Ver-rückt
Wagen wir einmal folgendes Gedankenspiel: Sie sind deutscher Staatsbürger, und man steht Ihnen zu, darüber abzustimmen, ob Deutschland den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mitträgt oder eben nicht. Auf den Plan tritt eine junge Frau, sie ist intelligent, sachlich, hat Ökonomie studiert, die liberalen Klassiker gelesen und bewegte politische Erfahrung. Sie wendet sich mit folgendem Statement an […]
Wagen wir einmal folgendes Gedankenspiel: Sie sind deutscher Staatsbürger, und man steht Ihnen zu, darüber abzustimmen, ob Deutschland den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mitträgt oder eben nicht. Auf den Plan tritt eine junge Frau, sie ist intelligent, sachlich, hat Ökonomie studiert, die liberalen Klassiker gelesen und bewegte politische Erfahrung. Sie wendet sich mit folgendem Statement an Sie:
Meine Partei ist das Gegenmodell zum langweiligen, kleingeistigen, unglaubwürdigen und nicht selten korrupten Politikbetrieb. Sie ist die einzige Partei, die von Beginn an alle Euro-Rettungsschirme abgelehnt hat. Einzigartig ist sie auch, weil sie die einzige verbliebene Partei ist, die sich auf den Gründungskonsens der Bundesrepublik beruft: «Wohlstand für alle» dank sozialer Marktwirtschaft.
Wenn wir mit Spanien und Italien nach demselben Muster verfahren wie mit Griechenland, droht Deutschland hingegen der Staatsbankrott. Um zu verhindern, dass der Steuerzahler für Hunderte Milliarden geradestehen muss, klagt meine Partei am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen den ESM und ist ausserdem für einen radikalen Schuldenschnitt bei 60 Prozent der Staatsverschuldung aller Euroländer.
Für fahrlässiges Investmentbanking und risikoreiche Derivate-Spekulation muss nicht der Staat haften, sondern die Gläubiger der jeweiligen Banken – sobald das Eigenkapital aufgebraucht ist. Das ist Marktwirtschaft: Risiko und Haftung hängen zusammen. Enteignung nenne ich es aber, nun seitens der EZB ungezügelt Geld zu drucken.
Der Kursivtext ist eine Zusammenstellung von Äusserungen der stellvertretenden Parteivorsitzenden der deutschen Linkspartei «Die Linke» (ehemals SED), Sahra Wagenknecht. Die Kommunistin, und mithin ihre Partei, die 76 von 620 Abgeordneten im Bundestag stellt, ist die derzeit mächtigste politische Waffe Deutschlands gegen den ESM. Die sogenannten Bürgerlichen (CDU/FDP) bilden gegenüber der «Linken» eine fast lückenlos gleichgeschaltete Front von Freunden der Fiskalunion, nur 24 von 330 haben gegen den ESM gestimmt. Zeichnen sich hier neue überparteiliche Allianzen ab? Wagenknecht und Ex-SED, Hand in Hand mit Schäffler, Sulík und Farage? Oder anders: sind die Sozialisten nun die besseren Marktwirtschafter?