettwäsche mit Taschen versehen wird, um persönliche Gegenstände dann noch griffbereit zu haben, wenn bereits der Nachttisch unerreichbar wird.
Was im Leben wichtig ist, bleibt es auch in den letzten Tagen und oft über den Tod hinaus. Bestattungen veranschaulichen dies: Hier werden kulturelle Besonderheiten und der aktuelle «Zeitgeist» gut sichtbar. In der Schweiz lassen sich heute über 85 Prozent der Menschen kremieren, in der Stadt mehr als auf dem Land. Dies ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, da die Kremation jahrhundertelang verboten war und von den Landeskirchen abgelehnt wurde. Eine Erklärung für ihre heutige Beliebtheit ist der Gestaltungsspielraum, den sie bietet. Weil die Schweiz für Asche keine Friedhofspflicht kennt, kann sie verstreut oder in einer Urne im Garten aufbewahrt oder im Wohnzimmer aufgestellt werden. Das ermöglicht, die eigene Individualität bis über den Tod hinaus zu wahren…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1101 – November 2022 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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